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    Kleinkunst 2000 - fast nichts zu meckern


    Längst sind die Papphüte weggepackt, die weggeballerten Hände und Ohren wieder angewachsen und das - ohnehin vom Nebel verschluckte - Berliner Milleniums-Theater vergessen. Und es ist nicht anzunehmen, dass sich bei der Jahresrückschau 2000 noch jemand daran erinnern wird. Kontor für Kunst und KulturAusser vielleicht die Herren Manfred Maurenbrecher, Horst Evers, Bov Bjerg, Hannes Heesch und Christoph Jungmann. Deren „Jahresendzeitprogramm“ brachte im vergangenen Dezember bereits zum dritten Mal die Besucher im Kreuzberger Mehringhof-Theater zum Gnickern. In kleinen lustigen und hartnäckig ab Blatt vorgetragenen Stückchen befassten sie sich mit den Härten des vergangenen Jahres. Und ortsfremde Besucher in dem vom politaktivistischen Nachwuchs noch immer gern frequentierten Mehringhof dürften sich sogar richtiggehend subversiv gefühlt haben: Immerhin wurde das ganze Gelände Mitte Dezember von der Bundesanwaltschaft durchsucht, weil hier ein Sprengstoffdepot der linksterroristischen Revolutionären Zellen/Rote Zora vermutet - aber nicht gefunden - wurde.

    Im Januar fand auch Wortkünstlerin Sarah Schmidt im Mehringhof ein begeistertes Publikum. Nach der Premiere ihres ersten Soloprogrammes „Nee, nee, nee“ in der Kalkscheune, gastierte sie hier für zwei Wochen. Die einzige Frau der „Reformbühne Heim & Welt“ trug darin hübsch pointierte Texte aus ihrem Leben vor. Begleitet wurde sie am Klavier von Frank Augustin. Seine skurrilen Chansons siedeln irgendwo zwischen Pathos, Ironie und durchaus ernstgemeinter Message. Die stimmt manchmal etwas fassungslos. Etwa bei der Zeile „Der Arbeitslose braucht keine Arbeitshose“. Als besonderes Zückerchen an der Wiederaufnahmepremiere stiegen bei der Zugabe Sarah Schmidts Schwestern Susanne und Sabine - dem Publikum aus den vorgetragenen Texten bestens bekannt - auf die Bühne. Und sangen dreistimmig ein Lied gegen Beziehungensparasiten. Mit synchron gerecktem Mittelfinger. Das Publikum tobte.

    Um Beziehungen geht es auch im Programm „Über Samenspender und andere R-Güsse“ von Mai Horlemann, Natascha Petz und einer Annette. Im ersten Teil, der fast zwei Jahre lang gespielt wurde, hieß sie mit Nachnamen Berr. Im zweiten Teil, großer Erfolg im letzten Sommer, war die Chanson-Kabarettistin Annette Kruhl die dritte Frau. Sie ist auch im Februar wieder dabei, wenn die Premiere des dritten Teils der „Samenspender“ verzeichnet wird. Die Berliner lieben eben die Beständigkeit: Auch Thomas Pigor und Benedikt Eichhorn haben von „Pigor singt, Benedikt Eichhorn muss begleiten“ bekanntlich längst das „Volumen 3“ vorgestellt. Seit kurzem liegt es auch auf CD vor - erstmals in Studioqualität.

    Vielleicht kommt die Beständigkeit auch von den ganzen Bonnern. Nachdem sie nun alle irgendwo in der Stadt verstaut sind, beginnen sie allmählich, Spuren in der Besucherstruktur der Berliner Kleinkunstetablissements zu hinterlassen. Zum Beispiel in der Bar jeder Vernuft. Dort sind sie gern gesehen, weil sie ohne Meckern 45 Mark dafür bezahlen, auf ein paar Quadratzentimeter zusammengepfercht, von überfordertem Personal angeraunzt und mit teuren Kanapees gefüttert zu werden. Ausbaden können es dann Künstler wie Eckhard von Hirschhausen, der über Weihnachten für die erkrankte Gayle Tufts einsprang. Zusammen mit Tufts Pianist Rainer Bielfeldt, sowie zwei amerikanischen Gospelsängern, brachte der Conférencier und Zauberer das Publikum ordentlich in Stimmung. Auf ausuferndes Mitklatschen musste man allerdings verzichten, infolge der Plätzverhältnisse hätte der Nebenmann sonst leicht ein Paar aufs Auge erwischen können.

    Wohin sich das Tempodrom wandelt, nachdem es die alternativen Wurzeln gekappt hat (siehe Trottoir 1/99), ist noch nicht zu sagen. Chefin Irene Mössinger hat sich bei der neuen Spielstätte am Anhalter Bahnhof - man erinnert sich, das Zelt im Tiergarten musste der Kanzlerbaustelle weichen - für einen Neubau mit Faltdach aus Holz entschieden. Wie eine „Weltraumrampe“ sähe er aus, sagt die Chefin. Die Kreuzberger Grünen beklagten umgehend die „beängstigende Dominanz, die nicht zu einem alternativen und experimentierfreudigen Kulturbetrieb“ passe. Eigentlich ist es doch eher ein Grund zur Freude, wenn das dominierendste Gebäude weit und breit der Kultur, noch dazu der alternativen, gehört. Eröffnet werden soll im Herbst 2001.

    Ein Umzug steht auch bei Dieter Hallervordens „Wühlmäusen“ an. Nach 39 Jahren in einem Theater, dessen Zuschauerraum atmosphärisch an eine Tiefgarage erinnerte, wird er nun in das 1928 erbaute „Naafi“-Gebäude in der Nähe des Funkturms West ziehen. Vor der Wende wurde es von der britischen Navy - daher der Name im Volksmund - als Kino und Ballsaal genutzt. Nach der Eröffnung der neuen Wühlmäuse am 1. März soll das Angebot an Kabarett-Gastspielen erweitert und ausserdem mit Jazz angereichert werden. „In einer Zeit, wo andere Theater reihenweise plattgemacht werden, eröffnen wir ein neues“, sagt der Hausherr. Und daran gibt es ja nun nichts zu meckern.

    Geschlitzt wie gestochen

    Cora Frosts Abend mit Gaunerliedern aus Odessa. Zwischen „geschlitzt“, „gestochen“ und „geschossen“ spielten sich die traditionellen Gaunerlieder der russischen Hafenstadt Odessa ab, belehrt uns Cora Frost in ihrem Odessa-Abend „Nur für eine Nacht“. Mit der chemieblonden Mähne einer russischen Schnulzenkönigin - und dem dazugehörig dunklen Timbre - singt die Wahlberlinerin die eingedeutschten Traditionals in stets dramatischer Pose. Doch Cora wäre nicht Frost, wenn sie nicht alle paar Minuten in trockenen Zwischenkommentaren klarmachen müsste, dass es eigentlich gar nicht so gemeint ist. Sondern ironisch. Diese Distanzierung verträgt sich nicht mit der düsteren Sentimentalität der Lieder, auf die einzulassen sich die gebürtige Münchnerin offenbar nicht traut. Durch die Distanz nimmt sie alle Spannung aus einem eigentlich vielversprechenden Konzept: Zusammen mit dem Berliner Obdachlosenensemble „Ratten 07“ inszenierte sie diesen Abend für die Jüdischen Kulturtage im vergangenen Herbst. Davon zeugt auch der knackige Klezmer der Band. Hilft aber leider nichts: Die Langeweile kommt schon vor der Pause.

    Redaktion: Susann Sitzler 



    Termine

    Kalkscheune

    1.- 4. März: Die Popette Betancor „Damenbart“

    Mehringhof-Theater

    bis 18. März: Horst Schroth: „Herrenabend“

    21. März - 3. April: Bjerg, Evers, Jungmann & Maurenbrecher: „Fest-Programm“

    4. - 23. April: Volker Pispers: „Damit müssen Sie rechnen“

    25. April - 6. Mai: Sinasi Dikmen: „Wenn der Türke zweimal klingelt“

    BKA-Luftschloss

    1. - 4. März: Bo Doerek: „Bo Doerek ist Trumpf“

    4./5. März: Josef Hader: „Privat“

    7. - 12. März: Natural Theatre Company: „Scarlatti`s Revenge“

    16. - 18. März: Stermann & Grissemann: „Immer nie am Meer“

    AdNr:1047b 

    2000-03-15 | Nr. 26 | Weitere Artikel von: Susann Sitzler





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