Eigentlich enden Städte da, wo auch der historische Baubestand endet. Das sehen zumindest Touristenführer so. Und so sind durch die Straßen fotografierende Besuchergruppen aus Übersee für die Bewohner von Stadtteilen wie Hasenbergl oder Neuperlach nicht unbedingt ein vertrauter Anblick. Aber auch Münchner, auch solche, die dort wohnen, verbringen ihre Freizeit nicht unbedingt gern in solchen Stadtteilen. Oft genug kennt selbst die indigene Bevölkerung der Landeshauptstadt die Namen gewisser Bezirke nur vom Studium des U-Bahnplans. Fürstenried West heißt eine dieser oft nur vom Namen her bekannten U-Bahnstationen. Dass es sich durchaus lohnen kann, auch an solchen Orten auszusteigen und an die Oberfläche zu gehen, dafür zeugt das spectaculum mundi, das an eben diesem unmöglichen Ort in der Graubündener Straße beheimatet ist.
Zehn Jahre ist es mittlerweile her, dass die Veranstalter um die rührige Romy Schmidt angefangen haben, Kleinkunst in der Halle eines Jugendclubs zu präsentieren. Der Anfang war mühsam und so konnte der Raum nur gefüllt werden, wenn lokale Stars wie Sissy Perlinger oder Eisi Gulp auftraten. Was dann geschah, kann man getrost als das Wunder von Fürstenried bezeichnen. Mit der Liebe zur A-Capella-Musik entdeckten die Macher eine regelrechte Marktlücke in München. Sie erfanden mit „Vocal Total“, das erste Münchner A-Capella-Festival, das inzwischen als das größte seiner Art in der gesamten Republik gilt. 37 Gruppen aus ganz Europa stellen sich in diesem Jahr im spectaculum mundi vor, das auch an den Abenden, an denen nicht die Superstars wie die Flying Pickets singen, gut gefüllt ist. Ein Münchner, der die Sangeskunst ohne Instrumentalbegleitung liebt, kann sich auf die Veranstalter verlassen. Was das spectaculum mundi präsentiert, hat einfach Hand und Fuß. Auf diese Art haben es die Gruppen der Münchner A-Capella-Szene, die noch vor zehn Jahren eher klein war, zu erster lokaler Anerkennung gebracht. The Real Six-Pack ist einer dieser einheimischen Minichöre, der mittlerweile zu den internationalen Hoffnungsträgern gehört. Der Gewinn des ersten Platzes bei der Grazer internationalen A-Capella-Competition in der Sparte Pop zeugt von der Qualität der Isarstädter. Die Festival-Macher vom spectaculum mundi haben dem Sechserpack mit Sicherheit einigen Rückenwind gegeben.
Doch es gibt noch mehr zu bewundern in der Großstadtprovinz Fürstenried. Mit einer Veranstaltungsreihe, die den Namen „Musica Antiqua Viva“ trägt, ist es gelungen, die Mittelalterfreaks Münchens zu mobilisieren. Jedes Jahr im Frühjahr pilgern die Anhänger des Lebens und der Musik der alten Rittersleut in die Graubündener Straße. Und dann gibt es noch eine Spezialität des Hauses. Das Musical-Ensemble „show ab“ produziert für das spectaculum mundi jedes Jahr ein neues Stück. Auch das ist – wie das gesamte Programm – einmalig in München.
Einmalig! Endlich ist er wieder da, der Sigi Zimmerschied, werden viele Fans der Passauer Wutmaschine erleichtert ausrufen. Er war zwar nie weg im eigentlichen Sinne, doch zwischenzeitlich hatte er sich als zynischer Haderer neu erfunden, was ihm zwar Anerkennung aber kaum Lacher beim Publikum eintrug. Nach seinen genialischen, aber nicht unbedingt leicht verdaulichen Kabarettendzeitprogramm „Ihobs“, kehrt der intellektuelle Dinosaurier des bayerischen Volkskabaretts zu seinen Wurzeln zurück. Es darf wieder gelacht werden beim Zimmerschied, so behauptet er es selbst in „Diddihasi“, so der Titel des fulminanten neuen Werks, das der wuchtig auftretende Kraftmensch in der Drehleier vorstellt. Er verkündet, endlich weg zu wollen vom Image des Menschenfeindes auf der Kabarettbühne. Er nimmt sich vor endlich auch ein angepasster Fernsehcomedian zu werden. Dass ihm das nicht recht gelingen will, ist schnell klar. Doch was ihm unterwegs an menschenähnlichen Mutanten begegnet, stellt er auf einzigartig komische Weise auf die Bühne. Der blinde Kabarettist, der sein Publikum nicht mehr sehen will, betritt den Theaterraum und tastet die Anwesenden ab. Er glaubt den „kunstsinnigen Theatergänger“ ebenso durchs Abtasten identifizieren zu können, wie den angesoffenen Politiker, den schon in der Ausbildung besserverdienenden Wirtschaftswissenschaftsstudenten und den angeblich gegen jeden Opportunismus immunen Vorzeigepazifisten. Oft genug kann man sich vorstellen, dass er gar nicht so schlecht liegt mit seinen blinden Beobachtungen. Was für ein Auftakt! So mancher im Publikum wird allerdings erschrecken, wenn der auch auf großen Bühnen unheimlich nah wirkende Zimmerschied, ihm bis auf ein paar Zentimeter auf die Pelle rückt: Vorsicht – Zimmerschied kommt!
Eine Münchner Institution, die zwar nicht zu den ganz Großen in der Stadt zählt, dennoch nicht wegzudenken ist aus der Szene, ist die Gruppe „Kabarest“. Die haben sich mit „Gelati“ alias Karl-Heinz Hummel einem Stück deutscher Humorgeschichte angenommen und fahren mit Wilhelm Busch in der S-Bahn nach heute. „Maxx und Moritz“ feiert im Schwabinger Heppel und Ettlich Premiere. Klein aber fein!
Gar nicht klein kommt in diesem Jahr wieder das Augsburger Kabarettfestival daher. Denn es ist, wie die Veranstalter vom Kulturhaus Kresslesmühle stolz verkünden, Bayerns größtes. „Bayern lacht – Augsburg sowieso!“ präsentiert nicht nur bayerische Kleinkunstgrößen wie Helmut Schleich, Luise Kinseher oder Philipp Sonntag, erstmals wurde auch der Augsburger Kleinkunstpreis als überregionaler Wettbewerb präsentiert. Zum Auftakt des Kabarettherbstes in Bayerns schwäbischer Großstadt wurde die CD der neuen Lieblinge des Feuilletons vorgestellt, der Kabarett-Band Hongdöbel. Man wird noch viel hören von den verrückten Fünf, die ohne Volkstümelei, neue bayerischen Weltmusik machen.
Redaktion: Andreas Rüttenauer
2002-12-15 | Nr. 37 | Weitere Artikel von: Andreas Rüttenauer