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    Sei du selbst und pflücke den Tag

    Schmidts Tivoli, Kleinkunst-Kultstätte auf dem Kiez, wurde zehn Jahre alt - Corny Littmann, Norbert Aust und ihrer Crew sei Dank, die auch mit dem Schmidt Theater die Szene der Stadt fulminant aufpeppen. Gefeiert wurde mit einem mehrtägigen "Pflasterspektakel" auf dem Spielbudenplatz und einer neuen Hausproduktion.

    Das Musical "Swinging St. Pauli" erinnert unterhaltsam an dunkle Zeiten, als Hamburg Deutschlands Swing-Metropole war. Tivoli-Musikchef Martin Lingnau schrieb dafür abwechslungsreiche, an heutige Ohren ein wenig angepasste Titel, die ins Blut gehen, und ein kleines Ensemble unter der Regie von Stück-Autor Thomas Matschoß singt, tanzt und spielt mit Inbrunst und Verve. Das ist ein Hit, obwohl die so bittersüße wie ambitionierte, 1941 in "Leo's Bar" angesiedelte Story um Liebe, Freundschaft und Verrat Klischees ("die schöne Jüdin", "der fiese SA-Mann") nicht immer umschifft. Fazit: Die Musicalstadt hat wieder ein eigenes Lokalmusical - echt home-made und kein Industrie-Produkt à la Lloyd-Webber.

    Nebenan bei Schmidt sang und parlierte eine Frau von heute: Andrea Bongers (früher "Aprillfrisch MäGäDäM und Schwarz") verblüffte mit dem Geständnis, dass sie in ihrem Busen pure Märchenträume hege. Im fast königsblauen Abendkleid, einmal mehr von Ralf Schwarz an Piano, Keyboard und Gitarre kultiviert begleitet, gab die Bongers ihren Einstand als "Prinzessin von Barmbek". "Sag' nicht Tusse oder Schlampe, sag' Durchlaucht zu mir" und "Ein heißes Huhn lässt deine Seele fliegen" zirpte sie mit anrührender Stimme. Eine zeitgenössische Diseuse, die Poesie des Alltags mit spröder Erotik und charmantem Irrwitz verknüpft.

    Zwei Kiez-Nachbarn atmen auf: Matthias Kraemer und Sebastiano Toma dürfen mit ihren erfolgreichen Viermast-Chapiteau "Fliegende Bauten" immerhin ganz in der Nähe bleiben: an der Glacischaussee. Der private Grundeigentümer des bisherigen Platzes will bauen, da half der rot-grüne Senat und organisierte fix den neuen, räumlich großzügigeren Standort (wohl ab Januar 2002). Inzwischen begann im Blauen Zelt nach dem obligatorischen Sylter Sommer die dritte Hamburg-Saison: Riesenbeifall für The Ten Tenors aus Australien und ihrem musikalisch hochwertigen Spaß zwischen "La Bamba" und "La Bohème", anschließend gastierte erneut Le Cirque Invisible.

    Mit seiner schrägen "Sideshow" im Industriegebiet ist er in zwei Jahren zur Institution geworden - darum hört er jetzt auch damit auf. Kuriositätenkünstler Konrad Stöckel macht mittlerweile bundesweit den Freak mit Nummern wie "90 Wäscheklammern im Gesicht", "Glühbirnen knuspern", "Lange Nägel in die Nase schlagen" und "Fliegenmensch". Zwei Eintragungen ins Guinness-Buch der Rekorde und viele TV-Auftritte mehrten den Ruhm des 23-jährigen Schwergewichts mit der wirren Lockenpracht. "Fat King Konrads" Verdienst ist es, historische Nummern und Zaubertricks zu verjüngen. Jetzt verhandelt er über eine eigene Fernsehsendung.

    Bei seiner allerletzten "Sideshow" begeisterten u.a. Emmi und Herr Willnowsky, die russischen Musiker Natascha Böttcher und Sascha sowie die grandiosen Musical-Interpreten Robert Cole und Ruby Redwine. Stöckels vielfältige Reihe machte derweil Schule: Kerim Pamuk und Sebastian Schnoy im goldbekHaus (wir berichteten) sowie neuerdings Gunther Marx an der Mendelssohnstraße ließen sich zu eigenen Shows inspirieren.

    Nur scheinbar im Verborgenen blüht eine Kleinkunst-Institution in dieser Stadt- und das seit 55 Jahren: die "Wendeltreppe", Deutschlands somit ältestes Literarisches Kabarett. Ein fester Fankreis hält den Interpreten die Treue, zu denen heute auch Joe Luga und Gerlach Fiedler, Annette Mayer und Sylvia Anders gehören. Nach einer Odyssee durch mehrere Auftrittsstätten gastieren die seit 1988 von Kauffrau Marion Muschter geführten Wendeltreppler zweimal pro Monat im alten Ratsweinkeller. Im Mai zum 85. Geburtstag ihres Mitgliedes Friedrich "Fiete" Holst - Spötter, Lebensphilosoph und Literat - zum Beispiel zeigten sich die Interpreten Anneliese Braasch, Hildegund Carena, Christa Heise-Batt, Margot Schöneberndt, Georg Schulz und Heino von Gyldenfeldt in Text und Musik von ihrer besten, weil typischen Seite: Es ging urhamburgisch, besinnlich und optimistisch zu - und immer lebensklug so ganz im Sinne von  "Sei du selbst", "Pflücke den Tag" und vor allem "Scher' dich nicht um die Leute."                                                             

    Redaktion: Ulrike Cordes                                                                                                        

     

    Termine:

    Bis Mai 2002:  Deutschland-Tournee:  Matthias Deutschmann,  "Streng vertraulich", u.a. 26.-30.12. in Freiburg

    27.11.-31.12.:   Geschwister Pfister, Fliegende Bauten

    22. und 23., 25. und 28.12.: Hans Scheibner,  "Wer nimmt Oma? Zweiter Teil" Alma Hoppes Lustspielhaus


    2001-12-15 | Nr. 33 | Weitere Artikel von: Ulrike Cordes





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