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    Kabarett oder Cabaret?

    Gibt es  „deutsche„ bzw. „österreichische„ Kleinkunst?  

    - ein Gespräch zwischen Jörg Nauer & Martin Will, aufgezeichnet von Jörg-Martin Willnauer -

    J.Nauer: Eine der dümmsten Fragen die ich in dieser an dummen Fragen reichen Zeit gehört habe. Es ist wahrscheinlich einfacher, das Wetter an der Staatsgrenze abzustoppen, als Kunst auf Nationalität einzuengen.

    M.Will: Trotzdem gibt es Unterschiede zwischen den Kleinkünsten in Deutschland und Österreich.

    J.Nauer: Du meinst, weil man in Österreich die französische Schreibweise bevorzugt?

    M.Will: Nein, das unterstützt ja nur deine These von der Unhaltbarkeit nationaler Kunst. Aber schon der hochverehrte,  missverstandene und viel beklaute Karl Kraus hat  diesen Unterschied  festgestellt.

    J.Nauer: Da bin ich aber gespannt!

    M.Will: Er hat gesagt: Was die Deutschen und die Österreicher trennt, ist die gemeinsame Sprache.

    J.Nauer: Das war doch nicht auf die Kleinkunst gemünzt! Und die paar Austriazismen rechtfertigen noch keinen eigenen Stil!

    M.Will: Aber die besondere gesellschaftliche Situation in der Alpenrepublik provoziert geradezu einen eigenen Weg.

    J.Nauer: Du meinst die permanente Nabel-Show, die Wiener Larmoyanz und das kultivierte Selbstmitleid?

    Kontor für Kunst und KulturM.Will: Auch. Aber vor allem die barocke, katholisch geprägte hinter einem Kampflächeln versteckte österreichische Mentalität. Die lächelnde Unterwürfigkeit als Überlebensprinzip. Auf diesem widersprüchlichen Boden gedeihen viele Kabarettisten. In Österreich hat der doppelte Boden, der Unterschied zwischen dem Gesagten und dem Gemeinten seine Basis, hier rennt der Schmäh! In Deutschland (Ausnahme Bayern) wissen die meisten ja nicht einmal, was das ist! In Österreich ist man fast so grantig wie in Deutschland, aber wenigstens mit Selbstironie.

    J.Nauer: Du meinst: Selbstüberschätzung. Das ist wirklich typisch für Österreich: man hält sich immer noch für den Nabel des Geschehens und merkt nicht, dass man schon längst auf dem Abstellgleis steht. Der gegenwärtige kulturelle Einfluss Österreichs  auf Deutschland ist marginal.

    M.Will: Abstellgleis?  Helmut Qualtinger und Georg Kreisler? Gerhard Bronner und Karl Farkas? Josef Hader und Alf Poier? Marginal? Wo ist denn der deutsche Qualtinger?

    J.Nauer: Das ist doch eine lächerliche Vergleichsebene. Wo ist der österreichische Loriot?

    M.Will: Aber unbestritten hat Österreich  viele bedeutende Kabarettisten hervorgebracht.

    J.Nauer: Ja, einen Kardinal, der kleine Buben verführt, einen Außenminister, der in kurzen Hosen auftritt, einen vergesslichen und einen eitlen Bundespräsidenten, sowie zahlreiche Akteure, die mit der deutschen Sprache auf Kriegsfuss stehen.

    M.Will: In Österreich dominiert  eben eine katholisch geprägte Bildkultur, in Deutschland eine zweckorientierte Wortkultur mit protestantischem Arbeitsethos. „Schaffe, schaffe Häusle baue und nit nach die Mädle schaue!„, das singt kein Mensch in Österreich. Hier singt man: Verkaufts mei Gwand, i fahr in' Himmel!„

    J.Nauer: Wir wollen nüchtern bleiben: beide Lieder gehören in die Rubrik „unfreiwilliges Kabarett„. Konkret: wo ist der spezifisch österreichische Beitrag zur Kabarettgeschichte?

         M.Will: Das sprengt den Rahmen der TROTTOIRs! Nur ein Beispiel: ein

         österreichischer Kabarettist hat ein Lied geschrieben, das einen Minister

         gestürzt hat. In Deutschland haben 100.000 Franz-Josef-Strauss-
         Sketche nichts bewirkt.     

      

         J.Nauer: „Der Papa wird's schon richten„ von Gerhard Bronner ist a)
        schon über 40 Jahre alt und b) lässt sich ein politisches Fliegengewicht
        nicht mit dem Sumo-Ringer F.J. Strauss vergleichen. Die Zeit, in denen
        das Kabarett 
    Minister zum Rücktritt zwingen konnte, ist vorbei. In
        Deutschland und in Österreich. Was bleibt, ist  ein Sandkasten, in dem
        man  „politische„ Kabarettisten wühlen lässt. Und das hat  nicht einmal
        Ventilfunktion, das ist hier wie dort nur Alibi.

    M.Will: Trotzdem: in Österreich hat das Cabaret einen höheren Stellenwert als in Deutschland.

    J.Nauer: Weil die österreichische  Schreibweise nicht zwischen Puff und Bühne unterscheidet, oder weil Österreich in Jörg Haider einen braunen Kabarettisten hervorgebracht hat?

    M.Will: Weder noch. Aber hier wird das Cabaret von den Mächtigen noch ernst genommen. Das beweisen schon die zahlreichen Klagen, die Kirche und Rechtspolitiker gegen Kabarettisten angestrengt haben.

    J.Nauer: Aber das ist doch wie die österreichische Innenpolitik nur schlechte Operette.

    M.Will: Für die Angeklagten nicht! Außerdem hat Karl Kraus  Jacques Offenbach und dessen Operetten sehr geschätzt.

    J.Nauer: Meinetwegen. Aber die Offenbachschen Operetten haben wenigstens einen hohen Unterhaltungswert! - Mein Lieber, du hast dich verrannt. Es gibt keinen wesentlichen Unterschied zwischen „deutschem„ und „österreichischem„ Kabarett, nur viele Gemeinsamkeiten: beide sind politisch hilflos und beide haben den Markt überschwemmt. Und diese Inflation von Cabaret, Comedy & Co macht die Kleinkunst fast bedeutungslos. Hier wie dort fällt es immer schwerer, zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Kleinkunst zu unterscheiden.

    M.Will: Diese Unterscheidung gibt es nur in Deutschland. In Österreich hat man nie zwischen „freiwillig„ und „unfreiwillig„ unterschieden.

    J.Nauer: Und so nähert sich die Anzahl der österreichischen Kabarettisten unaufhaltsam der Einwohnerzahl.

     AdNr:1047t 

    2001-09-15 | Nr. 32 |





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