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    Hundert Jahre Circus Krone

    „Krone“ ist heute ein weithin bekannter Markenname, der oft als Synonym für anspruchsvollen Qualitäts-Circus verwendet wird. Was umso erstaunlicher ist, je mehr das Wort „Circus“ in unserer Alltagssprache mit eher negativen Ereignissen und Zuständen in Verbindung gebracht wird, von vielen weniger erfreulichen Konkurrenzunternehmen einmal ganz abgesehen. Wie kam es dazu?

    Vor 100 Jahren, am 28. Mai 1905, feierte „Circus Charles“, hervorgegangen aus der gleichnamigen Menagerie, in Bremen in einem 36-m-Zelt Premiere. 1913 taufte dann Carl Krone sein inzwischen mit einem 4.000-Plätze-Chapiteau reisendes Unternehmen in „Circus Krone“ um. Auch der erste feste Kronebau auf dem Marsfeld, mit dem der Circus endgültig in München sozusagen sesshaft wurde, hatte 4.000 Plätze. Trotz unruhiger Räterepublik-Zeiten mit abendlicher Sperrstunde wurden die Premiere im Mai 1919 und die Vorstellungen danach ein Riesenerfolg. In den 20er-Jahren wächst der Circus ins Superlative: Zunächst reist der „König des deutschen Circus“ mit 8.000 Sitzplätzen, dann, ab 1928, sogar mit 10.000. Heute ist alles wieder ein wenig überschaubarer geworden; der größte Circus Europas ist Krone aber auch unter der Leitung von Gründer-Enkelin Christel Sembach-Krone geblieben. 4.500 Zuschauer finden in der reisenden Zeltstadt Platz, 3.000 im mittlerweile dritten Festbau in München.

    Wie kein anderes Unternehmen hat es Krone verstanden, zum festen kulturellen Bestandteil Münchens zu werden. In diesem Jahr tanzten beispielsweise die traditionsreichen Münchner Schäffler, die nur alle sieben Jahre in dieser Form an die Öffentlichkeit gehen, in jeder Vorstellung während der gesamten Faschingszeit zusätzlich zum regulären Programm. Früher traten zum Beispiel auch anlässlich der alljährlichen Benefiz-Gala „Stars in der Manege“ zu Beginn der Adventszeit Münchens SPD-Oberbürgermeister Christian Ude und Bayerns CSU-Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber zusammen auf, um mit Bauchredner Willer Nicolodis Hilfe „O sole mio“ zu interpretieren. Und manche Fernsehkamera lauerte bei den drei Premieren, die es in jeder Winterspielzeit im Kronebau gibt, auf lokale und internationale Prominenz. Dem unvergessenen Rudolph Moshammer (Münchner Modeschöpfer, Kostümbildner bei „Holiday on Ice“ und Krone-Stammgast) ist es sogar gelungen, seine Auftritte mit Rolls-Royce vor dem Eingang und mit Hund Daisy im Arm gewissermaßen als Sideshow zu inszenieren, denn allen anderen Gästen war und ist das Mitbringen von Tieren natürlich nicht erlaubt.

    Christel Sembach-Krone nennt im Programmheft-Vorwort zur Jubiläumsspielzeit die Tiere „die wahren Helden des Circus“. Deshalb müssen sie gerade in der Jubiläums-Winterspielzeit hier auch an erster Stelle, vor den Artisten und Clowns, genannt werden, und zwar sowohl die Tiere, die Krone gehören, als auch die, die hinzuengagiert wurden. Wenn man sieht, wie James Puydebois den indischen Elefantenbullen Colonel Joe (mit 3,50 m Höhe, 7 Tonnen Gewicht und 1,80 m langen Stoßzähnen derzeit der Größte und seit 2002 zu Krone gehörend) und die indischen Elefantendamen, die schon länger bei Krone sind (und früher von Banda Vidane bzw. Patricia Zerbini auf ihren jetzigen Leistungsstand gebracht wurden), in völlig verschiedenen Choreografien selbstständig arbeiten lässt – manchmal nur durch Zuruf von weit außerhalb der Manege angeleitet: Wenn man das sieht, wird man sich von keiner der Spendensammel-Organisationen mehr das Geld aus der Tasche ziehen lassen, die in fundamentalistischer Art und Weise allen Circussen die Tiere wegnehmen wollen. Denn man hat selbst erlebt, dass die Behauptungen dieser zum Teil aus dem Ausland gesteuerten Abzockvereine falsch sein müssen, weil sie die Beziehung des Tierlehrers zu den Tieren und umgekehrt völlig außer Acht lassen.

    Die ganz besondere Beziehung zwischen Tier und Mensch wird Kronebesuchern deutlich, wenn die Tierlehrer über das Stadium des Vorführens der Künste ihrer Schützlinge hinaus zu einem spielerischen Austausch mit diesen gelangen, der beiden Teilen sichtbar Vergnügen macht. Exemplarisch gelang das in den ersten beiden Programmen der Winterspielzeit 2004/2005 (das dritte Programm hatte erst nach Redaktionsschluss Premiere) John Burke und seiner Seelöwen-Patrouille (im und an einem echten Trabbi), Rosi Hochegger und ihrem schauspielernden Bettpferd Scout und Catharina Gasser und Sven Hölscher mit ihrer Comedy im Löwenkäfig. Ja, auch Löwen können ihr Spiel zum Schauspiel steigern! Gerne denkt man in diesem Zusammenhang auch an die „wilde“ Löwennummer von Martin Lacey Jr. aus dem Tourneeprogramm, die nur aus einem verlässlichen Vertrauensverhältnis zwischen Mensch und Tier heraus möglich ist. Oder wie derselbe Martin Lacey im vergangenen Winter zur großen Freude der Zuschauer im regulären Programm mit dem jungen, weißen Löwen King Tonga ganz allein im großen Zentralkäfig demonstrierte, wie man sich eine Löwenschule vorzustellen hat. Die Fortschritte dieses neuen Publikumsmagneten wird es im dritten Winterprogramm zu bestaunen geben.

    Christel Sembach-Krone und Jana Mandana mit Pferden und Zebras sowie Daniel Raffo und seine Tiger stehen für die traditionellen Tiernummern, die nach wie vor ihre Berechtigung haben und von derselben Liebe des Menschen zum Tier und umgekehrt erzählen. Wenn, wie in Jana Mandanas gemischter Pferde- und Zebranummer geschehen, die Zebras einmal meinen zeigen zu müssen, dass es nicht selbstverständlich ist, gegenläufig zwischen den viel größeren Pferden ihre Runden zu drehen, beweist die Art und Weise, wie ihre Lehrer das vorübergehend entstandene Chaos wieder ordnen, dass auch hier das gegenseitige Vertrauen gegeben ist.

    Obwohl in den beiden ersten Winterprogrammen das Bedürfnis des Circusfreundes nach Clownerie schon von einigen der Tiernummern abgedeckt gewesen wäre, fehlten auch die klassischen Entrees und Reprisen nicht. Das José Mitchels-Trio aus Spanien inszenierte eine höchst vergnügliche Wasserschlacht, Bonbon (Dänemark) & Tiina (Finnland) bauten das Federballspielen zum akrobatisch-skurrilen Entree aus, und Fumagalli (Italien), der mit dem „feuchten F“, zelebrierte zusammen mit seinem Bruder Daris Huesca und dem wie gewohnt souveränen Krone-Sprechstallmeister und Abendregisseur Nikolai Tovarich sein legendäres „Bienchen, Bienchen gib mir Honig“. Bonbon, Fumagalli und Daris sowie Natalia Mezentseva waren darüber hinaus für zahlreiche Reprisen verantwortlich, wobei der russische Humor Natalias (noch?) nicht immer auch auf Deutsch zündete. Die King Charles Truppe (USA) bot chaotisch inszenierten Basketball auf Einrädern, enthielt sich jeder naheliegenden Anspielung auf den Schiedsrichter- und Wettskandal im deutschen Fußball, zählte aber in ihrer dramaturgischen Funktion trotzdem eher zur Clownerie als zur Akrobatik.

    Alain und Martyn Chabri (Belgien) zeigten eine ungewöhnliche Kombination aus Stabjonglage, Kostümillusion und ertrommelten Wasserfontänen, Miguel Ferreri demonstrierte spanisches Temperament auf dem Drahtseil mit Rückwärts- und Vorwärtssalto, Pierre Marchand, Frankreich, Attraktion des „Circus Youth Festivals“ in Wiesbaden im Herbst 2004, ließ seine Diabolos tanzen, die Argentinean Devils trommelten und knallten mit ihren Bola-Kugeln, auch brennend, das Duo Olympia baute lebende Marmor-Statuen und die Sergejevs (Russland) posierten und sprangen bis zum dreifachen Salto auf dem russischen Barren. Das erste Winterprogramm schloss spektakulär mit der Truppe Borzovi und ihrem faszinierenden Luftschauspiel „Beauty of the Air“, das zweite Winterprogramm nicht weniger spektakulär mit den Multi-Flyers aus Pjöngjang, kurz vor ihrer Krone-Premiere mit dem Goldenen Clown 2005 von Monte Carlo ausgezeichnet, den vierfachen Rückwärtssalto im Repertoire, aber nicht in jeder Vorstellung gelingend.

    Auch in seinem hundertsten Jahr präsentierte sich Münchens Circus Krone in jugendlicher Frische, allem Neuen aufgeschlossen und experimentierfreudig. Neues wird dabei mit dem Traditionellen konfrontiert und muss diese Begegnung aushalten. Vielleicht ist das das Geheimnis des andauernden Erfolgs dieses beispielhaften Unternehmens.

    Redaktion: Manfred Hilsenbeck

    AdNr:1085b 


    2005-03-15 | Nr. 46 | Weitere Artikel von: Manfred Hilsenbeck





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