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    Katastrophen, Todsünden und Krimis in satirischer Verkleidung

    Im Renitenz-Theater in Stuttgart gab es die Premiere des Hausprogramms

    „Wohin mit Stuttgart?
    Ein Komet bedroht die Autostadt, in 92 Tagen wird die schwäbische Metropole nur noch ein Haufen Asche sein, bis auf den halbfertigen Tiefbahnhof als Überrest! Schon der Film vom Planeten zu Beginn auf einer transparenten Leinwand ist ein neues Stilmittel in diesem Theater.
    Geschrieben hat das Stück der Kölner Kabarettist Thilo Seibel, der auch in einem guten halben Dutzend Rollen zu sehen ist. An seiner Seite stehen die Schauspieler mit Musical-Ausbildung wie Claudia Dilay Hauf (Bild mit Thilos Seibel) , Viola Neumann und Björn Christian Kuhn.  Als musikalischer Leiter stand Andrew Zbik als Schlagzeuger am Bühnenrand, Regie führte Hans Holzbecher. 

    02_Claudia_Thilo_3e3439f2Der karrieregeile grüne Politiker, die linke Hand von OB Kuhn, bildet mit der Leiterin des Planetarium einen  Krisenstab. Sie wollen die Öffentlichkeit nicht informieren, damit es in Stuttgart nicht noch mehr Konflikte in der Bevölkerung gibt. Risse unter den Einwohnern gibt es schon bei Stuttgart 21, beim Dieselskandal, bei Fahrverboten. Alle möglichen lokale Themen werden in diesem satirischen Stück verarbeitet. Höhepunkte sind die Songs des Ensembles, die mal mit Begleitung, mal a Capella vorgetragen werden. Im zweiten Teil stehen diese Lieder im Vordergrund, starke Stimmen, gute Arrangement, ein Genuss, der Truppe zuzuhören. Der grüne Politiker wird von seiner politischen Tochter angegriffen, weil der Vater mittlerweile all seine politischen Ideale über Bord geworfen hat. Witzig auch ein Kennenler-Event Speed Dating in einer halbseidenen Kneipe, wobei der ständige blitzschnelle Rollenwechsel noch mal getoppt wird. Prominente wie Oettinger melden sich per Videobotschaft zu Wort. Er bedauert, dass er am Tag des Einschlags nicht in Stuttgart sein kann. Walter Sittler, einer der prominentesten S21 Gegner, kommt zu Wort, außerdem eine Reihe anderer Prominenter. Als herauskommt, dass es wegen einer Fehlberechnung nur noch 2,9 Tage bis zur Katastrophe dauert, wird Kontakt zu Russland und Saudi-Arabien aufgenommen, um eine Abwehrrakete zu bekommen. Der Wissenschaftler, der die Berechnungen gemacht hat, findet heraus, wie stark die Rakete sein muss, um den Komet in sieben Stücke zerspringen zu lassen. Diese treffen dann das Weiße Haus, die NASA und andere gemeingefährliche Objekte.

    Der Höhepunkt war ein Konzert für Stuttgart, mit eigenen Texten auf die Melodien wie „Time to say Goodbay, „Ruby Tuesday“ oder „Bochum“ in einer Parodie von Seibel. Die Darsteller, Regie und Musik, ein Glücksgriff und ein Höhepunkt in einer Reihe von Hausproduktionen. 


    DIE SIEBEN TODSÜNDEN – SEVEN HEAVENLY SINS

    Nach knapp drei Jahrzehnten arbeiten in Stuttgart Oper, Ballett und Schauspiel zum ersten Mal wieder zusammen. Alle drei Sparten haben seit dem Sommer 2018 einen neuen Intendanten. Es handelt sich um ein Ballett mit Gesang von Kurt Weill, Text von Bertolt Brecht und um ein Live Testimonial by Peaches, der bekannten Sängerin. Die einfühlsame Regie und das Konzept stammt von Anna Sophie Mahler, unterstützt von Peaches. Diese Inszenierung ist ein Abend zwischen Oper und Club, zwischen Show und Theater.

    Inhaltlich dreht sich das Stück um Anna. Zuerst ist sie eine brave Tochter, die alle Forderungen ihrer Eltern erfüllt. Dann will sie im Kabarett arbeiten, landet aber in der Abhängigkeit als Hure. Zuerst sehen wir einen Boxring, in der Josephine Köhler als Anna 1 gegen gegen einen Mann, dargestellt durch den Tänzer und Choreographen Louis Stiens, einen Schaukampf macht. Er gewinnt und bekommt den goldenen Mantel. Immer wieder singt Peaches als Anna 2 die berühmten Brecht-Weill Lieder auf Englisch, die musikalisch deutlich an andere berühmte Songs des Kreativ-Duos erinnern.
    Begleitet vom Staatsorchester Stuttgart unter der Leitung von Stefan Schreiber. Im Hintergrund  agiert ein Männerquartett der Oper mit Songs, die an Anna gerichtet sind, Annas Leben kommentierend, diesmal in deutscher Sprache. Am oberen Rand der Bühne kann man die Texte auf Deutsch und Englisch verfolgen. Beim zweiten Boxkampf gewinnt erst Anna 1, doch am Ende liegt sie wieder im wahrsten Sinne des Wortes am Boden. Symbolisch steht das für die junge Frau Anna für die Unterwerfung unter die patriarchal organisierte Welt. Alles ist sehr gut gesungen, gespielt und getanzt, das Stück ist spannend und kurzweilig, die Lichtregie taucht alles in passende Farben.

    Der Übergang vom ersten Teil, der 1933 uraufgeführt wurde, zum zweiten Teil ist ein beeindruckendes langes Solo von Anna 1 zum Thema Geschlechtergerechtigkeit heute, mal ernst, aber auch mit ironischen Zwischentönen.

    Der zweite Teil - Livetestimonial von Peaches – wird damit eingeleitet, dass der Boxring zur Decke schwebt. Eigentlich sollte Peaches danach herunter schweben, aber wegen eines Streiks der Mitarbeiter war das dieses Mal nicht möglich.  Übrig bleibt eine kleine zweite Bühne, das ebenfalls herunter sinkende Licht mit strahlendem Rot blendet teilweise die Zuschauer. Peaches als Anna 2 erscheint in knapper Kleidung, vor dem Busen sechs kleine Luftballons als Brüste. Die jeweilige „Sünde“ wird am oberen Rand angezeigt, die Übersetzung ist hier noch wichtiger, obwohl die Texte auf Englisch wie in der Popmusik üblich leichter zu verstehen sind als Brecht auf Englisch. Hier liest man dann Begriffe wie Völlerei, Wollust, Neid usw., die von Peaches spielerisch und textlich mit dem gesamten Ensemble dargestellt werden. Die Texte von Peaches sind deftig sexuell, sie fordert das Publikum mehrfach auf, Namen wie „dick“ im Chor mit zu singen. Alles ist natürlich lauter als im ersten Teil, hält sich aber  in Grenzen : Wer wollte, konnte sich auch mit  Ohrenstöpseln gegen die Lautstärke schützen, die am Eingang bereit lagen. Peaches klettert auch singend über die ersten Rangreihen, immer wieder von Bravorufen unterstützt.

    Den dritten Teil, diesmal ein Ballettsolo von Melinda Witham, ganz ruhig, fast pantomimisch, wieder mit dem großartigen Orchester im Hintergrund, beendet diese Vorstellung. Für Witham ist es auch der Abschied von der Bühne. Lang anhaltender Applaus, die Protagonisten müssen immer wieder auf die Bühne. Die Zuschauer durften an einem ganz besonderen Ereignis teilnehmen. Dies war schon vor der Premiere bis zur letzten Vorstellung ausverkauft. Nur wer großes Glück hat und über eine Stunde ansteht, kann noch eine zurückgegebene Karte ergattern!

     

    In der Rosenau in Stuttgart gab es zwei Auftritte, die sich mit den Stuttgarter Krimiwochen beschäftigten. Einen Schmetterball landeten Jo Jung, Ruth Sabadoni & Boogaloo. Sie bearbeiteten das Beatles Krimibuch von Christian Pfarr und Richard Lifka musikalisch. Der bekannte Sprecher und Schauspieler Jo Jung, der immer wieder für  den SWR arbeitet, präsentiert den Text lebendig und variationsreich. Sabadoni, eine Meisterin am Saxophon, und Boogaloo begleiten die Texte mit Beatles-Melodien, die jazzig angehaucht sind. Eine fulminante Mischung aus Text und Musik. Die Krimistory beginnt im Jahre 1965, als die Beatles ihren Film „Help“ drehen. Diese reale Situation wird mit einer fiktiven Krimihandlung vermischt. In einem Alpendorf, in dem die Beatles mit ihren Doublen die Skiszenen drehen, verliebt sich eine junge Frau in Ringo. Sie glaubt, dass er ihre Gefühle bei einem kurzen Gespräch erwidert. Und sie ist völlig enttäuscht und voll von Rachegefühlen, als sie am gleiche Tag erfährt, dass Ringo schon seit kurzem verheiratet ist. Als sie dann Ringos Double an einem Abhang stehen sieht, schleicht sie sich von hinten an und stürzt ihn in die Schlucht. Doch in Wirklichkeit hat sie ihren Bruder erwischt, der für Ringo die Skiszenen übernommen hat. Dieses Verbrechen bleibt Jahrzehnte lang geheim. Erst als die Täterin im hohen Alter aus ihrer Wahlheimat England per Brief ihrer Nichte die Tat schildert, löst sich das Rätsel. Auch was sich in den nächsten Jahrzehnten in dem Bergdorf und in England abgespielt hat, geht als Krimi mit allerlei Verwicklungen weiter. Natürlich dürfen neben den Instrumentalpassagen die von Sabadoni gesungenen Beatles-Titel wie   „Get back, Something oder Hey Jude“ nicht fehlen.Die Vorstellung, die schon lange vorher ausverkauft war, endete mit Ovationen für diese Gruppe, die ein absolutes Highlight erarbeitet hat. 

    Tod_unter_Gurken_BuchAm nächsten Abend saß  Kai Magnus Sting mit dem Programm „Tod unter Gurken“ auf der Rosenau-Bühne. Zunächst machte er einen langen satirischen Einstieg, um mit dem Publikum warm zu werden. Hier folgt eine Pointe auf die nächste, ein dichtes Alltagskabarett! Sein Spezialgebiet. Bestimmte Sätze oder Passagen mehrfach zu wiederholen, was beim Publikum immer wieder Lachsalven auslöst. Zum Beispiel der Hinweis auf einen feinen, kleinen Buchladen im Stuttgarter Westen, der mit Adresse, Postleitzahl und Straße immer wieder genannt wird. Hier kann man seine Bücher kaufen, wenn man es nicht sofort am Büchertisch neben der Bühne erledigt. Für seine Werke hat er sich tolle Titel ausgedacht, wie  „Die Ausrottung der Nachbarschaft“.

    Sein Vortrag ist mehr Kabarett als Lesung. Immer wieder unterbricht er spontan seine beiden Kurzkrimis aus „Tod unter Gurken“, immer wieder fallen ihm groteske Zwischenkommentare ein, Zwischenrufe aus dem Publikum beantwortet er mit genialer Schlagfertigkeit. Immer wieder übersetzt der Mann aus dem Ruhrgebiet,die Pott-Umgangssprache ins Hochdeutsche, womit er wieder die Lacher auf seiner Seite hat. Trotz Erkältung bringt er sein Programm souverän zu Ende. Nach der zweiten Geschichte „Die Blonde im Trench“ verabschiedet er sich mit dem passenden Satz „Den Rest muss man lesen“. Es lohnt sich, diesem sympathischen Dampf-Plauderer für einen Abend sein Ohr zu leihen.

    kleinerPawel_Popolski_Pressefoto1_Stephan_PickIm Theaterhaus Stuttgart präsentierte Pawel Popolski sein Programm „Außer Rand und der Band“. Der bekannte Entertainer, der Enkel des „Erfinders der Popmusik“, löst mit seinen Gags eine Lachsalve nach der anderen aus. Ständig trinkt er zur Leistungssteigerung einen Wodka und ein Teil des Publikums darf an dieser Sause teilhaben. Und dann ist er natürlich ein hervorragender Musiker. Ob er auf drei Kesselpauken „Highway to hell“ spielt, auf dem kleinen Schlagzeug ein Solo hinlegt oder sich bei den Songs selbst auf dem Klavier begleitet, das alles ist sehr beeindruckend. Ständiger Zwischenapplaus ist bei ihm Standard. Als dann noch eine Kollegin im engen Roten dazukommt, die augenzwinkernd mit voluminöser Stimme den Saal füllt, kennt der Saal kein Halten mehr. Alle springen auf und  tanzen Polka. Ein amüsanter Abend mit einigen Zugaben, das Publikum ist voll auf seine Kosten gekommen.

    Die Gruppe „Loisach Marci“ kam wieder mal ins Merlin. Auf einer Veranstaltung von Joe Bauer hatten sie einen  akustischen Gig gespielt. Im Merlin kamen bei Marcel Engler, der 15 Instrumente spielt, und Jens-Peter Abele, Gitarren, der Elektrobeat dazu. Traditionelle Lieder im modernen Gewand, das ist die Mixtur, für die sie bekannt sind. Ruhigere Momente mit Alphorn oder Mundharmonika , in denen auch die Texte gut zu verstehen sind, wechseln mit Disco-Lautstärke, bei der man ab und an Ohrenschützer gebrauchen kann. Nichtsdestotrotz tanzen die meisten im gut gefüllten Raum, an einigen Stellen wird auch mitgesungen. Beide Spieler haben einen hohe musikalische Qualität. Engler tritt in Lederhose und Filzhut auf, Abele in Lederjacke, Hornbrille und Kappe. Optisch sicher ein ungleiches Paar, musikalisch allerdings Seelenverwandte! Bayrische Feingeister und Avantgardisten, ein explosives Bühnengemisch.


    Vorschau

    Vom 4. bis 14.Juli findet in Stuttgart wieder das Jazz Open statt. Jedes Jahr spielen hier weltbekannte Jazzer und Rockpoeten, aber auch der Nachwuchs bekommt bei  Veranstaltungen eine Chance. In diesem Jahr stehen auf den Bühnen: Sting, Dylan, Dee Dee Bridgewater, die mit der „German Jazz Trophy“ ausgezeichnet wird, Bobby McFerrin, Chilly Gonzales, Chick Corea, Angelique Kidjo, Diana Reeves, Liz Wright, Jamie  Cullum, Christina Aguilera, Wolfgang Dauner und andere. Open Air am Schlossplatz, etwas intimer im Hof des Alten Schlosses. Dazu kommen das Sparda Welt Eventcenter und der Jazzclub Bix. Wie jedes Jahr ein heißes Gemisch aus Jazz und Rock, das von den Fans aus Nah und Fern gut angenommen wird!

    Termine

    Theaterhaus:

    03.05.19     Eure Mütter

    05.05.19     Familie Flöz

    09.05.19     Jürgen von der Lippe

    10.05.19     Erwin Pelzig

    12.05.19     Backblech

    15.-18.05.   Gauthier Dance

    16.05.19     Sigi Zimmerschied

    24.05.19     Hagen Rether

     

    Redaktion: Bruno Schollenbruch 


    Bildnachweis:
    Claudia Dilay Hauf und Thilo Seibel: Bild Renitenztheater

    Pawel Popolski Pressefoto: Stephan Pick

    2019-04-20 | Nr. 103 | Weitere Artikel von: Bruno Schollenbruch





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