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    Positiv dagegen

    Seit 20 Jahren steht Günter Grünwald auf den kleinen Brettern, die die Welt bedeuten, und erzählt Geschichten, dass sich die Balken biegen. Doch außerhalb des Freistaates ist der Ingolstädter bei Weitem nicht so populär wie innerhalb des blauweißen Landes – und wie er es verdient hätte. Seine ganz eigene Mischung aus Satire, allgemeiner und politischer, und sein Gespinst aus spinnerten, überschäumenden Geschichten und selbstironischen Einschnipseln, alles in dezentem Dialekt, sind von vergnüglicher Kurzweil. Und er hat ja Recht: Gestern war heute morgen (Blanko Musik / Sony Music 88697585922; 2 CDs, live, 8 Tracks, 53:16 Min. + 11 Tracks, 64:42 Min.), wer kann das bestreiten. Kindererziehung und Handys, religiöse (Über-)Empfindlichkeiten, Naziidioten, Fernsehkonsum, Katzenklappen und jede Menge alltäglicher Unbill werden in seinem Jubiläumsprogramm verwurstet. Wohlfeile Kabarettschmankerl.

    Volker Pispers, einer der Großmeister des politischen Kabaretts, tourt nun schon seit Jahren mit einer stetig aktualisierten Version seines Programms „bis neulich“ durchs Land, in dem er uralte, aber mitnichten veraltete Nummern mit neueren, kritischen Kommentaren zu einem Programm verbindet. Doch die Zeit eilt dahin, inzwischen gab es eine Bundestagswahl und es gibt eine neue Regierung mit alter Chefin. Pispers Anmerkungen zur Lage sind im Konkreten überholt, aber im Allgemeinen nach wie vor gültig. Da gab es noch einen Münte und Zumwinkel und Peter Hartz, Porsche fuhr noch (Börsen-)Gewinne ein, es wurde über die angeblich zu hohen Steuern, die Gesundheitskosten und die kapitalgedeckte Altersvorsorge gestritten (wie heute). Nokia und der Raubtierkapitalismus, die DDR als Billiglohnland für Ikea, die Mauer und ihre wirtschaftlichen Vorteile für die BRD: alles vergangen und doch aktuell. Geblieben sind Frau Merkel und die Angst vor wirklichen Veränderungen. Was Pispers live 2009 (con anima CA 26582 / ISBN 978-3-931265-82-3; 2 CDs, live, 15 Tracks, 70:55 Min. + 18 Tracks, 70:46 Min.) erzählt, passte gestern, passt heute und wird vermutlich leider auch noch übermorgen passen.

    Olaf Schubert, der menschgewordene Strickpullunder aus dem Vogtland, hat wieder Neues und Aufsehenerregendes zu berichten: Meine Kämpfe (WortArt 0151 / ISBN 978-3- 8371-0151-5; live, 8 Tracks, 65:08 Min.). Als Konzert angekündigt – nun gut, a bisserl singt er auch – ist er mit diesem Programm angetreten, eine Problemhierarchie zum Verstehen und Retten der Welt zu erarbeiten: Nr. 1 die Krise, Nr. 2 die Atomproblematik im Urin, äh, Iran, Nr. 3 der Nahe Osten, und der interdisziplinär-geschlechtliche Konflikt bildet die Nr. 4. Widmet er sich anfangs noch ein wenig der Nr. 6, der Umwelt- und Energiekrise, gilt sein Hauptaugenmerk, na klar doch, dem Kampf der Geschlechter. Hier schwadroniert er nun in seiner bewährt verwirrten und verwirrenden Art drauflos. Vorurteile, Wahrheiten, Ängste und Plattitüden – sein gedankliches Strickwerk scheut wieder keine verworrenen Knoten. Dann erklettert Schubert noch unhierarchisch die Alterpyramide, und mit einem Jugend-Rap beendet er letztlich wieder einen Spitzenabend. Der Vorhang fällt und alle Fragen offen, und der gute Mensch aus Plauen hat wieder alles erklärt – und wir nix verstanden.

    Die Wahlen sind vorbei, und wer einmal ein wenig in die skurrilen Untiefen unserer Parteien- und Medienwelt eintauchen will, der sollte sich Das Parteihörbuch (WortArt 0255; 2 CDs, 13 Tracks, 73:56 Min. + 12 Tracks, 35:03 Min.) nicht entgehen lassen. Die Crew der Satirezeitschrift Titanic hatte 2004 den Einfall, Die Partei (= Partei für Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative oder so ähnlich) zu gründen und bei den Landtagswahlen 2005 in NRW anzutreten. Kaum gegründet, räuberte die Partei mit einer unglaublichen Chuzpe überall Slogans, Formeln und Aktionsformen, um sich medienwirksam in Szene zu setzen. Gnadenlos und verwirrend werden das nichtssagende Blabla der heutigen Parteien in Wahlkämpfen mit dem autoritärem Pathos der Nazis und dem euphorischen Fortschrittsglauben der SED gemixt – und als besonderer Knaller wird der Wiederaufbau der Mauer gefordert! In grauen Billiganzügen haben es die satirischen Nachwuchspolitiker zu Medienpräsenz, einigen bescheidenen Wahlerfolgen und sogar zu einer Auslandsreise nach Georgien gebracht. Diese unglaubliche Mischung aus Unsinn, sinnlos und brillant-ordinärer Persiflage und politischer Camouflage des Parteivorsitzenden Martin Sonneborn und seiner Mann- und Frauschaft ist ein erheiterndes Lehrstück.

    Positiv dagegen (Bear family BCD 17034 AH; 16 Tracks, 83:40 Min.) setzte sich das Kabarett früherer Tage ab. Von den seligen Insulanern bis zu Arnulf Rating, von Neuss und Müller, Hildebrandt, Hüsch und Beltz, vom Schwarzmarkt bis zum Otto-Katalog reicht der Bogen des kabarettistischen Nummernrückblicks, der für die WDR-4-Sendereihe „Scheinwerfer“ produziert wurde.

    Das führende Kabarett-Label in Deutschland, WortArt, hat gleich zwei Zusammenstellungen aus seinem Verlagsprogramm im (Weihnachts-)Angebot: Das Beste aus 15 Jahren Kabarett (WortArt 0061; 2 CDs, 25 Tracks, 75:16 Min. + 31 Tracks, 76:13 Min.) und die Wahrheit über Deutschland Pt. 8 (WortArt 0182; 23 Tracks, 59:30 Min.). Illustre Namen mit gut verdaulichen Appetithäppchen für einen vergnüglichen, kleinen Kunstgenuss.

     

    Über die Verhältnisse

    Vor zwanzig Jahren startete der junge Tim Fischer seine Karriere als Sänger und seitdem hat er die unterschiedlichsten Lieder, Chansons, Masken und Rollen ins Rampenlicht gebracht. Aktuell steht er ganz unverkleidet und schlicht auf der Bühne, Tim Fischer singt Georg Kreislers gnadenlose Abrechnung (www.timfischer.de / Sony; 24 Tracks, 74:08 Min.). Alte und neue Lieder, ganz im Stile des alten Meisters ohne Schnörkel und Schminke, bringt er zu Gehör, die gesamte Breite des kreislerschen Liedschaffens. Verquaste Liebes- und verträumte Trennungslieder, ein sarkastisches AKW-Lied in Taubenmanier, Satirisches über den Euro, Schleimer und Politiker und einiges über menschliche Abgründe, Zweifel und das Gefühl, nirgendwo richtig hinzugehören. Mit seinem Pianisten Rüdiger Mühleisen gelingt ihm ein authentisches, abwechslungsreiches und dichtes Programm.

    Der alte Meister selbst hat gerade ein bemerkenswertes Buch verfasst: Letzte Lieder (Arche; ISBN 978-3-7160-2613-7; 156 S., 19,90 €). Es wird als Autobiografie von Georg Kreisler bezeichnet, doch der Klappentext verrät, dass hier keine „biedere Lebensbeschreibung“ vorliegt, sondern, dass einen „Paukenschläge“ und eine „Abrechnung“ erwarten. In der Tat, die biografischen Anmerkungen dienen vor allem dazu, seine Sichtweise auf die Welt, seine Situation und seine Umgebung darzustellen. Er schildert sich als einen eher un- und missverstandenen Künstler, der nur als Kabarettist wahrgenommen wurde und nicht als umfassender Autor und Komponist. Wo immer er auch lebte, er fühlte sich nicht angenommen oder heimisch. Im ganzen Buch wird eigentlich nur ein einziger Mensch positiv geschildert: Barbara Peters, seine dritte Ehefrau. Hier zieht nicht ein weiser älterer Herr eine differenzierte Bilanz, hier lässt ein zorniger Künstler Dampf ab. Dennoch erstaunen gelegentlich seine schlichten Argumentationsmuster, sei es z. B. über Wagner, Walser, Kraus, Atheisten oder das moderne Theater. Ein Buch, das viel aussagt über die Wahrnehmungen eines offenbar letztlich einsamen Künstlers.

    Jo van Nelsen und der Pianist Thorsten Larbig, zwei Herren aus kleinen Nestern im Hessischen mit Kurhintergrund, laden zu einem Wellness-Abend ein. Beziehungen und sich selbst finden, Campen und Kuren, Sport und Diäten: Wenn das nicht zum Wohlfühlen führt, was dann? In ihrem flotten Programm gehen die beiden dieser wichtigen Frage in freundlichem Streit und mit Liedern von Knef, Peter Lund, Raymond, Gernhard, Wartke, Balz/Stolz, Mary Roos, natürlich Kändler und mit eigenen Ergüssen nach. Erwartetes Fazit „vons Janze“: Um glücklich zu werden, hält man sich am besten fern von stressigen Beziehungen, langweiligen Kurorten, nervigem Sport und anstrengenden Diäten. Die aufmunternde CD: Was, Dir geht’s gut? (www.jovannelsen.de; live, 26 Tracks, 69:32 Min.) endet übrigens ganz passend mit einem makabren Tanz von Georg Kreisler über Ärzte und den Tod.

    Was Funny van Dannen so alles einfällt, verblüfft immer wieder. Wie er es schafft, aus den unmöglichsten Themen Lieder zu machen, die sich richtig gut anhören und dennoch stets ein klein wenig unbeholfen wirken, ist außergewöhnlich. Als Rächer geht er mit einer Katzenpissepistole auf die Banker los, und seine Umgebung provoziert und schockt er schon alleine mit dem ständigen, geradezu zwanghaften Wiederholen des Wortes „Sozialismus“ – er möchte eben manchmal auch „saugefährlich klingen“. Doch van Dannen erzählt auch von der Pflanzendisco sowie der ungewöhnlichen Tieransammlung in seiner Wohnung und deren Anspruchshaltung und sinniert über die Gefährlichkeit von Saharasand (JKP 995245064132 / Warner; 21 Tracks, 58:46 Min.). Kritisches, Melancholisches, Versponnenes und Alltägliches, mit Leichtigkeit, Ironie, viel Fantasie und musikalischer sowie inhaltlicher Raffinesse vorgetragen – auch diese CD von ihm macht wieder richtig fun.

    Erich Schmeckenbecher, der einst als einer der Zupfgeigenhansel Erfolge feierte, hat ein bemerkenswertes neues Album vorgelegt, das sowohl alte Aufnahmen als auch neue, unveröffentlichte Lieder enthält. Die ältesten vertretenen Aufnahmen der Zupfis sind noch von 1982, in den 90er-Jahren sangen „Erich und das Polk“ und heute arbeitet Schmeckenbecher als Solist und Produzent. In seinen eigenen Liedern begleitet er kritisch die Zeit; nachdenkliche Songs, die mehr Fragen als Gewissheiten beinhalten. Der titelgebende Song Aquarium (Polk Musik 003-18535; 16 Tracks, 59:27 Min., Infos) problematisiert zum Beispiel die Frage der Freiheit und Sicherheit des Menschen in seiner Umwelt. Auffallend ist auch, wie viele seiner Lieder mit anderen Größen der Szene entstanden sind, wie beispielsweise mit Ekkes Frank, Dieter Dehm, Mensching und Wenzel, oder Stefan Hiss bei den Musikern. Auch eine seiner Kramervertonungen und ein Volkslied, nämlich, ganz seiner Region verbunden, „de schwäbsche Eisenbahn“, sind vertreten. Er hat eine schöne, weiche, aber leicht raue Stimme, die Atmosphäre schafft. Und auch dank seiner gelungenen Kompositionen hört man diese Scheibe mit Freude.

    Johannes Kirchberg singt und spielt am Klavier Über die Verhältnisse (Acoustic Music 31914202 / rough trade; 14 Tracks, 51:57 Min.) und das macht er wirklich nett. Die Texte von Tom Reichel sind von erfrischender Boshaftigkeit und Kirchberg gelingt es gut, sie musikalisch umzusetzen. Aus dem Leben direkt gegriffen: Man sollte doch vor lauter Begierde nicht den Reichtum der Dame vergessen; kaum ein größeres Glück kann einem widerfahren, als eine neue, gute Putzfrau zu bekommen, und was soll man machen, wenn man sich nun mal nicht mag oder neben der Partnerin einfach nicht bestehen kann? Lieder, die einem über trübsinnige Abende hinweghelfen können.

    Manch eine hat’s ja nun wirklich nicht leicht: Hilfe, ich bin glücklich! (duo-phon records 02483; 16 Tracks, 35:29 Min.) klagt fröhlich Annette Kruhl, eine Ostwestfälin aus Berlin. Heitere Lieder, die sie selbst am Klavier begleitet, und Texte über Menschen, die sich doch irgendwie einsam durch die Städte und Provinzen, die Zeiten und Beziehungen schlagen. Zwei Texte hat Mai Horlemann beigesteuert, und besonders gelungen ist ihr die Umsetzung eines Gedichts von Erich Kästner.

    Endlich authentisch (Traumton Records 4527 / Indigo; 20 Tracks, 69:02 Min., Texte) kommen Maybebop daher, mit ihrem ganz eigenwilligen Mix von deutschem A-capella-Pop. Die vier Herren der Band aus Hannover, Hamburg und Berlin verbinden auf originelle Weise gute und witzige Texte mit raffinierten Arrangements. Ob über Stars im Alltag und Karrieren, über ihre Band oder nervige Zeitgenossen, Beziehungsprobleme oder Mondaufgänge von M. Claudius – die Gruppe findet immer den richtigen Ton. Das machen sie nun schon einige Jahre so und haben dabei eine hohe Professionalität entwickelt, und Spaß macht es ihnen außerdem. Dafür sind sie auch schon mit einigen Musikpreisen belohnt worden.

    Dass der kräftige bayerische Dialekt sich ganz wunderbar für deutsche Rockmusik eignet, haben schon einige Bands bewiesen, fünf Herren aus dem Chiemgau belegen es ein weiteres Mal. Nach Übersee (Trikont US-0400; 13 Tracks, 55:01 Min.) verschlägt es die LaBrassBanda auf ihrer zweiten CD. Trompete, Posaune und Tuba bilden die musikalische Basis, Bass und Schlagzeug komplettieren diese ungewöhnliche Formation. Ein mitreißender Mix der Stile ließ diese Band schnell nicht nur in Süddeutschland Erfolge feiern. Ihre erdigen Texte versteht man natürlich nicht überall auf Anhieb, aber die Musik geht in die Beine.

    Aus Übersee kamen einstmals viele berühmte Künstler extra zum Festival des politischen Liedes nach Berlin (DDR). Isabel Parra, Inti Illimani und Quilapayun aus Chile, Pete Seeger und Billy Bragg aus den USA, Perry Friedman aus Kanada und auch die kürzlich verstorbene Mercedes Sosa aus Argentinien waren neben Mikis Theodorakis und Maria Farandouri aus Griechenland, der Sands Family aus Irland und vielen anderen zu Gast bei dieser einzigartigen Veranstaltungsreihe. Hier sind noch einmal die Songs (Buschfunk 06352; 16 Tracks, 57.33 Min.) der internationalen politischen Künstler zusammengestellt worden, die auch westlich der Elbe, z. B. in der Friedensbewegung, bekannt waren und gesungen wurden (beispielsweise Venceremos, Grandola, Turn,Turn,Turn).

    Jazz-Lyrik-Prosa (Eulenspiegel; ISBN 978-3-359-01118-7; 24 Tracks, 79:03 Min., Infos), eine in den 60er-Jahren in der DDR sehr populäre Veranstaltungsreihe, hat sich Mitte der 90er neu formiert und ist nach wie vor sehr populär. Einem wortgewaltigen und sprachverliebten Dichter allein widmete sie sich in mehreren Auftritten: Peter Hacks. Jener klassisch geprägte Dichter, der aus München in die DDR übersiedelte und stets kritisch-treu die sozialistische Fahne hochhielt, blieb zeitlebens ein Exot. Er war zudem ein großer Spötter und um ein spitzzüngiges, aber auch humorvolles Wort und Werk nicht verlegen. Annekathrien Bürger und Cox Habbema, Gunter Schoß und Wiglaf Droste tragen die Gedichte, Texte und Anekdoten des Dichters vor. Und die Grand Dame des Jazz in der DDR (und seit jeher dabei), die wunderbare Ruth Homann, sorgt für den musikalischen Teil der Aufführungen. Eine köstliche und höchst anregende Unterhaltung.

    Eine andere Form für die Gedichte von Herrn Hacks findet der Kabarettist Marco Tschirpke. Er singt die Lieder zum Klavier, was ihnen einen Chanson-Charakter verleiht und sie etwas stringenter wirken lässt. Das Spektrum seiner Auswahl umfasst auch einige der politisch boshaften Texte, z. B. die Auslassungen über Gorbatschows vermeintlichen Verrat an den sozialistischen Ideen. Da der Dichter so trefflich zu formulieren wusste, kann man über manchen verstiegenen Text schmunzeln, selbst wenn man ihn inhaltlich unsinnig findet. Der Himmel ist voll Dampf (Verlag André Thiele; ISBN 978-3-940884-04-6; 25 Tracks, 42:05 Min.) und gelegentlich ist es gut, dass der Dampf aus manchen Diskussionen und Auseinandersetzungen raus ist und jenseits der tagespolitischen Kämpfe der Blick frei wird für einen bedeutenden Künstler mit all seinen Fähigkeiten und Fehlern. Am Klavier dieses außergewöhnlichen Programms spielt übrigens Frau Dr. Waejane Chen höchst ansprechend die tschirpkeschen Kompositionen.

    Wer jetzt von Annekathrien Bürger noch nichts gehört hat oder Ursula Karusseit nur als Charlotte Gauss und Gisela May nur als „Muddi“ kennt, dem sei dringend das Lexikon Schauspieler der DDR (Neues Leben; ISBN 978-3-355-01760-2; 480 S., 29,90 €) von F.-B. Habel ans Herz gelegt. Annähernd 750 Künstler sind mit ihren Arbeiten, Biografien und Abbildungen verzeichnet. Dies war wahrlich keine leichte Aufgabe, wenn man den Stand der Datentechnik seinerzeit bedenkt. Filme, auch Nebenrollen, Theaterengagements, Ausbildung, Familienverhältnisse und Partnerschaften – dies alles zu recherchieren und darzulegen ist in dem Buch gelungen. Von Carmen-Maja Antoni bis Simone von Zglinicki, von Manfred Krug bis Armin Müller-Stahl, von Eberhard Esche bis Dieter Mann, Gojko Mitic und Angelika Domröse ist ein umfassendes Kompendium entstanden.

    Ich mach ein Lied aus Stille (Kreuzberg Records kr10102; 21 Tracks, 46:45 Min., Texte) lautete 1973 in der DDR der Titel des ersten Gedichtbandes von Eva Strittmatter (geb. 1930), und so heißt auch das Liederprogramm der Sängerin Susanne Kliemsch und des Komponisten Manfred Schmitz am Klavier.

    Es ist kein leichtes Unterfangen, die sehr spezielle, sensible, kraftvolle, aber auch von Selbstzweifeln und -fragen getriebene Lyrik adäquat zu vertonen und zu singen. Es gelingt beiden sehr eindringlich, diese Balance zwischen Empfindsamkeit und Selbstbehauptungswillen musikalisch und stimmlich auszuloten. Susanne Kliemsch nimmt sich in ihrem Gesang sehr zurück, aber die Stimme bleibt trotzdem kräftig, und es gelingt ihr, diese Spannung zwischen dem Mit-sich-allein-Sein, aber nicht Verlorensein auszudrücken. Auch die Kompositionen von Manfred Schmitz tragen in ihrem Wechsel von leisen und kraftvollen Passagen dieser Spannung Rechnung. Der 70-jährige Musiker hat sich vor allem im Jazz hervorgetan, hat unzählige Gedichte vertont und war lange musikalischer Begleiter von Gisela May. Ein ganz berührendes Programm, das der Stille beim Zuhören bedarf.

    Interessant ist es dann, im Vergleich Eva Strittmatter selbst bei Lesungen ihrer Gedichte zu hören. Aufnahmen für den Hörfunk von 1973 bis 2001 geben Gelegenheit, ihr bei Lesungen aus mehreren Gedichtbänden zu lauschen. Ihre Gedichte zeichnen sich durch einen ganz eigenen, neuen Ton aus, sich in aller Öffentlichkeit selbst zu befragen, sich selbst ehrlich Rechenschaft zu geben und Selbstzweifel den Lesern kundzutun. Das alles geschieht ohne Larmoyanz oder Weltschmerz, sondern nur aus der genauen Selbstbeobachtung und der Ehrlichkeit heraus, die eigenen Unsicherheiten zu formulieren. Bemerkenswert auch ihre Naturgedichte, die vor allem durch den direkten Umgang mit der Natur in Schulzenhof, ihrem (inzwischen berühmten) Wohnort entstanden sind. Genau beobachtet und tief empfunden, aber ohne falsche Romantik sind sie sowohl direkt als auch metaphorisch eindrucksvoll. Musik von Chopin bildet die musikalische Umrahmung der Lesungen auf beiden CDs. In einer anderen Dämmerung (Ohreule; ISBN 978-3-359-01116-3; 2 CDs, 70 Tracks, 78:54 Min. + 8 Tracks, 78:43 Min.) ist ein bemerkenswertes Portrait von Leben und Werk einer der großen deutschen Dichterinnen. Wenn sie aus ihrem Leben erzählt, wie auf CD 2, spricht sie vor allem über ihren Ehemann, den Schriftsteller Erwin Strittmatter (geb. 1912), mit dem sie seit 1956 bis zu seinem Tode 1994 verheiratet war. Diese sehr anstrengende, aber auch erfüllte Künstlerehe war prägend für Leben und Werk von Eva Strittmatter. Man versteht diese Beziehung besser, wenn man ihre Gedichte kennt, und man versteht ihre Gedichte besser, wenn man etwas über die Beziehung weiß.

    Um Leib und Leben (Verlag Das neue Berlin; ISBN 978-3-360-01946-2; 224 S., 16,90 €) geht es auch in den Gesprächen, die die Journalistin Irmtraud Gutschke mit Eva Strittmatter in Schulzenhof geführt hat. Es waren sehr ausführliche und offene Gespräche, die viel offenbaren von dem, wie schwierig und befruchtend, wie belastend und verantwortungsreich es war, mit und neben einem großen Schriftsteller zu leben. Sie hat dessen Werk wesentlich begleitet und auch ermöglicht und sich mit ihrer eigenen Arbeit dagegen zu behaupten gewusst. Frau, Hausfrau, Mutter, Ehefrau und Künstlerin – es ist von außen kaum zu ermessen, welch ungeheure Leistung dahinter steht, unter diesen Lebensumständen solche berührenden Gedichte zu schaffen.

    Ein umstrittener Künstler ganz anderer Art war Francios Villon, jener Gauner und Dichter im fünfzehnten Jahrhundert in Frankreich, der sich immer wieder darum sorgen musste, dass er seinen Kopf aus der Schlinge bekam: Nur der, der lebt, lebt angenehm …(www.rolandjankowsky.de; 20 Tracks, 59:52 Min.). In Deutschland ist er vor allem durch die (umstrittenen) Übertragungen von Paul Zech bekannt geworden, die, vorsichtig formuliert, sehr frei waren. Manchmal mehr Zech als Villon. Diese hatte schon der geniale und verschrobene Klaus Kinski zur Grundlage seiner berühmten Interpretationen gemacht und Roland Jankowsky hat sie ebenso mit Roman Stumpf am Piano für seinen Vortrag genutzt. Es gelingen ihnen eigene, eindrucksvolle und abwechslungsreiche Interpretationen der bekannten Balladen vom Herrn Ranunkel aus Brabant, der dicken Margot, der Mäusefrau, dem Erdbeermund und den Lästerzungen.


    2009-12-15 | Nr. 65 |





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