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    Der Neue Zirkus: eine vielversprechende neue Sparte



    Seit einigen Jahren gibt es eine neue künstlerische Sparte, die auf deutschen Theater-bühnen, in Veranstaltungshäusern und auf deutschen Festivals gezeigt wird: Der „Neue Zirkus“, auch „Zeitgenössischer Zirkus“ genannt, ist auf dem Weg, sich in Deutschland als eigenständige Kunstform zu etablieren. Eine Vielzahl von kreativen, hoch talentierten Akteur*innen des Genres verwirklicht Projekte und Produktionen, die beim Fachpublikum als Geheimtipp gehandelt werden.

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    Hintergrund Zeitgenössischer Zirkus

    Der „Neue Zirkus“, von vielen Zirkusschaffenden auch gerne als „Zeitgenössischer Zirkus“ bezeichnet, wird als künstlerische Bühnenform praktiziert. Er entwickelte sich in den 1970er Jahren in Frankreich und ist mittlerweile in den meisten europäischen Ländern als Kunstform anerkannt. Er nutzt unter anderem Elemente aus Theater, Tanz, Musik, Performance-Kunst sowie den neuen Medien und verfügt dadurch über eine vielfältige Formensprache.

    Im Unterschied zum so genannten traditionellen Zirkus steht nicht mehr die größte körperliche Leistung im Zentrum, sondern die künstlerische Umsetzung eines Themas, einer Geschichte oder einer Haltung.

    Die Zirkustechniken wie Akrobatik, Jonglage, Balance und Luftartistik dienen als Ausdrucks-mittel, mit denen diese Geschichte erzählt wird, das Thema umkreist wird. Es dominieren hier theatrale und performative Formate, denen ein dramaturgisches und ästhetisches Gesamt-konzept zu Grunde liegt. Häufig haben Persönlichkeit, Biographie und Körperlichkeit einen großen Einfluss auf die Zirkusstücke. Den Zirkus-Künstler*innen geht es um das Experimen-tieren mit ihren Disziplinen und darum, die Möglichkeiten, was Zirkus sein kann, zu erweitern und das Bild, wie er gesehen wird, zu verändern.

    Auch in Deutschland werden immer häufiger zeitgenössische Zirkusstücke auf großen Theaterbühnen programmiert und zu den großen Festivals eingeladen (Berliner Festspiele, Düsseldorf Festival, Potsdamer Tanztage, Bauhausfest Dessau etc.). Die Universität Münster richtete zum zweiten Mal eine wissenschaftliche Konferenz zum Thema „Neuer Zirkus“ aus. Die Sparte „Zeitgenössischer / Neuer Zirkus“ erfährt hierzulande einen Auftrieb und besitzt ein erhebliches Entwicklungspotenzial. Diese Entwicklungen spiegeln sich jedoch nicht im kulturpolitischen Status Quo wider: der Zeitgenössische Zirkus wird von kulturpolitischer Seite bisher eher als Randerscheinung wahrgenommen. Er ist in Deutschland nicht offiziell als Kunstform anerkannt und damit häufig von der Kulturförderung ausgeschlossen. Dieses Defizit stellt deutsche Akteur*innen vor die grundlegende Frage, wie sie ihre Projekte realisieren und finanzieren können.

     

    Die Initiative Neuer Zirkus e.V.

    Die Initiative Neuer Zirkus (INZ) ist ein gemeinnütziger Verein, der sich maßgeblich für die Anerkennung des Zeitgenössischen Zirkus als Kunstform in Deutschland einsetzt. Darüber hinaus ist die Initiative Neuer Zirkus Netzwerk, Ideenpool und Informationsplattform. Sie arbeitet an der Vernetzung von professionellen Zirkusschaffenden in Deutschland und daran, das Wirken der Zirkuskünstler*innen sichtbarer zu machen. Es soll ein Knotenpunkt für künstlerische Experimente, Austausch und Weiterbildung entstehen.

    Wir sehen die Arbeits- und Entwicklungsmöglichkeiten für Artist*innen innerhalb der Freien Szene der Darstellenden Künste als Gegenentwurf zum Arbeitsmarkt in der Unterhaltungsindustrie. Mit unserer Arbeit unterstützen und fördern wir künstlerische Strömungen und konkrete Projekte, die über eine technische Innovation innerhalb des Neuen Zirkus hinaus auch künstlerisch nach neuen Wegen suchen und ungewohnt und experimentierfreudig arbeiten.“ (INZ Vorstand)

    Die INZ wurde von einer zehnköpfigen Gruppe Kölner Zirkusschaffender im Jahr 2011 gegründet und arbeitet zurzeit ehrenamtlich mit privaten Mitteln. Der Verein hat sich inzwischen auf mehrere Städte innerhalb Deutschlands (Berlin, Hamburg, Köln, München, Essen, Leipzig) ausgebreitet, die sich unabhängig voneinander organisieren, aber miteinander in regem Austausch stehen. In jedem dieser Städtepole finden künstlerische Stammtische statt. Diese sind Anlaufstelle, Treffpunkt, Diskussions- und Austauschort für alle Zirkus-Interessierten und Neuankömmlinge.

     

    Schwerpunkte der Initiative Neuer Zirkus

    Die wesentlichen Medien der INZ bestehen aus einem Newsletter, der über aktuelle Ausschreibungen, Projekte, Entwicklungen und Veranstaltungen informiert. Die Website bietet einen Informations- und Wissenspool mit Veranstaltungskalender, Szene-Verzeichnis, Linklisten, Protokollen und Publikationen. Auf der Facebook-Seite finden sich genre-spezifische Neuigkeiten und allerlei Wissens- und Sehenswertes. Die künstlerischen Stammtische (Roundtables Circus) in den Städtepolen bieten einen Ort der Diskussion und des inhaltlichen Austauschs. Die Initiative Neuer Zirkus ist selber Antragstellerin bei Kultur-förderungen und berät Künstler*innen in Förderfragen. Sie unterstützt als Partnerin oder Mitveranstalterin Austausch, Research und Weiterbildung in Projekten wie Labor Cirque, Forum Neuer Zirkus, CircBIB, Berlin Circus Festival und diversen Netzwerktreffen, Residenzen und Masterclasses. Darüber hinaus ist die Initiative Neuer Zirkus Mitglied in diversen internationalen Zirkus-Netzwerken und steht im Austausch mit Vertreter*innen der Kulturpolitik und Förderinstitutionen. Der Verein macht sich Gedanken zu Lehre und Qualitäts- sicherung sowie zur Strategieentwicklung für eine Zirkushochschule in Deutschland und den entsprechenden wissenschaftlichen Diskurs.

    Der nächste Roundtable Circus findet am 24. April in den Kölner Ehrenfeldstudios statt.

    WebInfo: Initiative-Neuerzirkus


     

    Die Kompanie Overhead Project

    artbild_350_solmsSeit mehreren Jahren kommen immer mehr Artist*innen nach ihrem Studium an internationalen Zirkushochschulen nach Deutschland zurück, mit dem Wunsch, auch hier ihre zeitgenös-sischen Arbeiten und ihr Bild vom Zirkus zeigen zu können.

    Eine Kompanie, die sich an der Genregrenze von Zeitgenössischem Zirkus und Tanz bewegt und regel-mäßig abendfüllende Stücke produ-ziert, ist Overhead Project mit Sitz in Köln und Tübingen. Die beiden Akrobaten Tim Behren und Florian Patschovsky wurden gemeinsam in Brüssel an der Ecole Supérieure des Arts du Cirque (ESAC) ausgebildet. Seit zehn Jahren leben und arbeiten sie wieder in Deutschland. Sie waren nie im klassischen Zirkus oder Varieté unterwegs und fühlten sich eher zum Tanz hingezogen. Nach sechs Jahren in der Kompanie HeadFeedHands, fokussierten sie sich auf ihr eigenes Label Overhead Project, mit dem sie sehr erfolgreich in der internationalen Tanz- und Zirkus-Szene präsent sind.

    Sie selbst beschreiben ihre Arbeiten als „einen Raum, wo Provokation auf Vertrauen, Zusammenhalt auf Abstoßung und Höhe auf Fallen trifft.“ In ihren Stücken ersuchen sie das zu zerlegen, was zwischen den Körpern, zwischen den Menschen liegt.


    Ihre neueste Produktion "SURROUND" – ein Performanceparcours zum Verhältnis des Menschen zur Herde, ist Anfang Mai in Leipzig und Mannheim zu sehen.

     

    Das Duo wagt sich mit einem Performer-Quartett und einem von der Decke hängenden großen Pauschenpferd an das Thema „Demokratie“ und befragt dabei den Kreis als architek-tonische Anordnung. Das Rund der Manege und der Arena wird hier zur gesellschaftlichen Utopie und gleichzeitig zur partizipatorischen Performanceplattform, die geometrische Anordnung fungiert als Metapher für delegierte Machtverhältnisse.

    Die natürliche Anordnung von Menschenansammlungen umkreisend, fordern die beiden Akrobaten und zwei Tänzerinnen auf der Bühne eine physische Positionierung zum Gesche-hen ein –  im Sinne der Frage „führen oder führen lassen?“ In Zeiten, in denen Freiheit und Gleichheit hinter dem Vormarsch der Mächtigen als Utopie zurückzubleiben scheint, muss nun jeder seinen Platz finden – im Herdentritt, am Rand oder doch mit den Zügeln in der Hand. Und die wichtigste Frage ist: Bist du drin oder draußen? Kleine Verschiebungen der Machtverhältnisse setzen alles in Bewegung, verändern Gesellschaften, wirbeln sie auf und ordnen sie neu.

    Aufführungen von SURROUND:

    LOFFT – das Theater, Leipzig
    Frei. 04. Mai, 20°°

    Sa.   05. Mai, 20°°
    So.   06. Mai, 18 °°

    Zirkus Paletti, Mannheim
    11./12. Mai 2018, 20 Uhr, 


    WebInfo:
    Overhead Project



    Bildnachweis: (von oben nach unten)
    Atemzug Foto: L. Giovanazzi
    x [iks] Produktion Overhead Project Foto: Ingo Solms

    2018-04-14 | Nr. 99 |





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