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    Poeten, Clowns und Liedermacher - und Cajuns und Sinti

    Ich kann mich noch gut an die "wilden sechziger Jahre" erinnern, in denen Liedermacher, seinerzeit auch als Protestsänger betitelt, Hochkonjunktur hatten. Folkloristisches wurde mit politischen Inhalten eingefärbt und umgekehrt. Exponierte Vertreter dieser Bewegung waren Hannes Wader und Konstantin Wecker. Beide sind derzeit auf Solotour, allerdings auch im Doppelpack zu erleben, etwa in der "Nacht der Liedermacher". Und was sie dem allerorts frenetisch applaudierenden Publikum bieten, ist nicht (nur) ein Nostalgietrip in die Widerstandsromantik. Wecker und Wader sagen auch heute ihre Meinung zu den Dingen, um die viele von uns sich sorgen, propagieren engagiertes Eintreten gegen Unrecht und für eine Globalisierung der Mitmenschlichkeit. Sie  erzählen Geschichten, Ernstes und Heiteres, von "Damals", von den kleinen Dingen, die das Leben ausmachen ("Viel zu schade für mich")  und von dem, was Leben auf dem Planeten Erde schwer macht. Konstantin Wecker befreit seinen legendären Dialog mit "Willi" von Staub der Historie, singt von Joschka Fischers Steinewurf, dem drohenden ökologischen Kollaps und macht sich stark für all die, die "lieber protestieren als sich schmieren zu lassen." Das politische Lied erwacht aus dem Schlummer der letzten Jahrzehnte. Und Hannes Wader beschreibt die Scham, ein Deutscher zu sein, wenn etwa Deutsche auf Ausländer einprügeln. Auch  musikalisch sind die Beiden voll auf der Höhe: der Perfektionist Wader an der Gitarre mit seinem ihm ureigenen Stil des Folk-Picking und des klarer Gesang sein Markenzeichen ist, und  Konstantin Wecker, der  Poesie und Zeitgeist gleichermaßen kreativ in Worte und Töne fasst.

    Ungebremst sind auch die Kreativität und die Sensibilität für die Alltagsdinge von Herman van Veen. Dieser poetische Clown und Sänger ist in Worten nicht fassbar. Seine Vorstellungen haben Ereignischarakter, und seinen Zuhörern rennt die Zeit weg,  wenn sie versuchen, diesem komödiantischen tiefgründigen und zugleich schalkhaften Poeten aufs Wort zu folgen. Was er singt, inszeniert er, gibt den Gedanken Bedeutung und wird ertappt als weiser Hofnarr, der vorgibt, nur unterhalten zu wollen. Seine Alltagsgeschichten sind Humoresken, gepaart mit Persiflagen etwa über die Oper, die so prächtig wäre, wenn es keine Sänger gäbe. Und selbst die Witze und Anekdoten, die er einstreut, sind exzessiv auf die Spitze der Pointen getrieben.

    Mit "was ich dir singen wollte" ist  Herman derzeit auf einer 14-monatigen Welttournee. 

    Und dieses Konzert ist wohl das Beste, was ich in den letzten Jahren gesehen habe.

    In der letzten Ausgabe von TROTTOIR habe ich berichtet von Schnuckenack Reinhardt. Und es gibt wohl kaum ein Genre, in dem derart viele musikalische Gruppierungen zu hören sind, wie im Sinti - Swing. Anscheinend ist den Sinti diese Form des folkloristischen Jazz angeboren, die Traditionen aufrechterhält und sie auf imponierende und spannende Weise in die Neuzeit zu trahieren versteht  Moderne Elemente des Jazz werden eingebunden und im Two-Beat oder Sinti-Waltz neu umsetzt.

    Auch die New Generation lässt den Swing in neuem Glanz erstrahlen. Keine Chance für die Füße, die dem nicht enden wollenden Drive verfallen. Keine Chance, sich etwa dem Charme vom Mary Hopkins Eurovisionshit "Those were the days" zu entziehen, der mit dem Temperament und Flair des ungarischen Csardas versehen echt frisch wirkt. Gekrönt wird das Ganze mit dem Säbeltanz, gespickt mit Vogelstimmen, und einer brillanten Umsetzung des Standards "How high the moon".

    Immer wieder eine wahre Freude ist es, Hän`schen Weis, einen der markantesten Jazzgitarristen weltweit, erneut beim Festival zu hören. Im Duo mit dem Bassisten Manni Meyer strotzt er vor musikalischen Einfällen, die in einem nicht endend wollenden Groove mal hart, mal bluesig - soft ("Miriam") durch die Boxen geschickt werden.

    Unglaublich auch die Musikalität des  Jermaine Lansberger Trios, mit dem zusammen ich  einen der Top - Jazzgeiger dieser Zeit überhaupt auf der Bühne erlebe: Zipflo Reinhardt. Seine Spieltechnik und sein Gefühl verleiten den Geiger zu kreativer und virtuoser Saitenkunst. Im Getaumel des Turbodrive der Rhythm - Section bleibt er der ruhende Pol.  Seine bezaubernden Tonlinien in bluesig - balladiösen Stücken, in denen der Takt dem Herzschlag folgt, lassen das Auditorium hineingleiten in ein Wohlgefühl tiefer Harmonie. Phantasievoll auch die Soli des Trios, vor allem die des Pianisten Lansberger, der es versteht, in atemberaubende Improvisationen die Bandbreite der teils sehr freien Applikationen einzubauen.

    Und einfach Super , wie der "Hot Club de France" ein Freudenfeuer wahrer Lebenslust entfacht, bei dem die Zuhörer im Saal außer Rand und Band geraten. Beifallsstürme und Bravo -Rufe begleiten das swingende und groovende Quartett, das die Unendlichkeit des musikalisch Machbaren in seinem Gig zu präsentieren scheint. Schweißtreibende Tempi vertreiben selbst die Kühle des Abends. "Hot Club de France" gönnt sich und dem Publikum nur selten ein wenig Ruhe wie etwa im hinreißenden Arrangement von "Autumn Leaves".  

    Was den Sintis lieb ist, ist und war den Cajuns nur recht. Der Franzose und Wahlwesterwälder, der Akkordeonist und Gitarrist Yannick Monot und seine Formation "Nouvelle France" sind  live ein wahrhaftes Erlebnis und gehören seit vielen Jahren zu den wichtigsten europäischen Repräsentanten des Cajun und Zydeco, der schwungvollen Mischung von Two-Steps, Walzer und Afro-kreolischen Rhythmen. Die musikalischen Ausdrucksformen der Franco - Amerikaner, die im  Missisippi - Delta an jeder Ecke zu hören sind, kann Monot in einzigartiger Form mit seiner Band darstellen und erlebbar machen.  Der Rhythmus fiebert dabei den Melodien nach und erholt sich in bluesigen Balladen, die etwa von der Auswanderung und dem Neubeginn in den Staaten erzählen.

    Begeisterungsstürme entfacht  bei ihren Gigs auch der Mannheimer Band Mardi Gras b.b. Druckvoll und kreativ mischen sich Rhythmuspower, Synthiloops und effektvolle Bläsersätze zu einem Sound, der in die Beine geht. Partytime herrscht auf und vor der Bühne und entwickelt sich zum Hexenkessel des Freudentaumels. Das ist  schweißtreibender Funk, bei dem hinter Sänger Doc Wenz  "Sousaphone und Rumbakugeln zu einem fiebrigen Alptraum fusionieren."

    Zum Schluss noch ein Ausflug in die Klassik. Mit Werken aus 300 Jahren von Barock bis Gegenwart habe ich Sylvia Mel-André (Querflöte)und Johannes André (Klassische Gitarre) als Duo Con Moto gehört. Mit dem Programm hat sich das Duo keine leichte Kost ausgewählt. Umso erfreulicher, dass mit den notierten Vorlagen gleichermaßen versiert, einfühlsam und virtuos umgegangen wurde.  Unter anderem zeigten die Beiden mit zwei Werken aus "Histoire du Tango" des "Tango-Erfinders" Piazolla und Iberts "Entr´acte" ihre musikalisache Kompetenz für  die Gegenwartsklassik.

    Großartig setzte die Flötistin die Ruhe und Weite ausstrahlende "Ballade" für Querflöte solo des Polen Zgraja um. Spannend dabei die Spieltechnik und die dem Werk inhärenten Jazzphrasierungen. Zum Schluss des Abends überzeugten sie nicht nur mich mit zwei ebenso interessanten Kompositionen von Johannes André. Sowohl in "Promenade" als auch in "En vacances en France" bleibt André, der auch als Jazzgitarrist auftritt,  der Tradition der Latino-Jazzrhythmen treu und strukturiert und akzentuiert Lyrik und Harmonie zu einem Wohlklang für Gitarre und Flöte.

    Soviel diesmal.

    Frohes Fest - trotz allem - und ein hoffentlich gutes Euro-Jahr 2002 wünscht euch

    Redaktion: Bernhard Wibben

    2001-12-15 | Nr. 33 | Weitere Artikel von: Bernhard Wibben





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