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    Unser Land soll schöner werden

    Revolution

    Einen interessanten Vergleich der Rezeptionen von Liedern der bürgerlichen Revolution von 1848 ermöglichen mehrere neue Veröffentlichungen. Die vorliegenden Aufnahmen umfassen einen Zeitraum von über dreißig Jahren. Sie spiegeln in ihrer unterschiedlichen Interpretation auch etwas vom Zustand der Bundesrepublik wider. Den Anfang machte in den frühen sechziger Jahren der verdienstvolle aber fast unbekannte Peter Rohland: 48er Lieder- Lieder deutscher Demokraten (Thorofon CTH 2143). Er entdeckte sie wieder neu, schrieb, falls nötig, neue Melodien und trägt sie in einer kraftvollen, doch sachlichen Art vor. Er tastet sich noch etwas an dieses Material heran. Mit seiner Pionierarbeit, noch vor den 68er Unruhen, beeinflußte er wesentlich eine ganze Generation (heute noch bekannter) Liedermacher. Anfang der siebziger Jahre, die Zeiten waren voller Elan und die Rrrevolution war mancherorts eine beschlossene Sache, nimmt sich Dieter Süverkrüp der Lieder an: 1848 Lieder der deutschen Revolution (Conträr 8338-2/Vertrieb Indigo). Seine freche und ironische Vortragsart unterstreicht den agitatorischen Charakter der Lieder und ihre Aktualität. Man sieht sich in der Tradition der 48er Revolution und möchte sie weiterführen. Über 25 Jahre später, an der Schwelle zum nächsten Jahrhundert, haben sich in Leipzig eine Reihe hervorragender (DDR-)Künstler zusammengetan. Sie wollten mal wieder eine Session machen: Spielen, improvisieren und Spaß haben am künstlerischen Ausdruck. Sie produzieren 18 aus 48 Das Beste von der Barrikade (Loewenzahn/0341-2118495). Mittels sehr moderner Arrangements wird mit dem Material gespielt und ihm dennoch die Referenz erwiesen.

    Die Vereinigung von Ost und West gelang dann dem Deutschen Volksliedarchiv aus Freiburg auf dem Sampler: "...weil jetzt die Freiheit blüht" (Südwest Records 104-98). Ein illuster Kreis von Sängern (Liederjan, Duo Sonnenschirm, Hein & Oss, Biermann, Wacholder, Gälfiäßler u.a.) zeigt eine aufregende Breite von Stilen und Interpretationen. Es wird ironisiert, es wird modernisiert, aber auch Pathos und Inbrunst lassen sich finden. Ein spannendes Projekt.

    Alle vier CDs sind zu empfehlen, jede hat ihren eigenen Reiz, sie sind anspruchsvoll mit vielen Infos ausgestattet, ein Vergleich der Aufnahmen ist sehr erhellend.

    Opposition

    Hanns Ernst Jäger, ein 1973 verstorbener österreichischer Schauspieler, war ein bedeutender Brecht- und Tucholsky-Rezitator. Pläne hat seine Archive geöffnet und zwei CDs von ihm veröffentlicht: Bertolt Brecht  Songs Gedichte Prosa (Pläne 89003) und Opposition! Opposition! Texte von Kurt Tucholsky (Pläne 89006). Mit klarer Eindringlichkeit lotet er Tiefen exakt aus und bereitet dem Zuhörer ein künstlerisches und intellektuelles Vergnügen.

    Kabarett

    Eine Attacke auf Geistesmenschen (Kein & Aber Records/Vertrieb EFA) reitet Gerhard Polt. Dieses bayrische Urgestein beginnt immer ganz unscheinbar mit irgendwelchen Nebensächlichkeiten und zieht einen dann immer tiefer hinein in einen Morast menschlicher Ungeheuerlichkeiten. Keiner kann nur mit einem Gluckser, einem Grinsen soviel Schreckliches erzählen wie er. Haarsträubende Geschichten von Menschen wie Du und ....nein,  ich nicht.

    Ihm ebenbürtig droht uns Erwin Grosche: Wenn ich König bin...(Pendragom , ISBN 3-929096-70-6). Wollte Rio Reiser als König von D. mal fünfe so richtig gerade sein lassen, will Erwin Grosche es all denen heimzahlen, von denen er sich gepiesackt fühlt. Dieses Verdruckte, diese gehemmte und niedergedrückte Agressivität spielt keiner so gekonnt wie dieser Paderborner. Das Schönste, Teil 1 heißt die CD im Untertitel, das Grausligste ist wohl gemeint.

    Zum Klassentreffen (WortArt 78048) lädt Gabi Decker in ihrem zweiten Soloprogramm ein. Ob Karrierefrau oder Dummchen, Weibchen oder alternative Schlampe (die scheint mir allerdings aus der Resterampe zu sein) all die verschiedenen Damen und Typen/Klischees spielt sie mit Hingabe selbst. In verschiedene Rollen zu schlüpfen ist eine Spezialität von ihr, da kommt ihr komödiantisches und schauspielerisches Talent so recht zur Geltung. Sie kann dabei so entzückend trocken ordinär werden, was man dieser reizenden Dame ersteinmal gar nicht zutraute.

    Auch der Mühlheimer und Ex-Tornado Arnulf Rating schlüpft in seinem Programm Out of Bonn Schwester Hedwig kommt zurück (Conanima Verlag/Vertrieb BMG/Aris) gerne in Rollen. Der Hauptstadtumzug aus der Provinz Bonn in die Metropole Berlin ist sein Thema. Das nimmt er zum Anlaß allerlei Irrsinn rasant vorzuführen und aufzuzeigen.

    Feuer unterm Arsch (Con Anima/Vertrieb BMG/aris) möchte der Krefelder Achim Konejung machen. Für ihn ist der Umzug selbst ein Irrsinn. Euro (dezent nationalistisch die Nummer), Mittelalterspektakel, Schlagerrevivals, Talkshows u.a. werden mit und ohne Musik behandelt. Außerdem, so mosert er, seien Berliner unfreundlich und Currywurst schmecke nicht (na warte, alles Lügen!).

    Ein Kabarett besonderer Art bietet Massimo Rocchi mit adele! (Tudor 8178/Vertrieb in D: Schott Music Distribution; Mainz). Ein gebürtiger Italiener, in der Schweiz zuhause, macht ein Programm über Sprachen. Er erzählt von seiner Jugend in Italien und  seinen Reisen nach Frankreich, in die Schweiz und nach Deutschland. Die sprachlichen Besonderheiten jedes Landes stürzen auf ihn ein, er entwirrt und vergleicht. Ein europäisches Programm, aktueller und moderner als mancher unserer Kleinkünstler sich dies vorstellen kann.

    Unser Land soll schöner werden (BMG 7432161752-2) fordert Wigald Boning. Er macht keine inhaltliche Satire, Boning parodiert immer eher die Form. Allerlei Unsinniges in der Diktion ernsthafter Politikerreden: Horst Tappert als Bundeskanzler, für die Schönschreibreform, Super statt Euro, Deutschland muß unterkellert werden usw. usf.. Er macht es nicht schlecht, das ist ganz originell, ob's auf die Dauer ausreicht für eine Solokarriere, nach dem Ende der Samstag Nacht, wird sich zeigen.

    Wer Volksmusik Scheiße findet, Verona Feldbusch für bescheuert hält und auch sonst mit der Qualität der Fernsehprogramme unzufrieden ist, sollte zu Kalkofes Mattscheibe (FSR 5045-2) greifen. Der spricht Tacheles, deftig aber begründet werden hier herausragende Programmscheußlichkeiten gezaust. Nur im Interview mit Frau Reiber ist der Meister sehr zahm, die Dame hätte sonst aufgelegt. Eine CD wie ein Gewitter, unfreundlich aber  wohltuend reinigend.

    Drum singe, wem Gesang gegeben Donner, Blitz und Ofenrohr heißen die CD für Kinder und das dazugehörige Textbuch von Ingo Barz (Schnitterhofverlag/Tel.: 039972-50173; ISBN 3-931964-02-7 (CD); ISBN 3-931964-01-9 (Buch)). Die Kinderlieder dieses Liedermachers aus Mecklenburg sind realitätsbezogen aber auch märchenhaft, eingängig aber nicht simpel, er hat Verständnis aber stellt auch Anforderungen. Schöne Lieder, die in einem von Gudrun Hommers liebevoll illustrierten und gestalteten Buch nachzulesen sind.

    Die polnische Chansonsängerin Celina Muza wird in Deutschland immer bekannter als Madonna, Hexe und Clown (Duophon 01803). Sie singt ihre Lieder in deutscher Übersetzung, aber ihr leichter Akzent verleiht ihrem zurückhaltenden Vortrag einen geheimnisvollen Schmelz. Eine neue Farbe in der Palette der wachsenden Chansonszene, das östliche Nachbarland sorgt hier für eine echte Bereicherung.

    Mir ist so kirschlich (Artysan 280761/ Tel.: 089-168323) verrät uns Norbert Reck. Eine schöne, eine neue Metapher, die dieser schwule Liedermacher hier benutzt. Es geht um Liebe, Glück, das Leben und natürlich um Männer. Er besingt dies ganz natürlich, unaufdringlich und nett, so daß er auch über die Szene hinaus seine Zuhörer verdient. Er hat etwas zu erzählen, das, auch jenseits der Präferenzen im Liebesleben, Gültigkeit hat. Ein überzeugendes Debüt.

    Eine Hommage an das fahrende Volk (BMG/aris 74321582392) stellt der Schauspieler Andrè Eisermann in Liedern und musikalischen Intermezzos vor. Ein außergewöhnliches und gelungenes Programm. Er versteht es die Atmosphäre und die Faszination von Zirkus und Rummel einzufangen, ohne allzusehr den Klischees zu erliegen. Eine bemerkenswert schöne Aufnahme aus dem Hamburger Schmidt-Theater, die Beachtung verdient.

    Sieben lange Tage (Roof 983386) singen alea auf ihrer dritten CD natürlich nicht, sondern nur knappe, aber harmonische 55 Minuten. 8 Lieder voller Lyrik, nachdenklich, zeitkritisch aber ohne wirkliche Widerhaken. Das Quartett macht intelligente deutsche Texte, jazzige Chansons, die in ihrer Art einmalig sind. Schwer zu beschreiben aber sehr zu empfehlen!

    Alles nette Leute... (Tel.: 02227-80581)  behauptet Ekkes Frank, ein alter Bekannter, der sich nach langer Zeit wieder zu Wort meldet. Er ist ein dezidiert politischer und linker Liedermacher, für den sich die Gesellschaft noch in oben und unten teilt. Doch die einfachen Gewißheiten früherer Jahre sind dahin, der Sozialismus in Trümmern und die Gedanken leisten Schwerstarbeit im Hamsterrad. Soviel also zu seinen Inhalten. Da der Mann immer schon mit Sprache, Musik und Gitarre gut umzugehen wußte, wird diese CD jene erfreuen, für die "links" nicht nur ein Begriff aus dem Internet ist.  

     

    Kurz vorgestellt:

    Kabarett: Im Tiefflug durchs Land n Die ganze Wahrheit über Deutschland (wortArt 78043), 24 Tracks. Zusammenschnitt aus den CDs des Labels: Beltz, Nuhr, Arp, Wald, Priol, Quast uva. n Günter Grünwald: Arschgeigenparade (EFA 07140-2), 40 Tracks, 73:02 min.. Bayerischer Grantler mit Parodien, kleinen Schweineren und viel Sackfettwerbung.

    Münchner Lach- und Schießgesellschaft: das vertanzt sich (WortArt 78049), 22 Tracks, 74 min.. Anspruchsvolles tradionelles Nummernkabarett , Fortschreibung der Polka-Krise,  Deutschland nach der Wende (1989)

    Christoph Sonntag: Fundamt, Biberle &Co.(Merkton/BMG/aris 876710), 12 Nummern. Schwäbisches, Absurdes, der Dialekt verleiht manchem Gag erst Flügel.

    Tresenlesen: Kloidt Ze Di Penussen! (Roof 983380), 9 Nummern. Satiregeschichten aus Alltag und Chaos dieses literarischen Duos.

    Diether Krebs: Gestatten mein Name ist Krups! (WEA 3984-20526-2), 26 Lieder und Sprüche. Mit dem Mut zur häßlichen Maske gesungene Spießervisionen

    Bully: Feines Fressi (Zampano/BMG 74321578852), 40 Tracks. Comedy-Mensch von Pro7, Gags aus dem Tiefgeschoß des Humors, ist er genial minimalistisch oder einfach simpel?

    Mundstuhl Comedy! Nur vom Allerfeinsten (Columbia 4911382), 46 Tracks. Immer kurz und zackig die Nonsens-Gags dieses hessischen Duos.

    Stenkelfeld: Zugabe (Selected Sound 98003), 22 Titel. NDR 2 bringt wieder Neues aus Stenkelfeld,  in bewährter Manier.

    Liedertafel Rainer Luhn: Ungewöhnlich (Intermaster10001-2), 17 Lieder. Travestiekünstler aus der DDR mit voller rauchiger Stimme und breitem Repertoire. ¨

    First eight: war's das...? (0221-312245), 9 Lieder. A-Capella-Chorgesang acht junger begabter Sänger von Sopran bis Baß. ¨

    Nico Walser: Schlager Süss Tafel (Tel.: 0561-13968), 12 Lieder. Wessi bringt Comedy-Rap mit DDR-Bezügen. ¨

    Schwarze Grütze: Eintagsfliege (Tel.: 0172-5412160), 15 Titel. Makabarettlieder mit schwarzem Humor. ¨

    Reverend Jürgen & Igor: abenteuer in pippi-kacki land (Newtone 81024), 13 Titel. Duo mit deftig-ordinären, aber sinnigen Texten und abwechslungsreicher Musik.

    Alt aber gut!

    Rivalen der Comedian Harmonists: Warum, weshalb, wieso? (Duophon 01423), 22 Titel. Aufschlußreiche Übersicht über andere "Revellers"-Nachahmer der zwanziger Jahre. ·

    Ralph Benatzky: Ich lade sie ein, Fräulein (Duophon 01443), 23 Titel. Gelungener Überblick über das Schaffen dieses Komponisten und Stückeschreibers mit vielen großen Stars der Goldenen Zwanziger in Originalaufnahmen, leicht zerkratzt. ·

    Mischa Spoliansky: Es liegt was in der Luft (Duophon 01453), 22 Titel. Porträt dieses wenig bekannten Komponisten, der viele bekannte Titel hinterlassen hat, gesungen in Originalaufnahmen großer alter Stars.

     

     

     

     

     

    1998-12-15 | Nr. 21 |





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