Wie schon in vielen Jahren zuvor haben die Gorillas, Berlins ältestes Improvisationstheater, auch 2014 ein internationales Festival - die IMPRO 2014 - auf die Beine gestellt; nach eigenen Angaben das größte Europas. In der Pressemitteilung steht: 40 Akteure aus 13 Nationen spielen 28 Shows an 8 Spielorten. Dieses Jahr ist der Schwerpunkt die Improvisation von Filmstilen.
Für diejenigen, die noch keine Impro- Show gesehen haben:
Die Darsteller lassen sich vom Publikum einen Begriff nennen, der sie inspiriert und spielen eine Szene oder ein Lied, in dem der genannte Gegenstand / Person / Gefühl eine Rolle spielt. Die Szene/ das Lied erfinden sie während sie spielen.
Ich bin gleichermaßen gespannt wie skeptisch. Da beim Improvisieren immer wieder alles - egal ob Form oder Inhalt - neu erfunden wird, ist mit Überraschungen zu rechnen. Aber ich habe schon so viele Impro- Shows gesehen, die meisten nach dem gleichen Muster, dass ich ein wenig befürchte, genau das Selbe wieder serviert zu bekommen.
Schon die erste Veranstaltung klingt vielversprechend: „In the air“ ist ein Impro- Multimedia- Experiment. Super - ein Experiment ist immer was Neues.
Randy Dixon, von Unexpected Productions Seattle, USA, in der Impro- Szene bekannt und geschätzt, moderiert und leitet den Abend.
Die Bühne füllt sich: Drei Teams mit je 4 Schauspielern, einem Kameramenschen und einer Assistenz werden mit der Handy- Kamera bewaffnet in die Stadt hinaus gehen und dort improvisiert drehen.
Zuvor stattet das Publikum jedes Team mit einem Begriff (Bar Mitzwa, Astronaut, Tagebuch) zur Inspiration aus. Die Szenen draußen in der Stadt, werden live auf eine große Kino Leinwand im Theatersaal übertragen und gelegentlich werden einige Darsteller dazu live auf der Bühne spielen.
Ich finde das aufregend. Besonders gespannt bin ich, ob das mit der Technik gut klappt, schliesslich wird nur per iphone gefilmt. Das Bild und der Sound sind überraschend gut. Zugegeben – manchmal muss man sehr genau hinhören, um die Spieler zu verstehen und es ist aufgrund der Auflösung auch nicht immer möglich Ihre Emotionen von den Augen abzulesen.
Nichts desto trotz: Das Experiment ist gelungen. Der Kino-Look haut hin und die Schauspieler spielen für die Kamera, das heißt weniger expressiv und langsamer als auf der Bühne. Eine tolle Leistung, wenngleich die Geschichten, die sie erfinden etwas schleppend voran kommen. Aus Bar Mitzwa wird die Geschichte zweier Männer in einer Bar, die zum Judentum wechseln wollen, die zweite Geschichte erzählt das Casting zum Film „Der Astronaut und seine Frau“ in einem Büro und das Tagebuch findet sich in der Geschichte vierer haltloser Jugendlicher wieder, die in einer Graffiti- besprayten kreuzberger Bahnunterführung zu HipHop Beats Probleme wälzen.
Randy Dixon behält den Überblick und regelt, welches Team, wann hochgeschaltet wird und wer die Bühne betritt.
Es wirkt, als sei wenig technischer Aufwand betrieben worden: 4 iphones wurden auf selbstgebastelte Halterungen montiert und 4 Notebooks stehen auf Tischen am Rande der Bühne. Der Kabelsalat hält sich absolut in Grenzen und es gibt keine mysteriösen Geräte, die zwischengeschaltet wären.
Was man nicht sieht, ist die großartige technische Leistung der Firma Ape Unit: Trotz dass die Szenen direkt um die Ecke in Kreuzberg aufgenommen werden, laufen sie - bevor sie im Bruchteil einer Sekunde später auf der Leinwand erscheinen - über einen Streamserver im weit entfernten Irand. Wunder der Technik. Also doch nicht so simpel.
Der personelle Aufwand ist immens: Neben den Schauspielern, Kameraleuten, Assistenten, Regisseur Dixon, Musiker Gilly Alfeo vom Springmaus Theater Bonn - der mit gefühlvoller Filmmusik live untermalt, sitzen weitere 4 Leute an den Notebooks und kümmern sich um die Schalte - und hinter der Bühne scheinen auch noch einige Assistenten unterwegs zu sein. Es sind schätzungsweise 30 Leute involviert. Mein lieber Scholli.
Ein unterhaltsamer Abend, den man wohl leider nicht allzu oft erleben kann, da diese Menge an Arbeit außerhalb eines Festivals mit vielen freiwilligen Helfern nicht zu finanzieren ist.
Tag 1 hat sich schon mal gelohnt.
Der Abend beginnt mit der Soloshow der Israelin Lori Inbal von Three Falling, Tel Aviv. Mit einem Clipboard in der Hand betritt sie die Bühne und beginnt sofort den Dialog mit dem Publikum, so als habe man sich schon letzte Woche getroffen und kenne sich bereits. Im Fast Forward Tempo gelingt es ihr, sich mit dem Publikum zu verbinden. Eine Dame aus dem Publikum gibt auf Inbals gezielte Fragen erstaunlich persönliches preis:
Wenn man vorher gewusst hätte, wie gut dieser dritte Teil sein würde, hätte man sich vermutlich noch mehr danach gesehnt.
Moderator Thomas Chemnitz sagt ein Duo an. Es handelt sich um ein Ehepaar aus Nord Amerika. Amber Nash kommt aus den USA, ihr Mann Kevin Gillese aus Kanada. Beide spielen bei Dads Garage, Atlanta USA. Sie erzählen, dass sie ein Buch über Hollywood Blockbuster gefunden haben. Es habe sie erstaunt, dass das gleiche Strickmuster fast jedem Hollywood-Film zugrunde läge. Zwar könnten sie Hollywood Filme nun nicht mehr genießen, haben aber umso mehr Spaß daran die Bauanleitung für Filme im Improvisationstheater umzusetzen. Da das Buch „Save the cat“ hieß, heißt ihr Format „Kill the dog“. Sie erklären, dass sie eine Person aus dem Publikum zur Hauptperson ihrer Show machen. Diese Person müsse dabei nichts tun – die Handlung wird komplett von den Amber und Kevin erzählt. Das Publikum wird unruhig. Doch ausnahmsweise setzen sie heute als Hauptperson die zauberhafte Improspielerin Maja Dekleva aus Ljubljana, Slowenien ein. Aufatmen im Publikum.
Die Zuschauer wünschen sich einen Thriller, der in einem Geburtshaus beginnt. - Was folgt, ist die Geschichte einer werdenden Mutter, die von einer bösen Ärztin manipuliert und schliesslich gefangen gehalten wird, bis ihr Mann sie befreit. Am Anfang jeder Szene beschreiben die Darsteller - genau wie in einem Drehbuch die Umgebung (zum Beispiel: Es ist Nacht, draussen vor dem Haus, Nebel zieht auf, Kamerafahrt vom Garten in´s Wohnzimmer). Maja Dekleva spielt die Schwangere während Amber und Kevin sämtliche anderen Rollen spielen - unverschämte Restaurantgäste, einen cholerischen Koch, apathische Mitgefangene. Es ist spannend, es ist lustig. Durch die Kamerafahrten, die improvisierte Filmmusik und natürlich durch ihr überzeugendes Spiel hat man am Ende das Gefühl tatsächlich einen aufregenden Blockbuster gesehen zu haben.
Abend zwei hat sich also auch gelohnt.
Wehmütig lese ich im Prospekt von all den Veranstaltungen, die ich nicht habe besuchen können. Zum Beispiel die Workshops von Randy Dixon, Inbal Lori oder Amber und Kevin. Oder einen Workshop, der zeigt wie auf theatralem Wege filmische Atmosphären entstehen.
Interessant ist auch das Podiums- gespräch über den Einsatz von Impro- Techniken in der Psychotherapie, im Umgang mit Autismus oder gar Krebserkrankungen. Wow!
Am dritten Abend gibt es einen Kessel Buntes über dreieinhalb Stunden: Im Laufe des Abends trudeln fast alle 40 Improspieler ein, die gerade auf anderen Bühnen der Stadt gespielt haben und nun hier ihre Show- Formate kurz vorstellen.Der erste Teil beginnt mit einer normalen Improshow, die aus den üblichen, häufig gesehenen Spielen besteht. Doch die internationalen Akteure spielen so harmonisch miteinander, dass es großen Spass macht zuzuschauen.
Danach stellt die Australierin Patti Stiles ein Fantasy- Format vor: Ein Held sucht einen mystischen Gegenstand, um die Kräfte des Bösen zu überwinden. Natürlich kommen ein geheimnisvoller Wald, ein verwunschener See und jede Menge debile Gehilfen des Bösen vor. Herrlich!
Es folgt ein improvisierter Ausschnitt aus einem Tarantino Film, in dem Blut, Flüche und Dauerfeuer sich munter abwechseln. Schön, dass hier amerikanische Muttersprachler spielen, die durch ihren Slang noch einiges zur dreckigen Tarantino-Atmosphäre beitragen können.
Höhepunkt des Abends ist eindeutig die Oper vom Impro-Ensemble La Traviata aus München. Auf Publikumswunsch zum Thema Abitur. Ich traue meinen Ohren nicht, als ich volle Opernstimmen höre, die solo und chorisch ganz wunderbar singen. In fast jeder Impro-Show gibt es eine dahingekrächzte Oper, bei der die gesanglichen Qualitäten der Spieler meist deutlich hinter ihrem Mut zurückstehen.
Aber hier: ausgebildete Opernsänger – und das hört man!
La Triviata gibt es seit 2002. Eine großartiges Ensemble in der Nische zwischen altehrwürdiger Oper und verspieltem Impro. In ihren Shows machen sie aus Bildzeitungs- Artikeln dramatische Opern.
Einmal haben sie sogar ein Fußballspiel im Fernsehen live als Oper kommentiert. Auf diesem Weg wird Oper für junge Leute interessant und Improvisation für die älteren Herrschaften. Ein tolles Projekt. Ich hoffe, noch viel von ihnen zu hören!
Insgesamt gelungen. Ich kann es wärmstens empfehlen.
Ausverkaufte Shows, glückliches Publikum, Neuigkeiten aus der Szene, Austausch unter den Spielern egal welcher Nationalität oder welcher spielerischen Level, Workshops, Diskussionen und natürlich gute Partys.
Ich bin froh, dass ich da gewesen bin; habe einiges gesehen, das ich schon kannte, bin von Neuem überrascht worden und wurde von vielen Improvisationen verzaubert.
Was ich jetzt schon weiß: nächstes Jahr werde ich auf jeden Fall wieder hingehen und mir noch mehr anschauen.
Redaktion:Kassandra Knebel
Alle Bilder: © Matthias Fluhrer