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  • Themen-Fokus :: Unternehmenstheater

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    Wie können Künstler Theater in Unternehmen bringen?

    Künstler und Unternehmen: Was ist Unternehmenstheater und wie können Künstler Theater in Unternehmen bringen?

    artbild_275_improzessDSC_80Immer mehr Unternehmen buchen Unternehmenstheater. Sie wissen um die Vorteile die Ihnen die darstellenden Künste bei der Vermittlung von Botschaften bieten: Comedians werden gebucht, um interne Veränderungen einer Firma auch von der lustigen Seite zu betrachten, Musiker geben einen Trommelworkshop zum Teambuilding, Schauspieler drehen mit Mitarbeitern einen Film, in dem die Mitarbeiter ihre Vision für ihr Unternehmen zum Ausdruck bringen und Führungskräfte üben Konfliktsituationen mit Improspielern. 

    Auch für uns Künstler hat das Vorteile: Es gibt einen weiteres Gebiet in dem wir mit unserer Kunst unsere Brötchen verdienen können - dazu ist es sehr spannend in andere Bereiche eintauchen zu können und seine Kunst als Werkzeug statt zum Selbstzweck zu nutzen. 


    Trottoir wollte mehr darüber erfahren, wie wir Künstler mit Unternehmen zusammen arbeiten können und fragte Dörthe Engelhardt, Leiterin des Unternehmenstheaters »Improzess«. Sie spielt seit knapp 20 Jahren Improtheater, ist zudem ausgebildet als Personal- und Organisationsentwicklerin und systematische Organisationsberaterin. Sie arbeitet mit Künstlern aus ganz Deutschland daran, Unternehmen mit kreativen Mitteln durch Prozesse zu begleiten. Das Interview für Trottoir von Kassandra Knebel. 


    Kassandra KnebelWas ist Unternehmentheater?

    Dörthe Engelhardt: Ich nutze den Begriff, wenn ich in einer Organisation Theater spiele oder mit Theatertechniken arbeite. 

    Kassandra KnebelWelche Richtungen gibt es?

    Dörthe Engelhardt: Oh, ganz viele. Sogar welche, die sich untereinander nicht als Unternehmenstheater ansehen. Ich fasse den Begriff sehr weit. Ein für ein Unternhemen geschriebenes Stück ist auf jeden Fall dabei. Für mich ist aber auch ein Workshop mit Rollenübungen für angehende Führungskräfte Unternehmenstheater, da würden mir sicher nicht alle zustimmen. 


    Kassandra KnebelKunst im Unternehmen und auch Improvisation im Unternehmen - wie kann das aussehen?

    Dörthe Engelhardt: Rollenübungen z.B. sind sehr improvisiert. Die Mitarbeitenden müssen individuell reagieren und Universalrezepte greifen in der Improvisation nicht. Sobald Kreativität und Improvisation gefragt sind, bekommen viele Unternehmen Angst, weil sie das Ergebnis nicht steuern können. Die aber, die verstanden haben, dass man Neues nur sieht, wenn man auch mal an neuen Orten vorbeischaut, mit denen klappt die Arbeit mit Improvisation gut. 

    Natürlich hilft es ungemein, wenn der Ansprechpartner auch das Gefühl hat, dass wir ihn verstehen. Wenn wir nur noch "anders" sind, ist der Sprung ins kalte Wasser des Theaters schnell abschreckend. 

    Kassandra KnebelWas kann man dabei lernen?

    Dörthe Engelhardt: Was man wundervoll üben kann, ist das Vertrauen auf die eigenen Ressourcen. Niemand muss ein guter Schauspieler werden. Die Erfahrung, sich auf die Unsicherheit einzulassen und dabei auf Lösungen für Probleme zu kommen, das ist für viele ein echter Gewinn. 

    Kassandra KnebelWofür ist es gut?

    Dörthe Engelhardt: Gemeinsam entwickeln, sich einlassen, sich humorvoll distanzieren, Alternativen durchspielen, ganzheitlich denken, das ist ein kleiner Ausschnitt dessen, was möglich ist. Für mich ist Theater eng mit der Weiterentwicklung auf persönlicher Ebene oder auf Unternehmensebene verbunden. Wenn es nichts bringt, kann ich es auch bleiben lassen. Denn wenn ich im Unternehmen spiele, ist das ja der Auftrag. Und wenn ich das Theater ernst nehme, bringt es den Mitarbeitenden im Unternehmen ähnliches wie uns Künstlern: u.a. Authentizität, Klarheit, Sicherheit. 

    Kassandra KnebelCoaching mit Theater Hintergrund. Was ist das?

    Dörthe Engelhardt: Im Coaching beispielsweise können wir wunderbar die Praxis im Probenraum durchspielen, bis sich der/die Coachee sicher fühlt. Und dabei geht es eben nicht nur um Formulierungen - ich kläre wirklich das Rollenverständnis. Und wenn das nicht zum Erfolg führt, wird eine andere Rolle ausprobiert. Inklusive Körperarbeit. Und das macht dann richtig Spaß zuzusehen, wie Menschen sich in neuen Rollen plötzlich sicher fühlen. 


    artbild_250DSC_8077Kassandra KnebelBei welchen Problemen kann es helfen? Wie?

    Dörthe Engelhardt: Ich finde ja die Einsatzmöglichkeiten nahezu unbegrenzt. Theater ist einfach ein toller Hammer. 

    Wo immer Veränderung stattfindet, in Fusionen, Umstrukturierungen, in Seminaren und Trainings, hilft Unternehmenstheater. Es bietet die Möglichkeit, so weit zu verfremden, dass die Leute sich gerade noch wiedererkennen, dass sie die angebotete Realität annehmen, darüber lachen und nachdenken können. Ich finde es immer wichtig, eben nur so weit von der Lebensrealität der Zuschauenden abzuweichen, wie es nötig und hilfreich ist. Das müssen die Kunden oft noch lernen, die wollen manchmal gern den Alltag 1 zu 1 nachgespielt haben. Und das funktioniert so gar nicht. 

    Kassandra KnebelWo sind die Grenzen?

    Dörthe Engelhardt: Es gibt eben Situationen, wo ich davon abrate, Theater zu spielen. Beispielsweise mag ich nicht Erlebnisse von Menschen nachspielen, das kann ja nur scheitern, wenn ich 150 Regisseure mit einem fertigen Film im Publikum sitzen habe und dann als Außenstehende meinen eigenen präsentiere. Das wäre dann mal eine Grenze. Eine weitere ist, wenn der Kunde am Ende bitte ein bestimmtes Gefühl oder die selbe Einstellung für alle Mitarbeitenden garantiert bekommen möchte. Gehirnwäsche ist halt so schwer, wenn man die Leute eher zum selbstständigen Denken anregt. 


    Kassandra KnebelWelche Art Unternehmenstheater bietest Du an?

    Dörthe Engelhardt: Ich biete individuelle Inszenierungen, je nach Veranstaltung und Organisation auch gern teilimprovisierte Stücke, was ich unglaublich gern mache, ist ein Spiegel am Ende der Veranstaltung oder eines Teils davon. Daneben arbeite ich auch mit Gruppen an Themen wie Kommunikation, Führung, Team oder Präsentation. Und ich coache Einzelpersonen. Gerade bei den letzten beiden Arbeitsbereichen kommt mir der Beratungshintergrund sehr zugute, den ich ja auch habe. 


    Kassandra KnebelWer spielt eigentlich? Schauspieler oder Teilnehmer?

    Dörthe Engelhardt: Alle. Die Teilnehmenden wollen ja auch "gute" Mitarbeitende sein. Oder wie Goffman sagte: „Wir alle spielen Theater." 

    Kassandra KnebelWieviel muss das Unternehmenstheater vom Unternehmen vorher wissen?

    Dörthe Engelhardt: Neben der Veranstaltung direkt und den Zielen derselben finde ich es immer hilfreich, ein wenig in das Unbewusste der Organisation einzudringen. Wie funktioniert das System? Wie ist das aktuelle Ereignis / die Veranstaltung in die Geschichte des Unternehmens eingebettet? Und ich habe immer im Blick dass ich nach dem Theater gehe, dass die Angestellten aber bleiben. Für uns ist das alles ein toller Freiraum, das Verhalten der Angestellten während des Theaters, wenn sie beispielsweise mitspielen oder selbst etwas entwickeln, das bleibt da und wird sie begleiten. Das finde ich sehr wichtig im Blick zu behalten, denn da haben wir eine große Verantwortung, die Leute nicht bloßzustellen. 

    Kassandra KnebelIst Theater nicht total weit entfernt von der Arbeitsrealität in Unternehmen?

    Dörthe Engelhardt: Oft ja, und das fasziniert viele. Und das macht auch einen Teil der Faszination aus, die von uns ausgeht. Ich schüre das manchmal sogar, das regt die Fantasie so schön an. 

    Kassandra KnebelWie konkret sind die Ergebnisse, die man versprechen darf?

    Dörthe Engelhardt: Das hängt immer davon ab, was wir bewirken sollen. Ich kann versprechen, dass die Zuschauenden nachdenken, sich auseinandersetzen. 

    Kassandra KnebelWelche Rolle spielt Humor?

    Dörthe Engelhardt: Ich finde Humor einen sehr effektiven Weg in die Veränderungsbereitschaftsecke des menschlichen Gehirns. Manche sagen, dass Lernen und Veränderungen weh tun müssen. Ich denke, sie müssen Spaß machen, dann beschätftigen sich die Leute auch freiwillig damit. Also Humor oder die Peitsche. Ich bevorzuge Humor.

    Kassandra KnebelKönnen Dinge weg gelacht werden?

    Dörthe Engelhardt: Humor ist für mich etwas Anderes als nur zu lachen. Wenn ich durch das Lachen Spannung abbauen lasse und die nicht mit dem Thema verknüpfe, dann kann das Lachen schnell ablenken und für den Erfolg auch hinderlich sein. Nur dass man es oben auf der Bühne nicht unbedingt merkt, denn die Rückmeldung hört sich ja erst einmal positiv an.

    Kassandra KnebelWelche Arten von Kunst Kann man ins Unternehmen bringen? Welche Kunstformen sind für Unternehmen nützlich?

    Dörthe Engelhardt: Es gibt für viele verschiedene Kunstformen Kontaktpunkte: Theater, Malerei, Musik, Bildhauerei, im Grunde geht es immer um die Frage, was die gegenseitigen Erwartungen sind. Ich habe für mich eher den Anspruch, Kunsthandwerk zu liefern, also auch etwas abzuliefern, was der Kunde in Auftrag gibt. Künstlerisch wertvoll sähe manchmal etwas anders aus, vor allem dann, wenn es eher um den Prozess beim Kundensystem geht. Ich glaube, wenn ich im Blick habe, dass es eine Dienstleistung ist, die ich da erbringe, kann ich mit fast jeder Kunst ins Unternehmen gehen. 

    Kassandra KnebelWelchen Vorteil haben die Teilnehmer dadurch, dass sie Theater spielen?

    Dörthe Engelhardt: Ach, wo fange ich an? Sie denken anders, agieren freier, bekommen ein Training, das sie so humorvoll, anregend und effektiv selten erlebt haben. Das denke ich mir übrigens nicht aus, sowas sagen die auch am Ende. 

    Kassandra KnebelWas kann Theater, was andere nicht können?

    Dörthe Engelhardt: Theater ist ein sehr authentischer Weg der Kommunikation, und es gibt wenige, die sich darauf nicht einlassen können. Also ein niederschwelliger Zugang zur eigenen Entwicklung. Ich finde, dass es wenige Methoden gibt, die ähnlich mächtig sind. Und wer erst einmal begriffen hat, dass das Rollenspielen ohnehin zum Alltag gehört, freut sich sehr über die Möglichkeit zu trainieren. 

    Vielen Dank an Dörthe Engelhardt.
    artbild_610_Momentaufnahme

    Webinfo:Unternehmenstheater Improzess 


    Redaktion:
    Kassandra Knebel


     


    216|739 TG: Clownschule Uli Tamm . Klinik-Clown . Clownschule


    Photonachweis: Studiofotos:Lutz Jochem, Fotos live:Improzess
    2016-10-03 | Nr. 92 | Weitere Artikel von: Kassandra Knebel





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