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    "Äs Internett"

    Bis vor wenigen Jahren quälten sich Kleinkunstbühnen und freie Theater durch die warme Jahreszeit.  Je sonniger der Sommer desto tiefer und existenzgefährdender das Sommerloch. Gespielt wurde - if any - nur mit halber Kraft. Das Risiko, aufwendige Produktionen oder Gastspielhighlights aufs Programm zu setzen war in der Biergartensaison zu groß. Bis auf ein paar traditionelle Freiluftaufführungen, oder kommerzielle Großspektakel war der Hochsommer kulturelle Wüste.

    Doch in den letzten fünf Jahren hat sich diese Situation - zumindest im weinseeligen Teil Frankens - gründlich verändert. Die Würzburger Gastro- und Kulturszene üben den Schulterschluß. Neben Live-Musik bieten Weingüter, Biergärten, Schlossverwaltungen und Ausflugslokale jetzt auch Sommertheater. Für eine Saison verbünden sich eine Freiluftgastronom mit einer der obengenannten Spielstätten. Gezeigt wird, was ankommt. Entweder eine Produktion, die bereits im eigenen Hause ein Renner war oder eine "Best Of"-Revue.

    So spielte das Theater Chambinzky am Weingut Knoll den "Raub der Sabinerinnen", das Theater Ensemble gab im Efeuhof des Ratskellers den "Cyrano de Bergerac". Das Theater am Neunerplatz stellte dem Ausflugslokal Schützenhof gleich ein buntes Vollprogramm aus bewährten Eigenproduktionen und Lokalmatadoren zusammen. Als Krönung die Theaterproduktion "Cam­­ping Fontanelle" - eine flotten Satire über's Camperleben und den Erlebnisurlaub - hier wird der Sommer selbst zum Theaterthema.

    Mit Zuschauerzahlen, von denen die Kleintheaterszene während der Spielzeit nur träumt und Eintrittspreisen zwischen 20 und 30 DM wird Sommertheater zum Erfolgskonzept. Von ein paar Wettereinbrüchen abgesehen sind Gastronomie, Kulturbetriebe und Publikum gleichermaßen beglückt über diese joint ventures. Aus Not geboren, eröffnet sich so für einige Bühnen die Möglichkeit, im Sommer schwarze Zahlen zu schreiben und statt mit Schulden sogar mit einem kleinen Polster in die neue Spielzeit zu gehen.

    Auch die Kabarett-Edeladresse "Das Bockshorn" wollte oder konnte diesem sommerlichen Treiben nicht länger tatenlos zusehen, verschärfen doch besagte Programme die Konkurrenzsituation in den schwer bespielbaren Monaten Juni, Juli & August. Für 13 Vorstellungen zog man daher mit einem Kabarettspektakel eigener Produktion in den malerischen Schloßgarten Sommerhausen ein. Mit Achim Konejung, Angelika Beier und Frankens Kabarettstar Urban Priol hatte man ein hochkarätiges Trio auf die Bühne gestellt. Der Titel "Die Eurodeppen" und beachtlicher Werbeaufwand machten neugierig. Kleinkariertes Provinzdenken am Beispiel der fiktiven Gemeinde Güllenbach und unverdaute Eu­­­­­ro­­pa-Identifi­kation zu vergackeiern, war laut Presseankündigung die löbliche Absicht der Autoren.

    Doch der Spannung folgte Ernüchterung. Während beschwipste Touristen und die BILD-bürgerliche Zuschauerfraktion selbst bei durchsichtigster Satire an falscher Stelle ablachten, suchten viele Bockshorn-Stammbesucher und Priol-Fans mühsam nach inhaltlicher Schärfe und politischer Quintessenz der "Güllenbacher" Ochsentour. Heraus kam Volkskabarett Marke extralight; Patchwork aus Standardnummern der beteiligten Künstler, verdünnt mit Bauerntheater, Sexismen und Comedy as usual. Gewiß, es gab ein paar Schmankerln, wie die handwerklich brillanten Parodien von Herman van Veen, Dieter Thomas Heck, Herbert Grönemeier und - ganz neu - Xavier Naidoo. Auch mancher Wortwitz hätte mir  - in anderem Zusammenhang - durchaus gefallen, aber wenn die Stimmung kippt, ist eben nichts mehr zu machen. So leid's mir tut: zu light. Da wär doch mehr drin gewesen.

    Das Nürnberger Burg theater war mal wieder Talentscout mit gutem Riecher, als es ein Kölner Chansonpärchen der besonderen Art auf seine Bretter holte. Nur wenige Zuschauer wussten diesen Pioniergeist zu würdigen und kamen zum in Franken noch unbekannten Duo Malediva. Am Klavier sitzt eine Pianistin, doch die beiden Hauptakteure sind Männer, - bei näherem Hinsehen jedenfalls. Fernab von Travestie-Klischees und Tuntengetue gibt Tetta die kettenrauchende und distinguierte Diseuse mit dem wehmütigen Blick; ständig verwickelt in subtile Sticheleien mit Lo, von dem sie sich anscheinend getrennt hat. Denn "Liebe ist nur selten eine Beziehung, die man auf weniger als 30 Quadratmetern aushält." Lo, der schöne Glatzkopf, liebt alles, was ihm unter kommt. Momentan ist Lo allerdings ohne feste Beziehung, aber das hat auch was: "...braucht man nicht so oft duschen und Zähneputzen." Die beiden unnahbaren und doch so charmanten Kunstfiguren singen einzeln oder gemeinsam bitterböse und herzzerreißende Lieder und erzählen schräge Geschichten, über Sonntagnachmittage an Naherholungs-Seen voll mit Tretbooten; über Ausflugs-Cafés, in denen alles beige trägt, und in denen man Cremeschnitten und Kaffee portionsweise zu sich nimmt. Sie lästern über diese "Ekelpärchen", die selbst im Supermarkt Arm in Arm..., damit auch ja niemand ihr Glück übersieht. Das Duo Malediva alias Tetta Müller und Lo Malinke sind zwei spielfreudige und grenzenlos talentierte Jungkünstler, die mit ihrem Debüt-Programm "Lieder und Geschichten" zwar längst nicht am Zenit ihres Könnens angelangt sind, aber sich bereits auf einem Level bewegen, das viele ihrer Kollegen nie erreichen. Stilsicher und selbstbewusst durchbrechen sie den plüschigen Käfig, in den sich Travestie-Pro­gramme sonst so gerne einsperren und öffnen dieses Genre für das klassische Chanson- und Kabarettpublikum. Und Lo schwärmt mir nach dem Auftritt bereits von ihrem neuen Programm "große kundsd" vor,  in dem sie nur noch eigene Lieder verwenden und auch endlich einen festen Pianisten haben werden... 

    "Es ist schon eine kleine Sensation, dass zwei Charakterdarsteller, die mit ihrer Bühnenpräsenz jeder für sich schon ein großes Publikum begeistern konnten, ein gemeinsames Stück auf die Bühne bringen." So las sich die Programmankündigung für Andreas Giebel und Georg Schramm, die mit "Störtebeker" schon bei der Vorpremiere am 5. 10. im Bockshorn in Sommerhausen ein Kabinettstück abliefern, wie ich es bisher selten gesehen habe. Zwar steht ihnen der Probenschweiß noch auf der Stirn, manche Requisiten wollen noch nicht so recht, und der Schluss ist auch noch nicht rund, aber trotz dieser kleinen Tücken der Vorpremiere spürt man, dass den beiden hier der ganz große Wurf gelungen ist. "Störtebeker" ist ein spannend erzähltes Theaterstück, das derb und feinsinnig zugleich vier sehr unterschiedliche Männertypen zeichnet. Eine köstliche Posse mit schrägen, aber in sich stimmigen Figuren, garniert mit vielen Dialekten und einer Prise Psychologie, urkomisch aber niemals platt. Andreas Giebel ist als leicht anarchischer, bayrischer Kneipenwirt Schacherl und als stets nörgelnder Philosoph Klopstock, der in der "Schwerkraft den Feind des aufrechten Ganges sieht" zu sehen, während Georg Schramm die verkrachte Existenz des esoterischen Dienstleistungsvertreters Fred Hausmann und den einfacher strukturierten, hessischen Bempel gibt, der seinen großen Auftritt in einer Büttenrede hat. Allesamt nuancenreiche und hintergründige Paraderollen mit viel Dynamik und Vehemenz auf die Bretter gestellt, so dass am Schluss das Resümee bleibt: "Störtebeker oder die Geschichte einer Männerliebe" ist ein Bühnenvolltreffer zwischen Kabarett und Theater, wie man ihn nicht alle Tage zu sehen bekommt. 

    Ohne Werbung, doch ausverkauft ging die Vorpremiere des neuen Erwin Pelzig-Programms "Aufgemerkt!" über die Bühne des Würzburger Neunerplatz Theaters. Frank Markus Barwasser, - von Haus aus Journalist beim Bayrischen Rundfunk - ist in der Rolle des pfiffig-kauzigen Erwin Pelzig zur Kultfigur und zum Bannerträger unterfränkischen Dialekts geworden, vergleichbar mit dem Pfälzer "Heinz Becker" oder "Herbert Knebel" aus dem Ruhrpott. Im 4. Bühnenprogramm "Aufgemerkt!" zieht Pelzig seine persönliche Bilanz zur Jahrtausendwende. Er fragt direkt ins Publikum, was denn genau der Fortschritt des vergangenen Jahrhunderts war. Beim Weitsprung waren es zwischen 1900 und 2000 gerade mal 1,50 m. Anderseits wurde der Fön, der Kugelschreiber und andere bahnbrechende Dinge erfunden. Man hat jetzt die Neuen Medien wie "äs Schüsseli" (die Satellitenschüssel) und "äs Indernett", die Welt wird zum globalen Dorf, aber "Ich wollt' noch nie im Dorf wohne'!". Auch im politischen Bereich sieht Pelzig wenig Grund zum Jubeln. Als Feinde waren ihm die Russen lieber, denn jetzt, wo sie Freunde sind, muss man sich auch noch um sie kümmern. "Reiner Pflegefall!". Und ohne den Kalten Krieg hätte es auch James Bond nie gegeben!

    Mit Argwohn beobachtet Pelzig die Entwicklung vom Mensch zum Verbraucher, die bis zur völligen Vermarktung zwischenmenschlicher Beziehungen fortschreitet.  "Bald wird's Leute geben, die man bloß für's Zuhören bezahlt. Kopfnutten sozusagen, denn man möchte ja oben herum auch mal was loswerden."  Den Witz holt Pelzig aus seinen eigenbrötlerischen Schlussfolgerungen, die er aus Beobachtungen alltäglicher, politischer oder ethischer Phänomene zieht. So nutzt Barwasser die sympathische Unverblümt­heit  seiner Mundartfigur Erwin Pelzig um sorgsam recherchierte Inhalte, brisante Einsichten und unangenehme Konsequenzen zu transportieren.

    In den Ansbacher Kammerspielen waren seine beiden Vorstellungen mit jeweils 370 Plätzen schon Wochen vorher ausverkauft.

    Bühnen-Feature:
    Kammerspiele Ansbach

    Die Entstehung der Ansbacher Kammerspiele ist ein märchenhafte und zur Nachahmung empfohlene Erfolgsstory aus dem Kulturbereich. (Im Detail nachzulesen auf der Homepage mit der eigenwilligen Web-Adresse http://home.t-online.de/home/kammerspiele)

    Angefangen hat's 1991 mit einer kleinen Kulturinitiative, wie es sie ja vielerorts gibt. Man verstand es früh, wichtige Multiplikatoren und opinion-leader zu integrieren und so etwas wie eine Volksbewegung  zu initiieren. Während der Planungs- und Finanzierungsphase zum Umbau des alten Kinos "Kammer Lichtspiele" wuchs der Trägerverein explosionsartig und zählte zum Zeitpunkt der Eröffnung sage und schreibe 2700 Mitglieder, zahlende versteht sich.

    Heute man mit gut 3000 (Ansbach hat nur 40.000 Einwohner!) - einen stabilen und rekordverdächtigen Mitgliederstand erreicht, dessen Beiträge neben anderen Einnahmen den jährlichen Budget-Sockel bilden.

    Mitten im Zentrum gelegen, sind die Ansbacher Kammerspiele seit 5 Jahren nahezu konkurrenzlos der kulturelle Nabel der Region. 80 Veranstaltungen und 40 Filme gehen jährlich über die Bühnen. Neben den Ansbacher Lachwochen  ist Vielfalt das Programmkonzept: Konzerte, Kleinkunst, Theater, Kino, Tanz, Ausstellungen und Workshops. Das Haus verfügt über einen Saal mit  ca. 400 Plätzen und wunderschöner Empore, eine Kneipenbühne mit etwa 100 Plätzen, Gruppenräume und diverse Gastrobereiche.

    Ein Blick ins dicke Gästebuch zeigt, dass die Kammerspiele bei allen Künstlern, selbst bei solchen, die sonst in größeren Sälen spielen, einen hervorragenden Ruf genießen.

    Das alles wäre natürlich nicht ohne das Engagement vieler ehrenamtlicher Helfer und eine kleine äußerst professionell arbeitende Hauscrew möglich. (Kontakt: Ansbacher Kammerspiele, Maximilianstr. 29, 91522 Ansbach; Tel.: 0981-13756; Fax 0981-17640)

    Redaktion: Volker Peter
    1999-12-15 | Nr. 25 | Weitere Artikel von: Volker Peter





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