Wenn man die Entwicklungen in der Musikszene genauer beobachtet, ist feststellbar, dass die Zeit der Frontfrauen und der Solistinnen gekommen ist. In der Vielschichtigkeit des künstlerischen Geschäftes ist das mehr als willkommen. Frauen als schmückendes Beiwerk irgendwelcher Musikgruppen hat es immer gegeben. Nun aber scheint sich das Blatt zu wenden. Die wahren Könnerinnen treten hervor und zeigen einmal mehr, dass die Musik ohne sie ein ganzes Stück ärmer wäre.
Mit beeindruckenden Shows beweist die in Virginia geborene Nikki McCoy immer wieder ihre Qualitäten als Sängerin, deren Stimmumfang anscheinend locker über acht Oktaven geht. Musik ist ihr Lebenselixier. Die Südstaatlerin generiert ausgelassene Lebensfreude, die schweißtreibend von der Bühne ins Auditorium schwappt und ihren Fans einfach die Füße wegreißt.
Mit einem Gig der Extraklasse habe ich die Kubanerin Olvido erlebt. Die traditionelle Musik ihrer Heimat ist ihr Anliegen. Dafür hat sie das Projekt „DJ Latino“ ins Leben gerufen. Ich konnte dabei sein, als sie mit der Mannheimer Soulband „Shebeen“ eben dieses Latin Fever verbreitete und stand mitten in einer begeisterten Menschentraube, die von der Power dieser Frau mitgenommen wurde in eine atemberaubende Performance.
Die indisch-portugiesische Komponistin und Sängerin Liza da Costa kennt man noch aus ihren Captain-Jack-Zeiten. Im Jahr 2000 hatte sie mit „Banana Coco“ zudem einen eigenen Singlehit. Außerdem komponierte sie die Titelmusik ‚Fight To Win‘ für die RTL-Vier-Schanzen-Tournee 2000/2001. Seit 2005 ist Liza da Costa Frontfrau der Gruppe Hotel Bossa Nova. Und nicht nur ihre Schönheit – 2004 wurde sie zur zweitschönsten Frau der 90er-Jahre gewählt – beeindruckt. Was sie mit ihren drei Musikern Tilmann Höhn (Gitarre), Alexander Sonntag (Bass) und Wolfgang Stamm (Drums) auf die Bühne bringt, ist relaxter Scat-Gesang auf Bossa Rhythmen und der zaghafte und zugleich gelungene Versuch, den traditionellen brasilianischen Bossa Nova wieder für die Gegenwart zu beleben. Auf die erste CD der Formation, die noch Ende 2006 erscheinen soll, freue ich mich jetzt schon.
Zusammen mit Giganten des Rhythm ’n’ Blues hat mich auch Harriet Lewis aus den USA begeistert, die den rauen aber herzlichen Blues im Blut hat und mit Power aus sich heraussprudeln lässt. Dabei geht die „Grande Dame“ der Musik bis an ihre Grenzen – wo immer die auch liegen mögen. Und sie wandelt ihre eigenen Wege zwischen den beiden Polen Jazz und Gospel.
Wer immer sie sonst begleiten mag: Ihre Begleitband bei diesem Supergig war eine grandiose Ausnahme. Mit ihr auf der Bühne standen die Dinos des Jazzpop. Pete York, „Mister Superdrumming“ seit der Spencer Davis Group oder Hardin & York, lieferte den absoluten Groove für Albie Donnelly, den bärtigen, sonnenbebrillten, kahlköpfigen immer-noch- Frontmann von „Supercharge“, Uli Hanke an der Hammondorgel und den einfach genial aufspielenden Roy Harrington, den Derwisch an der Gitarre. Sie zeigten, was es heißt, „Evry day“ den Blues zu spüren.
Pete York ist die lebende Drummerlegende. Zwischen Swing, Rock und Jazz zieht er keine Grenzen. Seine Arbeit am Schlagzeug ist ebenso präzise wie kreativ. Gerade deswegen hat er mit allen musikalischen Größen zusammengespielt und ist noch bis Ende des Jahres mit dem Comedian und Musiker Helge Schneider bei der „Kampf im Weltall“-Tour zu hören.
Ohne Zweifel hat Albie Donelly den Stil von Legenden wie King Curtis und Junior Walker weiterentwickelt und daraus den charakteristischen Supercharge-Sound geformt. Sein britischer Humor und eine wahnwitzige Bühnenshow brachten auch an diesem Abend dem Saal zum Kochen.
Wo wir gerade bei den Dinos sind: Die Dutch Swing College Band gibt es bereits seit Kriegsende im Jahr 1945. Seither garantieren die Mannen dieser Hol-Jazz-Formation hochkarätigen Swing gemixt mit humorigen Einlagen. Ihr Motto „Es gibt nur zwei Arten von Musik, nämlich gute und schlechte“ macht dem Musikliebhaber die Wahl einfach. Mit ihrem Good-old-Jazz war die Band bereits auf allen fünf Kontinenten zu Gast. Beim jetzigen Leiter Bob Kaper bleibt sie der Leitlinie treu, eigene Interpretationen, Arrangements oder Kompositionen und keine Kopien von Aufnahmen alter amerikanischer Meister zu machen. Heraus kommt Jazzmusik auf Weltniveau. Frisch und lebendig und kreativ instrumentiert, transportieren die Niederländer die Jazztradition umplugged durch die Säle und in die Ohren der Zuhörer.
Traditionellen Jazzsound präsentieren bei ihren Konzerten auch die Bourbon Street Stompers. In ihrer derzeitigen Formation besteht die Band seit 1995. Seither sind sie auf allen großen Jazzfestivals zu erleben. Ihre Musik, mit der die Band zum klassischen New-Orleans-Stil, vor allem mit Hörnern gespielt, zurückkehrt, ist ihr Markenzeichen. Ein weiteres Zeichen ist ihr Gardemaß: Die durchschnittliche Größe beträgt 1,93 cm. Und sie sind auf dem besten Weg, echte Jazzgrößen zu werden
Auch die Mannen des Rock-a-Billy-Quintetts Boppin’ B. sind seit 20 Jahren in der „Scheisskapelle“ vereinigt. Ihr Titel „If you believe“ ist zum echten Chartbreaker geworden. Und ihre Shows sind mitreißend. Gekonnt versetzen sie die Fans in das Rock-’n’-Roll-Fieber der 50er- und 60er-Jahre. Da werden dann Instrumente wie Kontrabässe auch schon mal zu Turngeräten umfunktioniert. Die „Scheisskapelle“ liefert gnadenlosen Up-Tempo Rock ’n’ Roll, der in die Beine geht.
Sascha Klaar ist ebenfalls ein derartiger Könner und „Turner“ an seinem Instrument, dem Klavier. Er ist ein echter Tausendsassa des Boogie. 2004 brachte ihm seine musikalische Arbeit den Titel „Entertainer des Jahres“ ein. 2006 wurde er für den Showpreis nominiert. Und nach wie vor saugt er mit seiner impulsiven Boogie-Show die Menschen förmlich an den Bühnenrand. Das ist genial umgesetzter, swingender Rhythm & Blues, gepaart mit fetzigem Rock ’n’ Roll. Mit Händen und Füßen und vollem Körpereinsatz schöpft er die klanglichen und rhythmischen Möglichkeiten seines Instruments vollends aus und lässt am Ende staunende und begeisterte Fans zurück, die das Gefühl haben, einen musikalischen Hexenkessel erlebt zu haben.
Wie gut, dass es all diese Musiker gibt, die Musik lebendig machen und lebendig halten.
Sowohl über Musik-Dinos als auch über musikalische Frauenpower und natürlich über Newcomer kann man nur glücklich sein. Nichts auf der Welt scheint vielfältiger und vielfarbiger zu sein als die Musikszene. Und das, obwohl weltweit nur eine begrenzte Anzahl von Tönen zur Verfügung steht.
Bis demnäx.
Euer Bernhard Wibben
2006-12-15 | Nr. 53 | Weitere Artikel von: Bernhard Wibben