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    „San`s mer ned bös`“: Zum 75. Geburtstag des Kabarettisten Gerhard Polt



    Von Jochen Thielmann. Er ist Strafverteidiger und hat sich bei seiner Würdigung Polts in erster Linie mit den juristischen Dingen beschäftigt, die in Polts Werk vorkommen.

    Er ist Mitglied der Kabarettgruppe STGB, die in ihren Programmen ihre jahrelange Erfahrung in den Gerichtssälen dieser Republik zu einem satirischen Streifzug durch die deutsche Strafjustiz verarbeiten.


    artbild_250_Polt__Mario_RieGerhard Polt
    wird am heutigen Sonntag, dem 7. Mai 2017, 75 Jahre alt.  Ein Gigant unter den deutschen Kabarettisten, wurde er Ende der 70er Jahre durch seine TV-Serie „Fast wia im richtigen Leben“ einem breiten Publikum bekannt. Nach dem großartigen Fernsehfilm „Kehraus“ (1983) feierte er mit „Man spricht deutsh“ (1988) seinen größten Kinoerfolg. Neben der Arbeit an weiteren Kinofilmen und Büchern hat Polt aber nie aufgehört, die Kleinkunstbühnen Bayerns und – leider nur gelegentlich – des Restes des Republik aufzusuchen und seine Beobachtungen in präzisen und nicht selten bösen Nummern darzubieten.

    Vielfach unbekannt ist, dass Polt als Sohn eines Rechtsanwalts geboren wurde und so sicher schon als Kind erste Berührungen mit dem Justizalltag gemacht hat. Es ist daher kein Wunder, dass sich Polts Spießbürger bayrischer Art nicht nur mit dem Unterschied zwischen Recht und Unrecht auseinandersetzen muss, sondern auch immer wieder einmal mit der Justiz und den in diesem Bereich tätigen Menschen beschäftigt. Der Kabarettphilosoph setzt sich in schöner Regelmäßigkeit in seinen Nummern mit Recht und Gerechtigkeit auseinander: dann geht es um Menschenhandel und Schwarzarbeit, um Trunkenheitsfahrten und Geschwindigkeitsverstöße, um Körperverletzung und Steuerhinterziehung, um unterlassene Hilfeleistung und Brandstiftung. Es geht aber auch um Kommunalpolitik und Demokratie und als Gipfel des teuflischen Treibens auf diesem Planeten – um das Abschließen eines Leasingvertrags.

     

    Die Ehrlichkeit der Polt`schen Kunstfigur

    Gerhard Polt hat eine Kunstfigur erschaffen, die im deutschen Kabarett seinesgleichen sucht. Viele seiner Figuren bewegen sich in einem Bereich, den sie selbst als „nicht direkt illegal“ bezeichnen würden, sondern „irgendwie so semilegal“.  Und auch wenn er in jeder seiner Nummern eine andere Persönlichkeit verkörpert, so verbinden diese Menschen doch wesentlich mehr als man vermuten könnte.

    Die herausragende Eigenschaft von Polts Figuren ist ihre Ehrlichkeit, ein positiver Charakterzug, der sie angreifbar macht. Alle haben ein Mitteilungsbedürfnis und versuchen sich nicht mit plumpen Lügen aus dem Schlamassel herauszureden. Ihre sehr subjektive Sicht der Dinge ist gepaart mit einem generell guten Gewissen. So geben sie nach besten Wissen und Gewissen Auskunft, selbst wenn sie mit dem Rücken zur Wand stehen. Einer hält ein flammendes Plädoyer für die Korruption, denn „wenn eine Wirtschaft nicht geschmiert wird, läuft sie doch heiß“. Ein anderer kann sich auf einem Königsweg exkulpieren: „Ich bin nicht korrupt, das kann ich beweisen: ich bin seit frühester Kindheit Mitglied in der Partei.“ Ein besonderes Exemplar ist auch der Brandstifter, der offensichtlich überhaupt keine Gewissensbisse verspürt, in der Adventszeit Möbelcenter anzuzünden, weil mal wieder nichts Anständiges im Fernsehen läuft.

     

    Strafrecht: Das fehlendes Unrechtsbewusstsein

    Die meisten Protagonisten Polts setzen auf Rechtsfertigungen und Entschuldigungen. Die Erfüllung des Tatbestandes wird meist indirekt eingeräumt, aber die Rechtswidrigkeit der eigenen Handlung wird mit allen möglichen und unmöglichen Argumenten bestritten. Bei den Rechtfertigungen scheitert der jeweilige Erzähler in schöner Regelmäßigkeit, so dass am Ende das Eingestehen des Tatbestands haften bleibt. Ein Paradebeispiel ist in diesem Zusammenhang der „Unternehmer des Jahres“, der standhaft behauptet, an seinem Wild sei noch nie jemand gestorben, gleichzeitig aber berichtet, wie er mit seinen Mitarbeiter mit dem Dampfstrahler das Wild bearbeitet habe („da san die Maden raus wie der Schnee“).

    Wenn die Figuren selbst keine Verantwortung tragen wollen, muss dies jemand anderes tun. Der Weg zum guten eigenen Gewissen führt nicht selten über das Abwälzen der Schuld auf Nachbarn, Kollegen, Politiker, Journalisten oder die eigene Ehefrau. Solange man in der Lage ist, seine eigene Verhaltensweise zu rechtfertigen, indem man sich über die anderen empört, ist alles gut. Nicht selten wird aber auch das Opfer zum Schuldigen gemacht. Der verhinderte Lebensretter stellt die Frage, was denn ein Nichtschwimmer überhaupt an einem Badesee zu suchen hat; die Frau vom Raser, der ein Kind überfahren hat, führt aus, dass Kinder schließlich unberechenbar seien. Und auch der Nobelpreisträger mit dem Schädelbasisbruch hätte sein Schicksal problemlos verhindern können („Wenn man schon so studiert ist wie der, dann muss man doch wissen, dass man mit einem Kopf, der gar nichts aushält, nicht aufs Oktoberfest geht“).

    Manchmal verschwimmen dabei die Grenzen zwischen Täter und Opfer. Besonders deutlich wird dies bei dem Tankstellenbesitzer, der tatsächlich zunächst Geschädigter eines besonders schweren Diebstahls wird und darauf unverhältnismäßig und mittels eines Notwehrexzesses reagiert. Mitten im Sketch wird aus dem Opfer der Täter und der Einzige, der dies nicht bekommt, ist der Erzähler selbst. Ein weiteres schönes Beispiel ist der pöbelnde Tennisvater, dessen Schimpftirade zum Abschluss ein halbes Lexikon bayrischer Kraftausdrücke ersetzt und die anfängliche Verfehlung seiner Widersacherin zu einer Nichtigkeit schrumpfen lässt.

     

    Zivilrecht: Schadensverursacher und Verantwortungsnehmer

    Wenn man von der Justiz ohne eigene Schuldeinsicht verurteilt wird, versteht es sich von selbst, dass man ihre Entscheidungen nicht akzeptiert. Das Einlegen eines Rechtsmittels als rechtsstaatlich gewollte Reaktion kann keine echte Befreiung bringen. Viele der Charaktere Polts verstehen die Welt, in der sie leben, nicht mehr und drücken ihr Unverständnis auch offen aus. Wie sehr sich bei Polts Figuren die Maßstäbe bisweilen verschoben haben, zeigt die (bei youtube berühmt gewordene) Geschichte vom Leasingvertrag, wo das Teuflische bei denjenigen Autohändlern ausgemacht wird, die den Menschen Leasingverträge andrehen. Wenn man hingegen eine thailändische Frau kauft, wenn man ukrainische Arbeitskräfte in einem Zwinger hält oder wenn man auf einem „Gastronomic-Adventure-Trip“ Menschenfleisch isst, dann wird darin im Universum der Polt`schen Figuren kein größeres Problem gesehen.

    Wenn man sich wie Gerhard Polt immer wieder mit der Weigerung der Menschen beschäftigt, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen und stattdessen die Schuld irgendwo anders zu suchen, so muss dies zwangsläufig zu der Erkenntnis führen, dass es einen großen Bedarf an Personen gibt, die tatsächlich Verantwortung übernehmen. Das  hat der Satiriker schon vor über dreißig Jahren erkannt und die Schilda Response GmbH&Co KG erfunden, die als Dienstleistung Sündenböcke zur Verfügung stellt, wenn einmal wieder etwas fürchterlich schief gelaufen ist („Natürlich ideeller Natur, weil finanziell macht das ja der Steuerzahler“). Entscheidend dafür ist die komstruierte Unterscheidung zwischen dem Schadensverursacher und dem Verantwortungsnehmer. Wenn beispielsweise ein alkoholabhängiger Chefarzt einen Menschen zum Krüppel operiert oder aber eine Landesbank ein riesiges Loch in den Haushalt reißt, so übernehmen die Mitarbeiter dieser Firma gerne die öffentliche Verantwortung dafür.

     

    Öffentliches Recht: Mehrheit und Minderheit

    Polt ist kein (partei-)politischer Kabarettist, auch wenn in vielen seiner Stücke die bayrische Volkspartei und ihre Vertreter auftauchen. Das demokratische Prinzip von der Herrschaft der Mehrheit wird von ihm immer wieder thematisiert, wobei es aber kein Wunder ist, dass das Verständnis für die Demokratie in einem Land, in dem seit Generationen immer dieselbe Partei die Regierung stellt, anders sein muss als in anderen Bundesländern, in denen der Wechsel in der Führung eine Alltäglichkeit darstellt. Das Prinzip ist irgendwie fremd: „Wir brauchen keine Opposition, weil wir sind bereits Demokraten“. Der typische Polt-Charakter ist treuer CSU-Wähler und richtet seine Kritik daher weniger an die Machthaber, sondern auf die oppositionellen Parteien. Dies geschieht zeitweise bitterböse, wenn erklärt wird, der „innere Feind“ sei „die Minderheit, welche die Mehrheit unserer Bürger heute terrorisiert.“ Das Demokratieverständnis der Figuren Polts kann dem Zuhörer einen Schauer über den Rücken jagen, wenn in jovialem Ton erläutert wird „Solang man noch Mehrheiten hat, muss man höllisch aufpassen, dass diese Minderheiten nicht überhand nehmen“ oder „Wenn diese Minderheit mal die Mehrheit hat, dann gnade uns Gott.“

     

    Die Akteure der Justiz

    Für den typischen Polt-Charakter ist die Justiz mit ihren Akteuren keine Einrichtung, die die Probleme löst. Daher kommt die Justiz auch regelmäßig nicht gut weg. Der Mann beschwert sich über das „junge Richterlein, der hat wahrscheinlich grad ausg`lernt g`habt“ oder bezeichnet den Richter gar als „Sesselfurzer, der einem erzählen will, was Realität ist“. Doch nicht nur die Richter bekommen ihre Seitenhiebe ab, auch die Rechtsanwälte bleiben nicht verschont. Wenn er sich den „besten Advokaten“ holt, um das Unrecht anzugehen, kann er zwar zunächst verkünden „und ich habe einen Prozess geführt und ich habe ihn auch gewonnen“, um sodann das entscheidende Wort nachzuschieben: „moralisch“. Ein Rechtsstreit gegen die Behörde zur Erteilung einer Baugenehmigung verspricht von vornherein keinen Gewinn für den Mandanten („Okay, nimm dir einen Anwalt – aber dann baust du kein Haus mehr“), jedoch für den Advokaten („Ja, der Anwalt schon, aber du ned“). Und auch Sachverständige haben es bei Polt schwer, selbst wenn er dies nicht im Bezug auf die Justiz anspricht. Gutachter sind käuflich und je teurer das Gutachten umso sicherer das gewünschte Ergebnis, sei es die Anwesenheit eines Sohnes von Johann Sebastian Bach in Bad Hausen oder die Abwesenheit von Krankheitserregern im Fleisch des Unternehmers.

     

    „Ja, aber …“

    Das Werk des großen Kabarettisten Gerhard Polt ist somit auch für Juristen ein lohnendes Thema. Seine Figuren treten an, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, und haben dieses Vorhaben am Ende selbst nicht selten völlig sabotiert. Sie sind regelmäßig Täter, die sich für Opfer halten, und dementsprechend sind etliche Stücke untaugliche Versuche von Rechtfertigungen, die ganz zufällig zu „Geständnisgeschichten“ werden, ohne dass sich die Figuren selbst dessen bewusst werden. Diese Selbstdemaskierung ist Teil der Kunst des Gerhard Polt.

     Die Antwort der Polt`schen Kunstfigur auf einen ihr entgegengebrachten Vorwurf lautet jeweils „Ja, aber …“. Die sich darauf gründenden Stücke bestehen dann zum größten Teil aus Ausführungen zum „Aber“, ohne sich zu sehr mit dem „Ja“ zu beschäftigen. Und wenn am Ende gar nichts mehr zu helfen scheint bei dem untauglichen Versuch, seinen eigenen Standpunkt klar zu machen, taucht immer wieder eine ebenso fordernd wie entschuldigend gebrauchte Bitte auf: „San`s mir ned bös“.


    Autor: Jochen Thielmann

    WebLink: STGB-Kabarett

    Bildnachweis:
    Gerhard Polt Foto:Mario Riener

    2017-04-09 | Nr. 95 |





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