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    Ein Stück Circus

    Interview mit dem Prinzipal des Circus Roncalli – Bernhard Paul
    (geführt im Circus von unserem Mitarbeiter Hartmut Höltgen-Calvero)

    Trottoir: 1976 begann alles mit einem restaurierten Wohnwagen. Wie schafft es ein Mensch von einem Wohnwagen zu einem erfolgreichen Circusunternehmen?

     Clownschule Uli TammBernhard Paul: Das ist wie mit einem Tellerwäscher. Man muss klein anfangen. Am besten ist es, wenn man nicht weiß, was einen erwartet, sonst würde man das wahrscheinlich gar nicht machen. Der Circus hat einen großen Feind – das ist der Circus selber, nämlich der schlechte Circus. Es gibt eine Übermacht an schlecht gemachtem Circus, die den seriösen Unternehmen mit guten Programmen gegenübersteht. Das Schlimmste, was uns passieren kann, sind enttäuschte Zuschauer, die aus einem Circus hinausgehen, wo auf Qualität geachtet wird. Der andere Feind ist die Bürokratie schlechthin. Es verschwört sich manchmal alles gegen die Wandercircusse. „Plakatieren verboten“ ist die Steigerung von „Rasen betreten verboten“. Alles ist verboten, auch das, was erlaubt ist. Damit haben wir zu kämpfen und dadurch geht viel Energie verloren.

    T.: Der Circus Roncalli ist für viele Menschen ein Circus, wie sie ihn sich erträumen. Der Traum ist das eine, die Wirklichkeit das andere. Was macht die Wirklichkeit gerade Ihres Circus zum Traum für Menschen?

    Bernhard Paul: Die Wirklichkeit, die Wirklichkeit trägt wirklich ein Florellenkleid. Das ist ein sehr schönes Zitat, welches wir auf unseren ersten Eintrittskarten stehen hatten, von George Chiné. Die Wirklichkeit ist natürlich so: Die Vorderseite des roten Vorhanges dauert zweieinhalb Stunden und zeigt einen Traum, die schöne Seite. Die Rückseite dauert einundzwanzigeinhalb Stunden. Das ist der Alltag für uns. Circus bedeutet Leben in einem kleinen Dorf unter erschwerten Bedingungen, also quasi Campingurlaub das ganze Jahr, mit allen Nachteilen, die ein solcher Urlaub haben kann bei schlechtem Wetter und Kälte und vielem mehr. Das Zusammenleben gestaltet sich auf engstem Raum in engen Innenstädten mit schlechter Luft und mit Familien und Kindern im Circus. Der Nachwuchs muss z. B. in die Schule. Also man kann sich vorstellen, welche Nachteile das hat. Hinzu kommen ja die Menschen aus unterschiedlichen Nationen, die alle Künstler sind und auch da gibt es viele Probleme. Als Direktor ist man vieles in Personalunion: Eheberater, Betriebspsychologe, Architekt, Regisseur, Clown, Grafiker, Reklamefachmann und Art-Direktor, und alles Mögliche sonst noch, was manchmal sehr anstrengend sein kann. Ich mache jedoch solange Circus, wie es mir Spaß macht und ich wunder mich selbst, wie belastbar ich bin.

    T.: Der Mensch ist ein Bettler, wenn er denkt, und ein König, wenn er träumt, so sagt es dem Sinne nach Hölderlin. Was hat für Sie von Anfang an die Faszination des Circus ausgemacht und gibt es Berührungspunkte dazu in der eigenen Biografie?

    Bernhard Paul: Jeder versteht etwas anderes unter einem Traum. Ich lebe in einem Traum, aus dem ich nicht aufwachen kann. D. h. normalerweise lebt man sein Leben und träumt ab und zu. Ich lebe den Traum und ab und zu lebe ich auch. Dieser Traum nimmt einen gefangen und man muss auch ständig in Träumen denken, weil man immer wieder Träume erzeugen muss. Wir können nicht realistisch denken, weil die Leute die Realität nicht interessiert. Sie wollen in eine Traumwelt eintauchen, also müssen wir auch so denken.

    Es gab ein Schlüsselerlebnis. Als ich fünf oder sechs Jahre alt war, habe ich meinen ersten Circus gesehen, Gott sei Dank einen Guten. Ich habe das Glück gehabt, einen schönen Circus zu sehen, der meine Wünsche und Träume entfacht hat und von dem ich nicht mehr los gekommen bin. Als Kind bin ich in jeden Circus gegangen, weil es damals auch noch viele gute Circusse gab, mit allem, was dazugehört. Schule schwänzen und beim Circusaufbau dabei sein – das hat mein Leben natürlich beeinflusst.

    T.: Eher kann ein Clown einen König spielen, als ein König einen Clown. Großartige Clowns, wie Charlie Rivel, Grock oder die Fratellinis haben Menschen zur Begeisterung gebracht. Woher stammt Ihre große Vorliebe für die Clowns?

    Bernhard Paul: Ja, ich lache lieber, als dass ich weine. Menschen, die mich zum Lachen bringen, mochte ich schon immer. Das waren für mich auch Helden. Zum Weinen bringen können einen ja viele Umstände, und u. a. auch Politiker, und das ist kein erstrebenswerter Beruf. Erstrebenswert ist es, wenn ich jemanden zum Lachen bringe. Das ist etwas Schönes und solche Menschen waren mir immer sympathisch.

    T.: Nun stehen Sie ja selbst als Clown Zippo in der Manege. Wann ist Bernhard Paul Clown und wann ist er Bernhard Paul selbst?

    Bernhard Paul: Das Clownsein ist bereits zu meinem täglichen Urlaub geworden. Wenn man in die Manege geht, dann belästigt einen niemand mehr. Dann kommt nicht die Sekretärin mit der Unterschriftenmappe, da weiß man, hier kann mir nichts passieren, da ist man ganz ungestört und macht etwas, was man am Liebsten tut. Leider hat der Tag noch andere Stunden, wo man immer wieder etwas durchsetzen muss, bei Gemeinden und Beamten. Die schönste Zeit am Tag ist die, in der ich Clown sein darf.

    T.: Sie besitzen eine großartige Clownsammlung. Welcher historische Clown interessiert Sie besonders?

    Bernhard Paul: Mir war als Mensch immer Grock am nächsten. Ich habe als Kind Filme über Grocks Leben gesehen und war fasziniert. Grock war fortan der Held meiner Kindheit und meines Lebens, den liebe ich über alles. Ich habe Grocks Nachlass gekauft, sitze auf seinen Stühlen, trinke aus seinen Weingläsern und lese in seinen Unterlagen. Das war ein total interessanter Mensch. Was Chaplin für den Film gewesen ist, war Grock für den Circus.

    T.: „Eure Gunst ist unser Streben“, hat einmal Karl Krone gesagt. Wie ist es denn um die Gunst des Publikums beim Circus bestellt ?

    Bernhard Paul: Na, ja, der Circus hat manchmal einen Ruf, wie die Hütchenspieler. Es gibt Circusunternehmen – und das ist jetzt ein Warnruf – die verteilen tausende von Freikarten. Das ist zunächst einmal nichts Verwerfliches – seien Sie nur auf der Hut, wenn Sie trotzdem bezahlen müssen, dann drehen Sie am besten gleich wieder um. Das ist Betrug – denn da steht auf der Rückseite Programm-pflichtig, Tierschau-pflichtig usw. und es ist einfach unseriös, mit Publikum so umzugehen. Auch wir verteilen Freikarten an Bedürftige, an Helfer, Menschen, die unsere Plakate aushängen, und die bekommen freien Eintritt dafür. Dann muss es aber auch wirklich freier Eintritt sein und es darf nicht heißen: „Aber ein bisschen Geld bekomme ich doch“. Meistens wird es dann nämlich genauso teuer, wie die Karte eigentlich kostet.

    T.: Haben sich Circusunternehmen in den letzten Jahren verändert?

    Bernhard Paul: Der Anteil an schlechten Circusunternehmen ist größer geworden und der Anteil an den schlechten ist noch schlechter geworden, was auch der gute Circus merkbar spürt. Alle haben Probleme, aber auch sich selbst zuzuschreibende Probleme, und deswegen wird das Vertrauen des Publikums immer geringer. Man sollte sich schon einmal den Circus von außen anschauen, ob die Tiere richtig gehalten werden usw. Schon in der Bibel steht: „Viele sind berufen, nur wenige sind auserwählt.“

    T.:Kunst ist schön, macht aber sehr viel Arbeit.“ Wie viel Arbeit macht denn der Circus?

    Bernhard Paul: Karl Valentin hätte sich nicht träumen lassen, wie wahr sein Wort ist. Es macht noch viel mehr Arbeit, als man sich vorstellt. Wenn heute einer guten Circus zeigt, dann ist er mehr als ein Idealist, fast schon Masochist. Es ist unglaublich, was da alles dranhängt. Ein Programm mit den besten Artisten aus aller Welt, ausgezeichnet mit dem goldenen Clown. Die besten Clowns, derer ich habhaft werden kann, engagiere ich, und dann sollten die Menschen bemüht sein, uns auch zu besuchen, weil wenn das nicht geschieht, gibt es vielleicht irgendwann keinen Circus mehr. Es gibt nur so lange Circus, wie Menschen kommen. Wir schleppen z. B. ein gesamtes Schauspielhaus mit uns herum. Wir sind eine Spedition, die ständig zweihundert Wagen von Ort zu Ort bringt. Es gibt riesige Licht- und Tonanlagen, die ständig gewartet werden müssen. Es braucht sehr vieles, bis die Pfeife zur Manege ertönt, und das ist auch gut so, denn die Menschen sollen nur das genießen, was sich vor dem roten Vorhang abspielt.

    T.: Wagen wir einen Blick hinter die Kulissen – welches war die Anekdote, über die Sie noch heute am meisten schmunzeln können?

    Bernhard Paul: Es gibt viele. Wir bekommen jeden Tag Post, auch von Behörden. Da hatten wir einmal ein Nashorn vom Circus Knie und da kam vom Ordnungsamt ein Brief mit folgendem Inhalt: „Das Nashorn ist geräuschlos und geruchlos unterzubringen.“ – Da haben wir dann alle wirklich gelacht. Der Brief war jedoch durchaus ernst gemeint.

    T.: Wie bringt man ein Nashorn geräuschlos und geruchlos unter?

    Bernhard Paul: Man muss ihm sagen: „Scheiß nicht – und sprich nicht in der Nacht im Schlaf!“

    T.: Nehmen wir an, eine gute Fee besucht Sie und gewährt Ihnen drei Wünsche. Was würden Sie sich wünschen?

    Bernhard Paul: Für die Familie ewige Gesundheit, eine Brieftasche, die immer voll ist, weil man die im Circus braucht, und jede Woche einen freien Tag zum Nachdenken.

    T.: Herr Paul, herzlichen Dank für den Blick hinter die Kulissen.

    Redaktion: Hartmut Höltgen-Calvero

    AdNr:1007, AdNr:1085 

    2005-09-15 | Nr. 48 | Weitere Artikel von: Hartmut Höltgen-Calvero





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