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    Gibt es einen typisch österreichischen Humor? Wenn ja, warum nicht?

    Einfach zum Nachschenken:

    Ein sonderbarer Frühling.
    In der Kabaretthochburg Wien begann es im heurigen Spätwinter - der bei uns leider kein wirklicher war - respektive gleich zu Beginn des Frühjahrs ziemlich heftig zu gären. Was zur Folge hatte, dass sich so etwas wie eine tiefe Verunsicherung breit machte. Was war geschehen? Innerhalb einiger weniger Wochen bröckelten plötzlich einerseits die Kabarett-Spielstätten wie loser Schotter aus der Szene und andererseits sogar einige Kabarettisten selbst. Nach einigen Besitzerwechsel steht zum Beispiel das Traditionslokal Spektakel in der Hamburger Straße für Kabarettisten nicht mehr zur Verfügung. Zum einen, weil mit dem Umbau des seinerzeit so urgemütlichen Beisls samt hervorragender Küche zu einer eher ausladenden Bar, dem Lokal der Charakter genommen wurde, und zum anderen, weil der neue Besitzer kein Interesse zeigt, die für den Bühnenraum notwendigen Investitionen zu tätigen. Tatsache ist jedenfalls, dass das Spektakel für Kabarett gestorben ist.

    Im Herbst hatte man sich noch darüber gefreut, dass mit dem Flotten1Live, ein zur Kabarettbühne umgebauter Kinosaal des Flotten-Centers in der Mariahilfer Straße, ein weiteres Kabarettlokal aufgesperrt hatte und mit einem ziemlich bunten Programm-Mix dank der Initiative des künstlerischen Leiters Helmut Grössing mit Vollgas in Richtung Top-Auslastung und somit Erfolg unterwegs war. Kaum drei Monate später war wieder alles aus. Die für ein drittes Set bereits gebuchten Künstler wurden mit plötzlichen Absagen seitens des Veranstalters konfrontiert und der lapidaren Tatsache, dass es das Flotten1Live für Kabarettisten in Zukunft nicht mehr geben werde.

    Zu allem Überfluß mußte dann noch Mitte März die Kulisse, die eben erst ihr zwanzigjähriges Bestehen feierte, w.o. geben. War doch bei Abbrucharbeiten am Nebenhaus eine nicht gestützte, tonnenschwere Feuermauer durch das Dach auf die Bühne und Teile des Zuschauerraumes gekracht. Zum Glück war es gerade Mittag und waren zufällig keine Proben angesetzt. Aber die gesamte Technik wurde zerstört, der betroffene Teil des Gebäudes ist praktisch abbruchreif, was zur Folge hat, dass der Betrieb frühestens im Herbst wieder aufgenommen werden kann. Pech auch für Reinhard Nowak, dessen gesamtes Bühnen-Equipment für sein neuestes Programm "Der Original Fidele Fritzel" ebenfalls mitzerstört wurde. Bis Ende April sprang im übrigen für sämtliche gecancelten Kulisse-Termine Karl Welunschek mit seinem Rabenhof ein, wo dann auch Roland Düringer mit seinem jüngsten Werk "250 ccm - die Viertelliterklasse" Premiere feierte. Aber dazu später.

    Nach zehn Jahren praktisch Tag und Nacht für das Kabarett Niedermair in der Lenaugasse tätig gewesen zu sein, ließ auch einen hartgesottenen Kerl wie I Stangl müde werden und auf Nachfolgersuche zu gehen. Nachdem es eine zeitlang so aussah, als ob er das Lokal mit Sommerbeginn aufgrund einiger Zerwürfnisse mit den Hauseigentümern überhaupt schließen würde, hat sich mit Kulisse-Chefin Doris Ringseis (allerdings bereits vor der Zerstörung der Kulisse) eine neue Chefin gefunden. Ihre künstlerische Handschrift wird dann ab September (In den Monaten Juli und August herrscht traditionell in Wiens Spielstätten Kabarettpause) zu spüren sein, I Stangl verabschiedet sich als Prinzipal im Juni mit drei riesigen Kabarettfesten und wird sich fürderhin primär um seine Karriere als Kabarettist kümmern.

    Um nun das Szene-Verunsicherungspuzzle zu komplettieren, haben Österreichs Kabarett-Aushängeschilder Josef Hader (er heiratete im übrigen erst vor kurzem die Kabarettkritikerin des Kurier, Petra Hillinger) und Roland Düringer scheinbar beschlossen, die Kabarettszene zu verlassen und sich in andere künstlerische Richtungen weiter zu entwickeln. Josef Hader hat den Film (z.B. Der Überfall, Gelbe Kirschen und ein eigenes Projekt) entdeckt, und Roland Düringer die wuchtelfreie Zone. So stieß er mit seinem neuesten Wurf "250 ccm - die Viertelliterklasse", bei dem es nicht, wie man meinen könnte, einmal mehr um Motorfreaks geht, sondern anhand von vier verschiedenen Charakteren um das leidige Problem Alkohol, viele Hardcore-Düringer-Fans vor den Kopf. Sein Mut zu diesem Schritt ist jedoch bewundernswert, da er sich damit nicht weiterhin auf gesicherten Lachpfade bewegt, sondern ein qualitativ ungemein hoch oben angesiedeltes Niveau betritt, bei dem er in Kauf nimmt, viele Fans zu verlieren, jedoch mindestens ebenso viele Freunde zu gewinnen. Beide, Hader wie Düringer, beweisen mit ihren momentan eingeschlagenen künstlerischen Richtungen ziemlich eindrucksvoll, welch großartige Schauspieler sie sind. Dazu kommt, dass Ciro de Luca nun voll und ganz auf Comedy setzt und mit "deLuca" ziemlich erfolgreich das ORF-Programm bereichert.

    Nein, keine Angst, soeben erwähnte Beispiele verunsichern eine Szene zwar, sie nagen aber nicht an ihr. Womit wir auch schon bei den kabarettistischen Highlights des abgelaufenen Frühjahrs wären: Ludwig Müller mit seinem absurden, grenzgenialen Epos "Blaues Blut" und Pepi Hopf & die Buben mit "Cuba Libre". Beides sind meiner Meinung nach absolute Pflichtprogramme, allerdings aus völlig unterschiedlichen Gründen. Während Ludwig Müller einmal mehr sein Riesentalent als Literat und Schrägschreiber - diesmal in der großen, weiten Welt der Adeligen und der Groschenromane unterwegs- unter Beweis stellt, besticht Pepi Hopf mit einer völlig abstrusen Story rund um einen Loser, der nach Kuba reist um den letzten Wunsch seines Vaters zu erfüllen, und mit teilweise bitterbösen Texten zu ach so lieblichen Melodeien.

    Ein ziemlich heißer Sommer

    Wie gesagt, obzwar die Kabarett-Bühnen sommersüber brav geschlossen halten, müssen die Kabarettfans dennoch nicht auf dem humoristischen Trockendock versauern. Wie im Vorjahr wird nämlich auch heuer wieder zum großen Kabarettfestival in der Wiener Remise gerufen. Jedoch nicht nur, denn auch im Linz und in Salzburg werden die Kabarettisten und Komödianten ihre Humor-Füllhörner vergießen. Stattfinden wird das Ganze in der Wiener Remise von 28. Juni bis 28. Juli 2001, im Zelt des Salzburger Volksgartens von 6. bis 14. Juli und im Linzer Rosengarten von 2. bis 7. Juli. Und freuen kann man sich unter anderem auf Roland Düringer, der im übrigen quasi als Festival-Vorbote am 5. Juni in der Wiener Remise zu sehen sein wird, auf Andi Vitasek, Bernhard Ludwig, Stermann & Grissemann, Projekt X, Dolores Schmidinger, Maurer & Scheuba und Andrea Händler.

    Und für alle, die den Sommer woanders verbringen, sei vor allem auf Thomas Maurers neues Programm verweisen, welches am 18. September Premiere haben wird. Wo das sein wird, steht noch in den Sternen, geplant sie jedenfalls in der Kulisse, doch ... siehe oben ... leider.

    Redaktion: Willy Zwerger

     

    Willy Zwerger war Herausgeber und Chefredakteur von Österreichs einzigem Kabarett&Comedy-Journal "Klein&Kunst“, welches aus wirtschaftlichen Gründen im Januar 2001 nach rund viereinhalb Jahren seinen Betrieb einstellen mußte. Willy Zwerger wird im Trottoir aber dennoch weiterhin über die Kabarettszene Österreich berichten.

    2001-06-15 | Nr. 31 | Weitere Artikel von: Willy Zwerger





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