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    Fulminantes Kabarett-Festival in Wien

    Erstmals gab es diesen Sommer in der Kabarett-Hochburg Wien ein groß angelegtes Kabarett-Festival. Nicht weniger als 14.000 Menschen kamen im Juli zu den 25 Veranstaltungsabenden in eine stillgelegte Straßenbahn-Remise.

    Die ersten vier Abende standen ganz im Zeichen von Alfred Dorfers neuem Programm "heim.at". Wie erwartet restlos ausverkauft sahen seine Betrachtungen rund um unser unmittelbares Politgeschehen samt Ausflügen zu den unterschiedlichsten Befindlichkeiten des Menschen pro Abend über 700 Menschen. Dorfer und seine drei Musikusse Gunkl, Peter Herrmann und Lothar Scherpe zeigten sich nicht nur backstage in Tischtennis-Hochform, sondern auch auf der Bühne in grandioser Spiellaune.

    Tags darauf hätte sich Gunkl mit seinem namenlosen Programm sicher weitaus mehr Zuseher verdient, mag sein, dass seine subtile Art der Humorbetrachtungen gegen angesagte Grillabende wirklich keine Chance hat.

    Der Bairisch Diatonische Jodelwahnsinn bedient mit seiner stillen, hochklassigen Musikkabarettshow - zumindest in Österreich - ohnehin nur ein Minderheitenpublikum, die abgelieferte Performance war jedoch großartig wie immer. Wobei an dieser Stelle zu sagen ist, dass die Akustik in der Remise dank optimaler Beschallung eine außergewöhnlich und nicht wirklich zu erwartende gute war, was übrigens auch dann zum Tragen kam, wenn nicht akustisch verstärkt agiert wurde.

    Stermann & Grissemann sowie Roland Düringer und Andreas Vitasek waren wie erwartet ausverkauft und zogen ihre Fans in Scharen an. Stimmung extrem gab es dann am 12. Juli, als das Balaton Combo mit grenzenlos schlechten Geschmack in Form von genialen Verarschungen alten und neuen Liedgutes die Fans teilweise in orgiastische Verzückung versetzte. Da wurde vogerlgetanzt und polonaisiert was das Zeug hält.

    Georg Ringsgwandl, diesmal mit seinen kreuzfidelen Krattlern in Wien, bewies einmal mehr, dass es sich ausgezahlt hat, den Beruf als Herzchirurg an den Nagel zu hängen und sich voll und ganz auf das kabarettistische Showgeschäft zu konzentrieren: Seine Performance war echt großartig.

    Ebenfalls großartig war der Abend mit Popette Betancor, die Ausschnitte aus ihrem jüngsten Programm "Damenbart" (gibt es übrigens auch als Buch) brachte. Einmal abgesehen davon, dass das Programm gleichermaßen gescheit und vollgespickt mit Überraschungsgags ist, hat diese Frau künstlerisch dermaßen viel drauf, dass das Gros aller anderen sogenannten Kleinkünstler nur mehr anerkennend mit den Ohren wackeln kann. Ihre Geschichten und Schrullen sind dermaßen an den (Damenbart-) Haaren herbeigezogen, dass der Schrei nach Gillette Contour ein evidenter ist, ihre Art zu erzählen fesselt, ihre musikalischen Ausflüge - von kurz angespielten Miniaturen über herrlichen Chansons bis zu verträumten Balladen - sind Ohrenschmäuse der Sonderklasse und ihre textliche Selbstironie kaum zu überbieten. Einfach grandios: Das Lied über ihren Ex-Freund, den Jazzkritiker. Und: Die gelesenen Geschichten über ihre Besuche beim Gynäkologen. Hoffentlich gibt es bald mehr von ihr in Österreich!

    Gerald Votava, Clemens Haipl und Herbert Knötzl alias Projekt X talkten und blödelten sich mit "Protest" routiniert und teilweise wirklich witzig wie gewohnt durch den Abend des 15. Juli, wohingegen der 18. Juli gleich drei Gigs anzubieten hatte. Astrid Walenta und Michaela Obertscheider präsentierten als A&O Ausschnitte aus ihrem aktuellen Erfolgsprogramm "What a life - what a show" und überzeugten einmal mehr durch ihr subtiles, facettenreiches Spiel. Otmar Kastner und Peter Buda, besser bekannt als Kabud, fischten einiges aus ihren alten Programmen (z.B. DKT und Kasperl) und griffen bereits auf ihr neues (www.powerkabarett.at, am 3. und 4. September in der Kulisse zu sehen) vor. Tip am Rande: Lesen Sie auch auf Seite 14 das Portrait über Kabud.

    Last but not least trat mit dem Duo Valtorta die eigentliche Überraschung des Abends auf. Was die beiden Bayern Alexander Liegl und Martin Pölcher da an schier unglaublicher Szenenkomik aus ihrem Stück "Parole 73" darboten, schrie unwillkürlich nach mehr. Da vermischen sich Handlungsebenen und Charaktere in einer Geschwindigkeit und mit einer Präzision, wie sie ansonsten nur in wirklich gut geschnittenen Videos zu sehen sind, da purzeln Wuchteln (wie z. B. "Es ist so deutsch geworden in Kaltland") so nebenbei und scheinbar zufällig von der Bühne, womit andere ganze Abende gestalten, und da werden Absurditäten-Freaks in einem Ausmaße bedient, dass diese mit dem Gurren nicht nachkommen. Mit dem ganzen Programm kommen Valtorta übrigens im Jänner 2001 in die Kulisse. Also rechtzeitig Karten sichern (www.kulisse.at), es zahlt sich aus. Tip am Rande: Lesen Sie auch auf Seite 15 das Portrait über Valtorta.

    Die folgenden Tage brachten einen weiteren, sehr signifikanten, weil extrem breit gespannten, Ausschnitt aus Österreichs vielfältiger Kabarettszene. Kurt Ostbahn und Günther Brödl blödelten sich in ihrem Programm "Peep Show" durch die größe, weite Welt des Schmähführens, drangen dabei mitunter in völlig neue Dimensionen vor und begeisterten dank der begleitenden "Red Hot Gumbo Combo" vor allem durch ihre musikalischen Ausritte. Alf Poier wiederum bewies einmal mehr, warum er mit "Zen" sowohl den "Prix Pantheon" als auch den "Deutschen Kleinkunstpreis" gewann. Seine Performance ist dermaßen weit weg von allem Vergleichbaren, dass er eigentlich bereits in einer eigenen Kategorie starten müßte. Hochphilosophisch, hintergründig und dennoch verblüffend bodenständig begeistert er mit frischen Denkansätzen und teilweise ziemlich durchtriebenen Hinterfragungs-Spiralen. Grandios, berührend und beklemmend nah an der Wirklichkeit marschierten Florian Scheuba und Thomas Maurer durch ihr Programm "Zwei echte Österreicher". Sollten Sie lieber Leser, dieses Programm noch immer nicht gesehen haben und Sie zumindest einen Funken von kritischem Geist in Sachen momentaner politischer Situation behalten haben, dann durchforsten Sie bitte neben unserem Terminkalender in der Heftmitte bzw. die Terminleiste auf unserer Homepage unter www.kleinundkunst.net auch sämtliche Tageszeitungen nach Scheuba & Maurer-Terminen.

    Während Willy Astor mit 3 Stunden und 10 Minuten einen wahren Kabarett-Marathon bot und mit seinen Liedverarschungen und Realsatiren für große Freude und viel Spaß im Publikum sorgte, gelang es der "Familie Huber" in der zweiten Hälfte nach Puntigam & Haipl so ziemlich die gesamte Remise leerzuspielen. Aber alles der Reihe nach: Willy Astors Scherz Spezial Dragees wirkten wie immer, seine Ausflüge ins Publikum sind bereits legendär und sein Motto "Schönheit kommt vom Spinnen" lebt er facettenreich aus. Dass der gebürtige Münchner nicht nur ein kritischer Zeitgeist und Querdenker, sondern auch ein hervorragender Gitarrist ist, bewies er an besagtem Abend des öfteren. Endgültig überzeugt hat er dabei die letzten Zweifler mit der grenzgenialen Hommage an Jacques Cousteau "Nautilus".

    Künstlerisch wie inhaltlich hochklassig waren auch die letzten beiden Abende mit Dolores Schmidinger, die mit ihrem Best of-Programm "Der Versuch der alten Dame" einmal mehr bewies, welch Sonderklasse sie unter den heimischen Kabarettdamen fährt, und den Jolly Friends, die ihren Ruf als Feiertagsmusiker längst abgelegt haben und nicht nur von der Show her, sondern auch musikalisch erstklassig sind. Grandios einmal mehr die beiden Frontmen Herbert Knötzl und Gerald Votava, die so manchen hochgejubelten Popstar alt aussehen ließen, und Drummer Bernd Jungmair, der es sichtlich genoß, dass das Publikum in Sampler-Zeiten wie diesen unendlich dankbar für seine mitreißenden Schlagzeug-Soli war. Schade nur, dass sich die Jolly Friends auf den heimischen Bühnen dermaßen rar machen, andererseits macht das wahrscheinlich auch ihren Reiz aus.

    Alles in allem also ein Super-Festival, das es - und das steht bereits fest - auch im nächsten Jahr wieder in der Remise geben wird. Und zusätzlich auch in anderen österreichischen Städten. Freuen wir uns!

    Anmerkung in eigener Sache: Nicht weniger als 22 Premieren finden diesen Herbst in Wien statt. Mehr darüber im nächsten Trottoir oder unter www.kleinundkunst.net. Willy Zwerger*

    *Willy Zwerger ist Herausgeber und Chefredakteur von Klein&Kunst, der einzigen Kabarett & comedy-Zeitung Österreichs

    Redaktion:Willy Zwerger  

    2000-09-15 | Nr. 28 | Weitere Artikel von: Willy Zwerger





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