Kleinkunst  Straßentheater  Kabarett  Variete  Circus
        Agenturen  Wettbewerbe  Comedy  Galas  Festivals

 
 
 
Suche im Trottoir

Kategorien Alle Jahrgänge

Ausschreibung,Wettbewerbe

Artikel - gewählte Ausgabe
Meist gelesen
Statistik
  • Kategorien: 66
  • Artikel: 3588
  • Szenen Regionen :: Köln-Bonn

    [zurück]

    Ich lache, also bin ich?

    In Bonn macht sich das Kabarett auf den Weg – und zwar in die Oper. Im Februar stellten der zukünftige Bonner Schauspiel-Intendant Klaus Weise und Pantheon-Chefin Rita Baus ihr Projekt »Quatsch keine Oper« vor. Ab Herbst werden in loser Folge Kabarettveranstaltungen im Opernhaus über die Bühne gehen. Den Anfang macht am 30. September Helge Schneider, dem mit seinem neuen Programm »Verzeih mir, Baby« (begleitet von den Jazzern Jimmy Woode und Pete York) das Opernhaus am Rhein ausverkauft zu Füßen liegen dürfte.

    Die Idee für dieses ungewöhnliche Projekt stammt von Weise, der bereits vor längerer Zeit angekündigt hatte, über das städtische Theater hinaus den Kontakt mit anderen Bühnen zu suchen. Den regulären Opernbetrieb will Weise mit dem Kabarettprogramm um eine »andere Ästhetik« erweitern. Dem Opernpublikum will er die Kleinkunst näher bringen, und den Kabarettzuschauern die Oper. Man darf also gespannt sein auf die weiteren Auftritte von den Wise Guys (17.10.), Jürgen Becker und Didi Jünemann mit ihrer abendlichen »Frühstückspause« (20.11.), Brings zwischen Plüsch und Nippes mit »Weihnachten auf der Couch« (11.12.), den Missfits (24.1.), Gerhard Polt und Biermösl Blosn (18.3.), Volker Pispers (23.4.) und Horst Schroth (17.6.). (Zwei weitere Termine sind noch in Vorbereitung.)

     

    Ein singender Kolibri mit Elefanten-Hirn

    Auch Georg Kreisler hätte sicherlich keine Probleme damit, die Opernbühne mit einer gehörigen Portion Satire zu versorgen. Kreisler aber, der in diesem Jahr den Prix Pantheon in der Sparte Sonderpreis der Jury »Reif und Bekloppt« erhält, will am 1. Mai im Pantheon seinen letzten Bühnenauftritt bestreiten. Damit verabschiedet sich der bedeutendste lebende deutschsprachige Kabarettist von den Kleinkunstbrettern. 1922 in Wien geboren, prägte der Schriftsteller, Kabarettist, Komponist und politische Liedermacher wie kein zweiter die deutschsprachige Kabarett- und Kleinkunstszene nach dem zweiten Weltkrieg. In der Begründung zur Preisverleihung heißt es: »Bis heute hat er es nicht aufgegeben, seine Empörung über die Anmaßungen der Mächtigen dieser Welt uns unter die Haut zu singen. Und ganz gleich ob er nun knurrt, flucht oder lästert, um den nicht aussterben wollenden Spießern, den Stümpern und Trägen, Lügnern und Heuchlern Beine zu machen: es gerät alles mit einer großen Leichtigkeit. Ein singender Kolibri mit Elefanten-Hirn. Und manchmal auch Tritt. Ein Spitzbube mit Verschwörerlächeln. Ein Musiker und Dichter. Ein Radikaler. Bis heute.«

     

    Alle Menschen sollten trinken Bier

    Die Anmaßungen der Mächtigen treten in diesen Tagen wieder einmal allzu deutlich vor Augen. Ob man in Zeiten des Krieges lustig sein und Unsinn machen dürfe, fragte ein bestens gelaunter Dieter Nuhr auf dem 48. WDR-Kabarettfestival, das er moderierte. »Als wenn nicht vor vier Monaten auch schon Krieg gewesen wäre – nur woanders; aber es fällt halt nicht so auf, wenn die Amerikaner nicht dabei sind.« Da kann man froh sein, dass die unselige Debatte nach dem 11.9.2001, ob man noch Spaß machen dürfe, keine Neuauflage erlebte. Von derartiger Betroffenheit war an diesem Abend weit und breit nichts zu spüren. Vielmehr sorgte die Balaton-Combo aus Ungarn bei ihrem skurrilen Auftritt mit aufgeklebten riesigen Schnauzbärten für polkaselige osteuropäische Fröhlichkeit. Da mussten Hits von Abba (»There is a river in Budapescht«) über »Life is life« bis Mano Ciao vor Orgel, Bass und Schlagzeug kapitulieren und den musikalischen Unsinn mit ungarischen Sprechgesang über sich ergehen lassen. Neben »waghalsigen« akrobatischen Einlagen brachten die drei Musiker der Balaton-Combo auch noch gleich mit ihrer Tribut-Hymne auf Bier eine vermeintliche Lösung aller Probleme mit: »Alle Menschen sollten trinken Bier, dann wäre endlich Weltenfrieden hier. Lässt du Bier ins Glaserl fließen, hast du keine Hand zum Schießen. Scheiß auf Schießen, trinke lieber Bier.« So kann man es auch sagen, und Nuhr hatte wohl recht, die drei als »Bekloppte« anzukündigen. »Wenn Donald Rumsfeld noch mal über das alte Europa Scherze macht, dann kann man sagen: aber wir haben die Balaton-Combo.«

     

    Lachmöwe statt Bundesadler

    Einen nicht minder bemerkenswerten Auftritt absolvierte Michael Quast auf dem WDR-Kabarettfestival. Überraschte er zunächst mit einem kurzen Hörspiel aus Stimmgeräuschen, sorgte er im Anschluss daran umso wortreicher für kabarettistischen Klartext. Mit einer satirisch-bissigen Rede im rhetorisch-politischen Stil nahm er die »Alterslawine«, die den »jugendlichen« Leistungsträgern die Zukunft verschüttet, aufs Korn. »Wir leben längst in einer Gerontokratie mit stalinistischen Zügen. Die Diktatur von Kukident und Doppelherz.« Quasts Gebärden nahmen demagogische Züge an, die er mit sicherer Stimmmodulation konterkarierte, bis er schließlich auf dem Höhepunkt von Schimpf und Polemik abbrach und lakonisch bemerkte: »...irgendwann macht es keinen Spaß mehr.« Mit der Geige verhackstückte Quast anschließend die Nationalhymne, mimte einen singenden Chinesen, nölte ein russisches Heimwehliedchen und wechselte in arabischen Gesang (»damit würde ich zur Zeit nicht in der Fußgängerzone auftreten«). Mit einem ironischen Plädoyer für »Schluss mit lustig« beendete Quast den Abend. Bei der nächsten Revolution in Deutschland werde der Bundesadler von einen »Elferrat der besten Comedians« gegen eine Lachmöwe ausgetauscht: »Rideo ergo sum – ich lache also bin ich.« Zunehmend verwischte Quast die Grenze zwischen Ernsthaftigkeit und Ironie und gelangte zu einer Kritik der Spaßgesellschaft diesseits jeder Betroffenheitsgesten. Mit Schopenhauer verließ er die Bühne: »Es gibt nur einen angeborenen Irrtum, und es ist der, dass wir da sind, um glücklich zu sein.«

    Redaktion: Christoph Pierschke

     

     

    Terminauswahl/ Vorschau Juni bis September:

     

    - Pantheon Bonn

    3.-6.6. Rainer Pause und Norbert Alich »Kopf hinhalten«

    10.-29.6. 9. Pantheon A Cappella-Festival

    4./5.7. Die Nacht der Komiker mit Hennes Bender, Achim Knorr, Sebastian Krämer, Gregor Mönter und Ausbilder Schmidt

    22.9. 50. WDR-Kabarettfest (Moderation: Dieter Nuhr)

     

    - Atelier Theater Köln

    6.-9.7. Martin Sommerhoff »Die Wahrheit über Frauen und Männer«

    19./20.9. Die Lottis »Verstecken zwecklos – Ein unüberhörbarer Liederabend«

     

    - Senftöpfchen Köln

    4.-6.7. Arnulf Rating »Knapp daneben«

    28.7. Dieter Nuhr »www.nuhr.de«

    2003-06-15 | Nr. 39 | Weitere Artikel von: Christoph Pierschke





    Copyright © 2008 Quibo e.K.
    Alle hier erwähnten Produkt- und Firmennamen sind Marken der jeweiligen Eigentümer. Trottoir-online ist ein Online-Magazin für Kleinkunst - redaktionell aufbereitete Themenbereiche: Variete, Kabarett, Circus, Comedy, Straßentheater mit Agentur-News und Terminen von Festivals, Premieren, Wettbewerben und Ausschreibungen, Workshops und Weiterbildung.