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  • Themen-Fokus :: Clown | Mime

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    Ein Amerikaner in Paris…

    Interview mit dem Clown Buffo alias Howard Buten

    …genauer gesagt in Saint-Denis wo er ein Heim für Autisten gegründet hat. Howard Buten vertritt ein Spezies, die seit Jahrhunderten immer selten wird : Das Universalgenie. Abends Clown und Musiker, nachts Schriftsteller und tagsüber Fachpsychologe für Autismus. Ein Frühreifer, der von sich sagt, dass seine Persönlichkeitsfindung mit fünf Jahren abgeschlossen war. Sein "Buffo" ist einer der filigransten und subtilsten Clowns der Welt, die Spitze des Eisbergs von Butens Kind im Mann. Aber keine Tränendrüse. Im Grunde feilt Buten wie sein Vorbild Grock ewig an denselben Nummern, um immer tiefer in deren Psyche vorzudringen. Dem japanische Kyogen steht er näher als dem Arlecchino der Commedia dell’Arte oder dem europäischen Zirkus. In Frankreich rennt ihm das Publikum seit langem die Bude ein und verschlingt seine Romane, die auch im Theater aufgeführt und verfilmt werden.

    Thomas Hahn fragte nach dem Befinden Buffos.

    TROTTOIR : Howard Buten, in Deutschland sind sie noch ein Geheimtip.

    H.B.: Das erstaunt mich nicht. Immerhin wurden erst zwei oder drei meiner Romane übersetzt. (Burt, Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins oder Btb bei Goldmann ISBN 3-8077-0305-5 )

     "Buffo" ist bisher etwa zehn mal in Deutschland aufgetreten, etwa 1997-2000. In der Schweriner Oper, in Essen, Recklinghausen, Friedrichshafen, Frankfurt und anderen Städten. Ich will niemandem schmeicheln, aber mein ganzes Team stimmt mir zu, dass das deutsche Publikum Buffo besonders herzlich aufnimmt.

    T: Dann haben Sie vielleicht eine Idee, woran das liegt ?

    H.B.:Eine Hypothese, die vielleicht völlig daneben liegt. Immerhin, es scheint uns, dass das deutsche Publikum sehr empfänglich ist für Buffos musikalische Ader. Es ist kein Konzert, aber wir haben den Eindruck dass sie die Musik bereits kennen und besonders schätzen. Buffo tritt mit drei verschiedenen Violinen, Cello, Klavier, Gesang und Trompete auf. Ich habe schon mit acht Jahren Violine gelernt, Trompete mit zehn, Schlagzeug mit zwölf. Mit zehn Jahren war ich Trompeter in einer Jazzband, zwei Jahre später Schlagzeuger, mit sechzehn Gitarrist, sogar in einer professionellen Band und als Beatles-Imitator. Man bezahlte uns dafür. Und ich habe immer gesungen. Meine Mutter war Sängerin und Tänzerin im Variété. Ab 1973, dem Geburtsjahr Buffos, habe ich auch Cello gelernt. Nur für ihn.

    T: Woher kommt Buffo, Ihr Clown ?

    H.B.:Ich bin im Geiste ein Schüler von Grock, der seine Karriere vor allem in Deutschland gemacht hat. Als er starb, war ich allerdings erst neun Jahre alt. Ich habe ihn entdeckt, als ich seine Memoiren las. In den USA ist er völlig unbekannt. Ich war Clownschüler in einem US-Zirkus, und wir hatten Unterricht über die Geschichte des Clowns. Kein Wort über Grock. Das erste Bild das ich von ihm sah, war eine Offenbarung. Und dann habe ich seine Nummer gesehen, fünfzig Minuten Aufführung im Variété. Auch das existiert in den USA nicht. Da gehört der Clown in den Zirkus. Ich sehe mich dagegen zuallererst als Variété-Künstler, noch bevor ich Clown bin. Fotos von Grock und seine Memoiren zeigten mir den Weg auf. Erst später habe ich Filme von ihm gesehen.

    T: Hat ihre Arbeit mit den Autisten wirklich einen Einfluss auf Buffo ?

    H.B.:Buffo und die Arbeit mit den Autisten sind für mich zwei verschiedene Leben, die sich nie überschneiden. In meiner Jugend wollte ich ernsthaft Krankenpfleger werden. Ich arbeitete jeden Sommer in Ferienlagern für geistig Behinderte. Ich hatte auch Talent. Ich erfand eine Technik, um der sanfteste Rollstuhlschieber der Welt zu werden. Ab und zu finden sich Schreie, Mimik oder Körperhaltungen der Autisten in Buffo. Aber das geschieht unbewusst. Buffo ist kein Autist ! Manche glauben das, aber das ist völlig falsch. Ich spiele niemals Buffo für « meine » Autisten und ich möchte auch nicht unbedingt, dass sie mich auf der Bühne sehen. Denn sie sind alle schwere Fälle. Sie sprechen nicht und sie würden im Saal nicht ruhig sitzen und sogar schreien und ich würde mich verpflichtet fühlen, von der Bühne zu steigen und sie nach Hause zu bringen.

    T: Immerhin ist Buffo ein schweigender Clown.

    H.B.:Auch das ist interessant. Zu Beginn war Buffo geradezu ein Schwätzer. Und er sang mit seiner eigenen Stimme. Nach und nach verlor er die Sprache. Unvorstellbar, aber ich war mir dessen nicht einmal bewusst. Immer mehr stumme Sketche ersetzten die sprechenden, die weniger gut ankamen. Bis eines Tages ein Kritiker schrieb, als ich etwa 1980 eine Saison in einem kleinen Theater in San Francisco spielte, das sei nicht kohärent wenn ein Clown in einem einzigen Sketch spricht. Daraufhin habe ich den auch ersetzt.

    T: Was bedeutet, dass Buffo sich langfristig mit dem Publikum entwickelt. Wie gross ist der Einfluss des Publikums während einer Aufführung ?

    H.B.:Buffo lebt nur vor einem echten Publikum. Ich probe nie in einem leeren Saal. Da werde ich verrückt. Es geht nicht. Manchmal bin ich bei Freunden und sie bitten mich einen Sketch von Buffo zu spielen. Da werde ich richtig wütend.

    Der Clown ist eine Wissenschaft. Wenn ein Gag nicht regelmässig Lacher auslöst, muss ich ihn ersetzen. Die Marx Brothers berechneten ganz präzise die Anzahl der Lacher pro Abend. Ein oder zwei Lacher zu wenig, und sie änderten das Programm. Manche Gags lösen Lacher aus, die sich im Laufe der Jahre verlieren. Das müsste wirklich erforscht werden.

    T: Was halten Sie vom Clown-Doktor ?

    H.B.:Ich praktiziere ihn nicht und werde es nie tun. Aber ich war selbst der erste Vereinsvorsitzende von Le Rire Médecin.

    T: Wie erlebt Buffo die Welt ?

    H.B.:Zunächst einmal absolut naiv. Wie ein Baby. Aber absolut nicht unschuldig, sondern im Gegenteil oft geradezu bösartig und rachsüchtig. Er versteht die Welt nicht. Wenn er einen Gegenstand sieht, hält er ihn für etwas anderes. Das Cello zum Beispiel hält er für eine Frau. Auch wie ein Piano funktioniert, entdeckt er nach und nach. Und wenn das Publikum ob seiner Naivität lacht ist er gleichermassen schockiert und zufrieden. Wenn aber Buffo versucht, witzig zu sein, funktioniert es nicht. Seine Gags sind zu schlapp. Niemand lacht und das kränkt ihn. Nur wenn er selbst ernst ist, dann lacht das Publikum über ihn. Und nicht mit ihm. Aber wenigstens lachen sie. So ist er dann doch zufrieden.

    T: Oft funktioniert der Clown zu zweit und die Hierarchie bestimmt welcher von beiden der Dumme ist und die Schläge einsteckt. Nichts davon bei Buffo.

    H.B.:Das ist ja auch fürchterlich. Ich mag Clowns sowieso nicht. Als ich klein war konnte ich sie nicht ausstehen. Vor den grotesk geschminkten, altmodischen Clowns in den USA hatte ich geradezu Angst. Wenn im grossen Zirkus die Clowns ins Publikum stiegen um den Kindern die Hand zu reichen, lief ich weg und weinte. Später lernte ich Clown, aber nur um mit der Zirkustruppe zu reisen. Aber deren Ausbildung war wirklich gut und ich fand Gefallen am Clown. Und dann entdeckte ich Grock. Das war der Auslöser.

    T: Und was ist mit dem Hinfallen, einem anderen Klassiker des Clowns ?

    H.B.:Zur Zeit fällt Buffo nur einmal, und zwar wenn er sich die Brille eines Zuschauers ausleiht, dann nichts mehr sieht und hinfällt. Das Hinfallen muss glaubwürdig sein, der Zuschauer darf es nicht als eine Technik erkennen.

    T: Ist es vorstellbar, dass Buffo zusammen mit einem anderen Clown auftritt ?

    H.B.:Nur wenn ich mit einem anderen Violonisten zusammen auftrete. Der ist dann in etwa der weisse Clown. Nur, er ist eben kein Clown sondern Musiker. Buffo und ein anderer Clown, bisher nicht .

    T: Treten Sie weiter als Buffo in den USA auf ?

    H.B.:Es geht langsam wieder los. Anfang März werde ich Los Angeles auftreten. Später in Montreal. Es wird Zeit. Ich bin schon zu lange im Exil.

    T: Sie trennen strikt ihre Aktivitäten als Psychologe, Romanautor und Clown. Wahrscheinlich brauchen Sie alle drei.

    H.B.:Als ich meine Doktorarbeit schrieb, habe ich drei Jahre lang nicht spielen können. Zu meiner Überraschung fehlte es mir überhaupt nicht. Auch das Schreiben ruht oft. Nur die klinische Arbeit ist unabdingbar, auch weil sie direkt das Leben der « Kunden » und deren Familien beinflusst. Mit dem Alter, ich bin jetzt über fünfzig, wird die Mehrfacharbeit immer ermüdender, sowohl geistig als auch körperlich. Morgens früh in der Klinik anzukommen, einen halben Tag zu arbeiten, dann ins Flugzeug zu springen, irgendwo die Bühne herzurichten, abends zu spielen, spät schlafen zu gehen um früh morgens zurück zu fliegen um am Nachmittag wieder in der Klinik zu sein. Und dann wieder Promotion für ein Buch machen. Auch als Psychiater werde ich immer bekannter und muss auf Seminaren Vorträge halten. Dazu kommt, dass Buffo mit der Zeit für mich psychisch immer intensiver wird, weil ich immer tiefer in ihn, und also auch in mich selbst vordringe.

    T: Vielen Dank, Howard und viele erfrischende Begegnungen mit dem deutschen Publikum !

    Redaktion: Thomas Hahn

     

     

    2003-09-15 | Nr. 40 | Weitere Artikel von: Thomas Hahn





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