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    Gute Vorsätze gestern und heute

    Nun ist er endlich da, der Euro, und jeder freut sich über die glänzenden Münzen. Neue Zeiten also, mit guten Vorsätzen für die Zukunft. Aber die Vergangenheit ist damit auch nicht vergessen, zumindest nicht in der Berliner Kleinkunstszene.

     Ellen UrbanGenau zehn Jahre zurück reichte im November die Vergangenheit des Tränenpalast als Veranstaltungsort für Musik und Comedy. Die Veranstaltungsstätte residiert in einem ehemaligen Abfertigungsgebäude für den grenzüberschreitenden Verkehr zwischen DDR und West-Berlin, dem Bahnhof Friedrichsstrasse. Der Name soll von den hier vergossenen Abschiedstränen stammen. Der Tränenpalast  bietet eine bunte Mischung von Worldmusic über Kabarett bis Comedy und lockt jährlich etwa 100.000 Besucher an. Seither kommen die Mehrzahl der Tränen, die dort vergossen werden, vom Lachen.

    Herzlichen Glückwunsch nachträglich!

    Noch weiter zurück blickt die Schauspielerin und Choreographin Sylvia Schmid, die sich jüngst mehrfach einer Berliner Ikone der Zwanzigerjahre widmete: "Anita Berber - Laster und Ekstase" heißt ihre Text- und Tanzcollage, die sich zu einem Dauerbrenner gemausert hat und inzwischen mehrfach erweitert wurde. Die ekstatischen Tänze werden in authentischer Atmosphäre gezeigt, in der Kleinen Nachtrevue. Das ist ein plüschiges Animierlokal auf der Touristenmeile des alten West-Berlin. Dieser Teil der Vergangenheit wirkt sich aber keinesfalls negativ auf die Produktion aus: Sie ist künstlerisch höchst anspruchsvoll und spannend - Rückgriffe auf billige "Dit war Berlin in den goldenen Zwanzjern"-Klischees hat das Ensemble nicht nötig. Sehr zu empfehlen.

    Weniger Erfolg hatte leider die neuerschaffene Berliner Fassung von Kurt Weills Broadway-Musical "One Touch of Venus" aus den Vierzigerjahren. Zwar war auf dem Schlossplatz extra ein neues Zelt gebaut und außerdem die gereifte Marianne Rosenberg für die Titelrolle engagiert worden. Half aber nichts, nach wenigen Vorstellungen musste das Vorhaben abgebrochen werden. Weil die Heizung für das Zelttheater offenbar nicht geeignet war, mussten erkältete Darsteller zuvor mehrere Vorstellungen platzen lassen, den Rest besorgten einige Verrisse in der Presse. Schade drum.

    Auch in einem anderen Zelt spielt die Heizung verrückt - bei einer Operngala kurz nach der Eröffnung des neuen Tempodrom wurden die Gäste praktisch tiefgefroren, beim Neujahresempfang dafür dann gegrillt - aber sonst deutet alles auf ein Happy End hin: Endlich ist der neue Spielort der ehemaligen Alternativikone Irene Mössinger fertig. An die Wurzeln der Zirkuszelt-Bühne in den Achtzigerjahre erinnert der solide Neubau nur noch andeutungsweise mit einem hübschen, zeltartigen Dach aus gespanntem Beton. Das ambitionierte Bauprojekt der Betreiberin überzog die veranschlagten Baukosten allerdings ordentlich. So weit nämlich, dass die Bauarbeiter teilweise wegen nicht bezahlter Rechnung den Hammer fallen ließen. Dass dann doch noch pünktlich zur Verleihung des Europäischen Filmpreises eröffnet werden konnte, ist dem Berliner Senat zu verdanken, der trotz der gegenwärtigen Bettelarmut schließlich zähneknischend einsprang. Erfreulich, dass Notgroschen auch mal für kulturelle Zwecke abgezwackt werden, nicht immer nur für kaputtkorrumpierte Bankgesellschaften.

    Kabarettist Arnulf Rating richtete auf der nagelneuen Bühne dann auch gleich mit der großen Kelle an: Unter dem Titel "Maulhelden" veranstaltete er mit einem guten halben Dutzend Mitstreitern im Januar erstmals ein neues, internationales "Festival der Wortkunst". International umfasste er dabei nicht nur die Eurozone - vom Rheinland bis Spanien, von Baden bis Großbritannien - sondern auch Zimbabwe, Kolumbien und Japan. Aus Deutschland waren praktisch alle dabei, die jemals irgendjemanden mittels Worten zum Lachen gebracht haben: Asül, Beltz, Betancor, Deutschmann, Dikmen, Droste, Evers, Kaminer, Kapielski, Kappes, Kuttner, Pigor, Pispers, Polt, Priol, Rowohlt, Schramm, und das sind noch längst nicht alle. Sogar Erpresserkönig Dagobert persönlich hat gelesen. Auch er ja, in gewisser Weise, ein Maulheld.

    Nicht dabei waren allerdings Wühlmaus-Preisträger Otto Kuhnle und der nicht minder verwegene Comedian Kurt Krömer. Dafür haben die beiden den "Kitsch und Kacke Club" wiederbelebt, und wollen damit im neuen Jahr "so zehn bis hundert Mal" auftreten. Die Probeballons, die sie Ende Dezember in der proppenvollen - weil nur wohnzimmergroßen - Scheinbar zweimal steigen ließen, waren allerdings von durchmischter Qualität. Denn deutlich war zu sehen, dass zwei begnadete Einzelkämpfer zusammen nicht automatisch ein gutes Team abgeben. Die Melange aus Stand Up-Comedy, Musik, Talk und akrobatischen Nummern hatte einige Längen, und insbesondere Kuhnle scheint sich mit einem potentiellen Konkurrenten auf der Bühne schwerzutun. Trotzdem netter Versuch, vielleicht wird`s ja noch.

    Die Nase voll von anspruchslosem Kitsch, Kacke, Klamauk und sonstigen Auswüchsen der Spaßkultur hat nicht nur Trottoir-Chansonexpertin Yvonne Helmbold (vgl. letzte Ausgabe). Auch die Ufa-Fabrik reagiert auf den - allseits vorhandenen - Wunsch nach etwas mehr Substanz und Ernsthaftigkeit. Eine neue Veranstaltungsreihe trägt den Titel "Diwan Salon" und besteht aus regelmäßigen Vorträgen aus "Wissenschaft und Grenzwissenschaft". Literatur und Lesungen sollen ebenfalls mehr Raum bekommen. Wir sind gespannt.

    Damit die guten Vorsätze zumindest des Publikums ("Im neuen Jahr bleibt die Glotze aus") nicht an Euro-Umstellungsstreß scheitern, hat die Bar jeder Vernunft für ihre Besucher am Eingang übrigens eine kleine, nette Wechselstube eingerichtet. Der Verwirklichung der Vorsätzen steht also nichts mehr im Weg. In diesem Sinne wünschen wir : schöne Live-Erlebnisse auf allen Bühnen!

    Redaktion: Susann Sitzler


    Termine


    Mehringhof Theater:

    13.-31. 3.: Horst Schroth: „Herrenabend„ (Kabarett)

    3.-15. 4.: Valtorta: Parole 73 (Kabarett)

    17. - 28. 4.: Sinasi Dikmen: „Mach kein Theater, Türke„ (Multikultikabarett)

    1. - 12. 5.: Philipp Sonntag: „For President!„ (Comedy)


    Kalkscheune:

    5. & 6. 3 und 21. & 22. 3.

    Herr Nilsson (Berliner Barbeatpop)


    Bar jeder Vernunft:

    1. - 6. 3. : Matthias Deutschmann „Streng Vertraulich“

    7.  - 3. 4. : Benedikt Eichhorn „Pigor, Pigoretten und der Ulf„

    9. 4. - 21. 4.: Cora Frost: „Life Strip“

    AdNr:1099 

    2002-03-15 | Nr. 34 | Weitere Artikel von: Susann Sitzler





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