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    10 Jahre Friedrichsbau Varieté

    Zum 10-jährigen Jubiläum des Friedrichsbau Varietés schickte der Mistral die Personifizierung des Wilden Südens: Rosemie Warth. In dem Jubiläums-Programm „Wirbelwind“ moderierte die Clownin mit ihrem schwäbisch-skurrilen Witz und sorgte auf diese Weise für die lokale Bodenhaftung. Die Stuttgarter Zeitung resümierte zwar: „So schrecklich sind die Schwäbinnen nicht. Eine solche Veralberung haben sie nicht verdient, schon gar nicht von einer, die von Oberschwaben nach Nordbaden emigriert ist“. Doch selbst die Schwäbinnen im Publikum freuten sich über die überaus liebe- und verständnisvolle Darstellung von Wesenszügen, die in der etwas skurril-verklemmten Figur mit der Heinz-Erhardt-Brille zusammengeflossen sind und karikiert wurden, weil Rosemie immer spüren lässt, dass es ihr ja eigentlich um die Überwindung dieser Blockaden geht. Ihre Mitstreiter dabei waren: Die beiden KGB Clowns aus Moskau, der aus einer Artistenfamilie stammende Anton Monasryrsky, der völlig neue Hula-Hoop-Varianten entwickelte, das Einrad-Paar Iouri & Diana, die in der Zirkusschule Annie Fratellini ausgebildeten Kaskadeure Les Petits Frères, Maryna & Svetlana, die außer ihrer schon bekannten, immer wieder sehenswerten Fußjonglage mit fliegenden Teppichen auch eine neue Nummer am doppelten Luftring zeigten, und Gilles Le Leuch, der den etwas schüchternen und langsamen Butler Antoine mimte, um desto wirkungsvoller gegen Ende des Programms seine Diabolos Walzer tanzen zu lassen.

    Unter dem Titel „GRANDE REVUE mit TOPAS“ läuft zurzeit noch bis zum 22. Januar die erste Revue des Hausregisseurs Simon Kühr und zugleich die erste mit Topas, dem Stuttgarter Zauberkünstler, der ebenfalls schon öfter als Manipulator, Illusionist und Conferencier in Friedrichsbau-Programmen oder mit seiner eigenen Show „Magic Affairs“ erfolgreich hier auftrat. Eine Revue, die durchaus vergleichende Gedanken mit dem natürlich viel größeren Friedrichstadtpalast in Berlin aufkommen lässt, aber gleichzeitig auch eine Revue mit Stuttgarter Bodenhaftung. Eine Revue, die das Jubiläumsjahr (10 Jahre neuer Friedrichsbau) abrundet, zeigt sie doch besonders beispielhaft, was den anhaltenden Erfolg dieses Hauses ausmacht: Eine internationale Auswahl der erfolgreichsten Varietédarbietungen nach Stuttgart zu holen, sie auf einheimische Künstler treffen zu lassen und beide unter einer bestimmten Programmidee zu einer unterhaltsamen und begeisternden Vorstellung zusammenzufügen. Topas karikiert nicht wie Rosemie Wath schwäbische Stammeseigenheiten, er reflektiert als international erfolgreicher Stuttgarter Zauberkünstler die Vorzüge und Nachteile dieses Berufs, so als säße er selbst im Publikum und sähe sich zu. Zum Beispiel wenn er darstellt, wie er nach der Vorstellung noch amerikanisch essen geht oder wenn er sich, mitten im Zuschauerraum stehend, seinen Frust über die immer gleichen Fragen und Witzchen über den Beruf des Zauberkünstlers in einem köstlichen Chanson von der Seele singt. Eine urkomische Einlage als Geräuschesammler oder die Übersetzung eines Howard-Carpendale-Titels in Gebärdensprache (als Zugabe) weisen ihn als vielseitigen Entertainer aus. Genauso selbstverständlich zeigt er aber einige ganz neue und einige ältere Illusionen, die verständlich machen, weshalb er und seine Lebenspartnerin Roxanne jüngst den begehrten „Milbourne Christopher Award“ als „Illusionisten des Jahres 2004“ in die ohnehin schon reich bestückte Trophäensammlung einreihen durften; eine Auszeichnung, mit der bisher nur Siegfried und Roy als einzige Deutsche geehrt wurden. Topas klont sich selber, zaubert aus einer Pappschachtel elf voll funktionsfähige, große Lautsprecherboxen auf die Bühne oder lässt seine Partnerin Roxanne schwebend unter einem Tuch verschwinden und durch den Saal wieder erscheinen. Aber auch seine Ursprünge als Manipulator entwickelt er weiter und staunt beim Bongospielen selbst über die immer wieder zwischen seinen Fingern auftauchenden Bälle; zum Ende der Nummer werden aus den Bällen dann sogar Rumbakugeln. Roxanne hat in ihr „Rendezvous im Spinnennetz“ neue Varianten eingebaut und die bisher zu dominante Spiegel-Durchdringung etwas zurückgenommen. Zusammen mit den Dolly Dollies (4 Tänzerinnen und 2 Tänzer, die in Choreografien des Pariser Revue-Choreografen Jack Dolle in Kostüm und Licht farbenprächtige, französisch-erotische Bilder kreieren) hat Roxanne noch 4 Auftritte als Sängerin, unter anderem mit „Don’t tell Mama“ und „Teach me Tiger“.

    In diesen Revue-Zusammenhang wunderbar eingebettet sind die Artisten. Andrea Engler, erst 18-jährige Absolventin der Berliner Schule für Artistik am doppelten Vertikaltuch, zeigt eine ebenso ästhetische wie trickreich-schwierige Darbietung. Auf den Tischen, die an die Freifläche unter der Kuppel des Friedrichsbaus angrenzen, werden rasch Speise- und Getränkekarten aufgestellt, um zu verhindern, dass die oft ausladenden Bewegungen der beiden freien Enden des roten Tuchs Gläser und Flaschen von den Tischen fegen. Die beiden Hand-auf-Hand-Athleten Golden Power, die jahrelang im „Lido“ auftraten, werden für ihre extrem langsame Kraft-Akrobatik am lautesten beklatscht. Das Duo Bondarenko, ursprünglich aus der Ukraine, jetzt aus Australien, hat seine als Partnerjonglage erzählte Liebesgeschichte, die in Zusammenarbeit mit Valentin Gneushev erarbeitet wurde, weiter verbessert. Und Andrey Pyr, Hula-Hoop-Tänzer in effektvollem Licht, wurde ebenfalls von Valentin Gneuchev inspiriert. Da er umständehalber für Elena Lev eingesprungen ist, konnte er nur bis zum 15.12. verpflichtet werden und wird bis zur Dernière am 22.1.2005 von den Rollschuhartisten Alfya & Yuri ersetzt.

    Konnte man im Jubiläumsjahr in Stuttgart naturgemäß überwiegend Wieder-Engagements erleben (in den bisher 58 Shows waren mehr als 1.000 Künstler engagiert! Ende September 2004 wurde die einmillionste Besucherin begrüßt!), gab es im Backnanger TraumZeit-Theater hauptsächlich Erstengagements zu sehen. In der September-Show mit Jan Forster als zauberndem Magier waren noch Rola-Rola-Artist Nicky Viva, seine Partnerin Spectra mit ihrem Seifenblasen-Solo und beide zusammen in einer Illusion zu erleben. Silvia Licht war zwar zum zweiten Mal engagiert, zeigte aber zwei andere Nummern (Diabolos und Keulen). Das Tübinger Puppentheater ergänzte die durchweg sehr guten artistischen Auftritte mit fantasievollen und mit ganz unterschiedlichen darstellerischen Mitteln erzählten kleinen Geschichten. Im Oktober stand die Varietäten-Show ganz im Zeichen von Gitarrist und Entertainer Siggi Klaiber, der zum ersten Mal in die Rolle des Conferenciers schlüpfte. Die Idee, eine Gitarre als roten Faden durch ein Programm zu verwenden, erwies sich als durchaus tragfähig. Es wäre aber wünschenswert gewesen, wenn die ausgewählte Musik deutlicher auf die einzelnen Nummern Bezug genommen hätte. Da Siggi Klaiber als Entertainer über ein Riesenrepertoire an komischen Sprechparodien verfügt, erlag er der Versuchung, zuviel davon einbauen zu wollen, sodass die übrigen Nummern eher als Unterbrechung seines Soloauftritts empfunden wurden denn als Teil einer Programmidee. Dies tat aber vor allem den beiden Auftritten von Jongleur Tobias Rademacher keinen Abbruch, der mit seiner trickreichen und schwierigen Jonglage zu Barockmusik überzeugte und mit der Leuchtjonglage, zu der selbst die Teelichter auf den Tischen des TraumZeit-Theaters gelöscht wurden. Auch die heiße Liebesgeschichte in der Sauna, die das Duo Chronkh mit artistischen Mitteln erzählt, konnte sich mühelos behaupten.

    Redaktion: Manfred Hilsenbeck

    2004-12-15 | Nr. 45 | Weitere Artikel von: Manfred Hilsenbeck





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