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    Aktuelle Kritik - „BESETZT! – Politik ist auch nur ein Geschäft“

    ... in den Stachelschweinen

    In wenigen Tagen wird in Deutschland gewählt. Da wollen wir doch mal wieder ins politische Kabarett, um zu sehen, was den Fachleuten zu Merkels Kuschelwahlkampf einfällt. Und vielleicht auch zum Umstand, dass die Opposition diesmal zur Vereinfachung des Prozederes kurzerhand auf die Teilnahme am Demokratieprozess verzichtet und vom Aufstellen eines ernstzunehmenden Gegenkandidaten abgesehen hat. Gehen wir also an einem Samstagabend, vier Wochen vor der Wahl, zu den traditionsreichen Stachelschweinen am Breitscheidtplatz. Nicht das aktuelle Wahlprogramm „Gestochen scharf“ wird gespielt. Sondern „BESETZT! – Politik ist auch nur ein Geschäft“. Das ist eine aktualisierte Fassung des Stückes, das bereits 2004 zum 55jährigen Jubiläum des Theaters entwickelt wurde. Aber das soll nichts heißen. Ende letzten Jahres hatten die Stachelschweine ja angekündigt, mit einem neuen Team frischen Wind ins Untergeschoss des Europacenters, wo das Theater residiert, bringen zu wollen. Und Autor von „Besetzt“ ist mit Volker Surmann immerhin ein Vertreter der Berliner Lesebühnenkultur, die seit den Neunzigerjahren einen neuen, schnellen und vor allem schnoddrigen Ton ins Bühnengeschehen bringt.

    Der Beginn ist gelungen und zeigt die Stärken des Hauses: schauspielerische Routine und eine funktionierende Bühneninfrastruktur mit Nischen und Nebenbühnen (Regie: Tatjana Rese). Schon während das Publikum sich setzt, wird es von einer weiblichen Lautsprecherstimme als Besuchergruppe im Deutschen Bundestag willkommen geheißen. Dass die Stimme – sie wird im Laufe des Stückes noch einige Male zu hören sein – offensichtlich der, sagen wir, Fünftplatzierten im Angela-Merkel-Stimmenimitationswettbewerb Berlin-Brandenburg zu gehören scheint, wollen wir nicht weiter interpretieren. Nun erscheint im Scheinwerferkreis vor dem roten Vorhang ein Mann im Pullunder (Oliver Trautwein), der sich als Heiner Schulz, Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Paderborn-Land vorstellt. Als stellvertretender Klärschlammverantwortlicher seiner Partei hat er heute seine erste Rede vor dem Parlament zu halten. Vorher muss er dringend aufs Klo. Der Vorhang öffnet sich und wir sind am Schauplatz der Geschichte: dem Toilettentrakt des Bundestages, dem Abtritt der Demokratie. Beim Betätigen der Spülung passiert ein Malheur, das Klo ist verstopft und die Handlung nimmt ihren Lauf. Wir erleben sie aus der Perspektive der munteren Klofrau Renate Plebs (Anna Dramski). Daneben gehört der sächselnde Hausmeister Ewald Völkner (Wolfgang Bahro) zum Personal. Beeindruckend ist die Vielzahl der Rollen, die sie im Laufe des Abends verkörpern, und die vergessen lässt, dass sie nur zu dritt auf der Bühne sind. Es sind Rollen vom japanischen Touristen bis zum Geheimagent des Verfassungsschutzes. Letztere ermöglicht zahlreiche Witze mit der Doppelbedeutung von 00 als Code für „Lizenz zum Töten“ und „Toilette“, von denen kein einziger ausgelassen wird. Ansonsten geht es darum, dass manche Politiker kein Rückgrat haben, der Innenminister in Terrorfragen zuweilen etwas überreagiert und die Bürokratie an allem Schuld ist. Letztlich auch noch darum, dass die Klofrau weggespart und durch ein elektronisches Drehkreuz ersetzt werden soll.

    Nach ungefähr 20 Minuten ist klar, dass hier keine einzige originelle oder auch nur aktuelle Pointe fallen wird. Wahlkampfkabarett ist heute Abend nicht. Dafür werden dem großteils aus Touristen bestehenden Publikum in immer kürzeren Abständen die Witze zum gezielten Ablachen geliefert. Wowereit „halluziniert in Schönefeld einen Großflughafen“. Brüll. Das Unisex-Klo ist in Berlin kein Problem, „weil man hier Männer und Frauen sowieso nicht unterscheiden kann.“ Prust. Die Klofrau könnte ja Dinge erzählen – „Wer hat sich schon mal gefragt, wo das Kind von Familienministerin Christina Schröder gezeugt wurde“? Gacker.

    Aber da ist der Lebensmut der Kritikerin für diesen Abend bereits erloschen und sie vegetiert an ihrem Tischchen nur noch dem Schlussapplaus entgegen. Er ist dröhnend, weil das nun einmal dazu zu gehören scheint, wenn man in Berlin einen Kabarettabend besucht und in Form des Ensemblemitglieds Bahro auch noch den fernsehbekannten Bösewicht Jo Gerner aus „Gute Zeiten Schlechte Zeiten“ zwei Stunden live erleben durfte. Politisch war das nicht. Aber es ist gerecht. Jeder Wahlkampf bekommt das Kabarett, das er verdient. Und die Stachelschweine haben das Ihre gegeben.

    Weitere Vorstellungen:
    9. September, 7. Oktober, 14. Oktober 2013.

    Redaktion: Susann Sitzler

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    2013-09-01 | Nr. 80 | Weitere Artikel von: Susann Sitzler


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