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    Wie wird man Humorist?

    Wie wird man Humorist? (Duo-Phon 07063; 22 Tracks, 77:42 Min., Infos) fragte einst ein gewisser Herr Pfützenreuter und antwortete als Otto Reutter mit einer eindrucksvollen Karriere. Seine Rezepte waren simpel, klingen aber erstaunlich modern und funktionieren bis heute: „nichts Geistreiches“, „das Publikum ist genügsam“ und „lacht über jeden Blödsinn“ war sein Credo, hohe Gagen sein Ziel. Er hatte mit diesen Rezepten über Jahrzehnte einen überragenden Erfolg. Leben und Laufbahn dieses begnadeten Couplet-Dichters werden von Walter Plathe in der Hörkollage von Peter Eckhart Reichel mit Texten und Gesang höchst gelungen nachvollzogen.

    Heute wäre solch ein Komiker ständiger Gast im (Privat-) Fernsehen und dorthin hat es auch Christian Ehring als Anchorman (con anima CA 26548; 24 Tracks, 77:25 Min., Infos), als Nachrichtensprecher verschlagen. Alles lief super, bis kleinere Schnitzer offenbaren: der Mann hat Probleme. Ob Frauen oder Freunde, seine Therapie oder die große Politik, der Mann versiebt alles. Job weg, Freundin perdu – keine guten Nachrichten, nirgendwo kann der Mann mehr vor Anker gehen. So quengelt und singt er sich durch seine Psychoprobleme und die Probleme der Zeit, natürlich oberschlau und ohne jede wirkliche Einsicht.

    Bill Mockridge hat zugelegt: an Gewicht und Jahren, und da heißt es bei ihm immer öfter: Ihr Zipperlein kommet (WortArt 71470; 34 Tracks, 68:14 Min., live, Infos). Sechs Kinder (Buben), der Job und besagte Zipperlein machen dem guten Mann schwer zu schaffen und wir können unsere Freude daran haben. Dieses ganze neue Zeugs, von Handy bis ISDN, überfordert ihn zunehmend, ein Glück, dass es da die guten alten Boulebrüder noch gibt; ältere Herren unter sich. Gar nicht so leicht also mit dem Altern, aber gelegentlich schimmert durch all die Komik auch schon die Weisheit.

    Wenn Cordula Stratmann losschnattert, gehen die Gedanken über Stock und Stein. Also, eigentlich will sie ja ein Buch schreiben, aber puh, das ist gar nicht so einfach, und so schwadroniert sie erst mal vor sich hin. Depressiv machende Tannen, alte Schülerlieben, Beatles oder Rolling Stones, na und all so ein Tüdelkrams. Sehr unterhaltsam, aber hören müssen sie selbst, wenn die Dame aus ihrem Buch liest: Ich schreibe/lese, aber lesen/hören müssen Sie selbst (WortArt 71413; 14 Tracks, 64:11 Min.).

    Sind Geistliche nicht eigentlich auch irgendwie Kabarettisten? Zumindest die beiden Herren Greifenstein und Herrmann, die unter dem Namen: Erstes Allgemeines Babenhäuser Pfarrer(!)-Kabarett firmieren, sind es ganz gewiss, und gute zudem. Mach’s noch mal, Noah! (Greifenstein Tel: 0 60 73–22 26; 7 Tracks, live, 77:10 Min.) babbeln sie und schütten ihren zärtlichderben Spott aus über Gott und die Welt und über die Kirche als Institution, Gebäude und Symbol. Ihr Humor ist schwarz wie ein Talar und ihr Witz lieblich wie Äppelwoi. Ein munteres Programm (ihr viertes), das uns die große Menschelei in den frommen (und auch nichtfrommen) Organisationen offenbart.

    Die fleißigen Menschen von WortArt sind in die Archive geklettert und haben für eine SPIEGEL-Edition Das Beste aus 10 Jahren Kabarett (WortArt 71484 / Lübbe ISBN 3-7857-1484-X; 2 CDs, 11 Tracks, 75:31 Min. + 9 Tracks, 71:18 Min.) zusammengesammelt. Sie haben natürlich nur in ihren eigenen gesucht, die ja nicht schlecht bestückt sind, aber für diesen großen Titel würde einem schon noch der eine oder andere Name einfallen (und andere würde man für solch ein Projekt lieber vergessen). Die Herren Schmidt, Beltz, Rogler, Schramm, Nitschke und Schmickler sind u. a. mit Beiträgen vertreten und die beiden Damen L. Kinseher und K. Lachmann. Ein paar nette Appetithäppchen Kabarett, die gelegentlich Hunger aufs ganze Programm/die ganze CD machen. So war’s ja wohl auch gedacht.

    Silvana Prosperi und Thomas Busse, bekannt unter dem Namen Faltsch Wagoni, haben sich in ihrem Musikkabarett der deutschen Sprache angenommen und spielen und tüfteln mit Klang und Gesang immer am Sinn und Unsinn entlang. Deutsch ist dada? und Obst? (kip records 6027 / NRW-Vertrieb; 29 Tracks, live, 75:34 Min., Texte) ist ein Programm „in progress“, in dem die beiden miteinander und gegeneinander in abwechslungsreicher, musikalischer Form viele sprachliche Bilder wörtlich nehmen und folglich missverstehen. Ein intelligenter und witziger Hindernislauf durchs sprachliche Unterholz.

    Ernst Stankovski ist ebenfalls in seinem Archiv fündig geworden und dieses Material erschien anlässlich seines 75. Geburtstags: Lichtblau Ein Portrait (kip records 6026 / NRW-Vertrieb; 23 Tracks, 79:12 Min., Texte und Infos). Der Burgschauspieler, Quizmaster, Übersetzer, Sänger, Komponist und Kabarettist ist ein vielseitiges Talent, dessen unterschiedliche Qualitäten die CD widerspiegelt. Ob Villon oder Porgy und Bess, ob Zeitkabarett oder musikalische Alberei: die Beiträge aus fast vierzig Jahren machen nachdenklich und vergnügt, sind weitsichtig bis weise, persönlich, berührend und auch provozierend, sodass sich trefflich streiten ließe. Ein gelungenes Porträt eben.

    Als Peter Hacks im Sommer 2003 starb, belegten die Nachrufe vor allem eines: die Irritationen des Feuilletons über diesen außergewöhnlichen Dichter, der 1955 in die DDR übersiedelte. Er war ein Sprachkünstler von Rang, Kommunist bis zum Schluss, ein Freund der vollendeten Form und ein Polemiker von entzückender und verstörender Arroganz. F. W. Bernstein, Wiglaf Droste und Rayk Wieland, drei Herren, die selbst gerne eine geschliffene Feder führen, haben sich daran gemacht, den verblichenen Musensohn zu ehren, indem sie ihn vortragen. Der Bär auf dem Försterball (Ohreule ISBN 3-359-01073-6; 39 Tracks, live, 73:49 Min.) ist denn auch ein feinsinniger und heiterer Abend geworden, der Lust auf diesen noch zu entdeckenden Schriftsteller macht. Kleine, kurze Texte bringen sie zu Gehör, Anekdoten, Gedichte und Balladen, die einfach die Sprachvirtuosität von Peter Hacks belegen. Der Verlag wäre nicht schlecht beraten gewesen, der CD ein angemessenes Booklet zu spendieren, so ganz ohne wirkt die sehr erfreuende Scheibe unverdient lieblos.

    Walter Mossmann (Trikont; 4 CD-Box; Infos) gehört zu den politischen Barden, die im Rahmen der Protestbewegungen in der Bundesrepublik Politik- und Musikgeschichte geschrieben haben. Vor über vierzig Jahren fing der junge Mann an, Lieder zu singen, na klar Waldeck, wurde mit der Zeit zunehmend politischer und zu einem der Aktiven im Dreyecksland. Dazwischen immer wieder lange Pausen, heute kann er krankheitsbedingt nicht mehr singen. Bei Trikont sind jetzt seine Aufnahmen aus zwei Jahrzehnten auf vier CDs erschienen: Chansons (17 Tracks, 67:18 Min., Infos), Flugblattlieder (16 Tracks, 68:31 Min., Infos), Balladen (15 Tracks, 75:51 Min., Infos), Cantastorie & Apokryphen (10 Tracks, 73:17 Min., Infos). Die Lieder atmen den Geist ihrer Zeit (1963–1983). Sie sind anfänglich privat, zwischendurch agitatorisch und erweitern sich schließlich zu Collagen, um das zunehmend komplexere Verständnis der Welt auszudrücken. Er ist stark beeinflusst vom französischen Chanson, er arbeitet mit Volksliedern oder greift z. B. auf chilenische Lieder zurück, um gegen AKWs, gegen Diktaturen und für demokratische Traditionen zu singen. Eine bemerkenswerte Edition.

    Und es wechseln die Zeiten (Pläne 88906; 12 Tracks, 56:52 Min., Texte, Infos), findet Hannes Wader. Auch er hat sich seit Jahrzehnten mit politischen Liedern eingemischt. Seine Lieder klangen stets weicher als bei anderen Liedermachern, das ist gelegentlich kritisiert worden, sein Publikum hat gerade dies aber sehr geschätzt. Texte von Gryphius, Eichendorff, Hofmannswaldau und selbst Nietzsche hat er neben eigenen vertont und, für ihn typisch, zu einem Programm zusammengestellt. So steht Lyrik neben Politik, Volkslied neben Protest. Besonders empört ihn zu Recht, dass Nazis seine Lieder singen, dass diese Adaptation offenbar möglich ist. Eine Provokation, ein Phänomen, auch andere Künstler sind davon betroffen und erschüttert.

    Doch Hannes Wader kann nicht nur gut singen, seine warme, aber kraftvolle Stimme eignet sich auch hervorragend zur Rezitation. Wein auf Lebenszeit (Pläne 88907; 6 Tracks, 77:06 Min., Infos) heißt eine der Geschichten (und die CD) von Kurt Kusenberg (1904–1983), die Wader vorliest. Skurrile, kurze, wunderbare kleine Geschichten, wunderbar gelesen – ein ebenso wunderbares Weihnachtsgeschenk.

    Jan Degenhardt, Spross von Väterchen Franz, hat auf seiner zweiten CD Stimmen hinter’m Spiegel (Pläne 88905; 13 Tracks, 51:21 Min., Texte) gehört. Lateinamerikanische Rhythmen, Tango und Samba, eine eigenwillige Brel-Interpretation (Madeleine), Stimmungsvolles, Atmosphärisches und Zeitgeistkritisches bilden eine bemerkenswerte Melange. Sein kühler, kritischer Blick z. B. auf den anachronistischen Zug der Teilnehmer des Berlin-Marathons, ihre Selbstbezogenheit, die Eitelkeiten und ihre vergebliche Sinnsuche, ist hypersensibel und als Zeitmetapher originell. Die Degenhardts sind halt immer für interessante Projekte gut.

    Der große Munkepunke (Duo-Phon 07073; 6 Tracks, 66:15 Min., ausführliche Infos), ja, wer ist das denn nun schon wieder? Kennen Sie nicht? Dann wird es aber Zeit, „die lyrisch-groteske Welt des Alfred Richard Meyer“ (1882–1956) zu entdecken. Gelegenheit dazu gibt die hervorragende Hörcollage von Rainer Eckardt Reichel. Munkepunke steht für kauzige Gedichte voller Anmut und Grobheit, schräge Ideen und ein Leben voller Schrullen, zumindest bis 1933. Er wirkte inspirierend auf die literarische Gesellschaft Berlins und hat als Verleger Benn, Else Lasker-Schüler, Ringelnatz u. a. als erster veröffentlicht. Sein Leben, seine Werke werden auf der CD von Pigor, Goldzuhn und Schoß kongenial vorgestellt: Interessant, unterhaltsam und witzig.

    Die Liebe ist ein Geheimnis (Duo-Phon 05453; 21 Tracks, 67:56 Min., Infos) sang einst die Schauspielerin Hilde Hildebrandt, die selber immer etwas geheimnisvoll war. Ihre Schallplattenaufnahmen von 1932 bis 1936 kann man nun auf CD anhören, darunter auch ihr berühmtes Duett mit Gustav Gründgens: „Oh Gott, wie sind wir vornehm“.

    Redaktion: Rainer Katlewski

    2004-12-15 | Nr. 45 | Weitere Artikel von: Rainer Katlewski





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