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    Aktuelle Kritik - "Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre"

    im Renaissance-Theater

    Das Renaissance-Theater in Berlin-Charlottenburg ist eines der Theater, bei dem sich die Gäste schön anziehen, bevor sie es besuchen. Das Publikum ist einigermaßen angejahrt und nicht auf wilde Experimente versessen, das Interieur plüschig und außergewöhnlich schön – vieles noch Original aus den 1920er Jahren. Hier wird normalerweise anspruchsvolle, aber gut verdauliche Gegenwartsdramatik gegeben. Schon immer aber war es an solche Theatern üblich, dass sich die Mitglieder des Ensembles in den späten Stunden nach der Hauptvorstellung den Spaß der kleinen Form gönnten. Schon Gustaf Gründgens trat zumindest in seinen frühen Jahren auch mit Kleinkunstprogrammen auf.

    artbild_200_Ich_weiss_nichtAn diese Tradition denkt man, bevor – zur Hauptabendzeit – die Revue „Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre“ beginnt. Das Bühnenbild ist mit professionellen Mitteln sehr schön gestaltet: dunkle, glitzernde Bahnen verkleiden den Guckkasten, davor wachen deckenhohe Pin Up-Figuren mit frivolen Rundungen. An diesem Abend soll es um die Liebe gehen. Und um die Unmöglichkeit der Dauer. Weil man sich begehrt, aber nicht richtig verständigen kann.

    Dann kommen die drei Musiker (Harry Ermer, Volker Fry, Johannes Severin) auf die Bühne und es wird klar, dass Kleinkunst direkt an die große Form grenzt. Brecht, Mephisto, alle sind sie da. Flüssig (Regie: Torsten Fischer) fließen die Gesangsnummern ineinander: Comedy Harmonists, Friedrich Hollaender und sogar „Zusammenleben“ von Milva – hier allerdings Nana Mouskouri in den Mund gelegt - jeder Künstler kommt auch als Solist zu seinem Recht. Das erste Solo gehört Anke Fiedler, die nicht nur wegen ihres Glitzerkleides wirkt wie eine junge Variante von Mariah Carey. Die an der Universität der Künste in Berlin ausgebildete Sängerin und Teilnehmerin einer Castingshow im Fernsehen, steht für eine neue Generation von Bühnenkünstlern. Nicht das Einfügen ins Ensemble mit ein paar wohlverdienten Soli ist ihr Ziel. Sie strebt von Anfang an zur Rampe, wo sie wie auf Knopfdruck in jedem Register jederzeit alles geben kann – und gibt. Fiedlers Stimme ist wirklich spektakulär und lässt die Wände des Theaters erzittern. Aber sie löscht damit immer wieder für Minuten das restliche Ensemble aus. Anika Mauer als ihr weiblicher Gegenpart ist nicht nur optisch ein anderes Kaliber. Hier hat sie die Rolle des blonden Gifts mit komischem Einschlag. Ausgebildet wurde Mauer an der angesehen Theaterhochschule Ernst Busch. Sie steht für eine traditionell geschulte Schauspielerin, die im Solo brilliert, aber auch alle artbild_250_Ich_weiss_nichtanderen Gangarten beherrscht. Noch im exaltiertesten Ausbruch – ein betrunken gegrölte „Egon“ aus dem gleichnamigen Heinz Erhard-Film ist ihre Glanz- nummer - bleibt sie doch immer mit den Kollegen auf der Bühne verbunden und wird damit zum weiblichen Herz der Truppe. Die Männer des Abends gruppieren sich um die Frauen herum: Andreas Bieber als lang- beiniger Buffo, Roberto Guerra als Testosteronbolzen und der nach und nach immer schillerndere Guntbert Warns als ordnende Hand, der das Ganze aus dem Hintergrund dirigiert.

    Es ist ein kurzweiliger, solider, anspruchsvoller Abend und niemand denkt daran, in der Pause zu gehen. Und doch bleibt ein schales Gefühl. Wir leben in Zeiten der Superstars und Solisten, und schon eine zu dominant geformte Stimme macht deutlich, wie fragil die Magie auf einer Bühne stets bleibt und wie sehr sie von allen getragen werden muss.  Aber das ist Meckern auf hohem Niveau. Denn singen konnten sie alle und das Publikum hatte seinen Spaß.

    Zur Zeit keine weiteren Vorstellungen geplant.

    Redaktion: Susann Sitzler

    2014-12-30 | Nr. 85 | Weitere Artikel von: Susann Sitzler





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