Ein Interview mit Justin Lenoir, künstlerischer Leiter von „Theater Rue Piétonne“
Seit über zehn Jahren durchwandert die Straßentheatertruppe „Theater Rue Piétonne“ mit großem Erfolg die Festival- und Eventszene Europas und der Welt. Ihre bekanntesten Kreationen: die so genannten Röhren-Stücke mit unter anderem „Camila“ und „die Herde“.
2005 stellen die „Röhrenkünstler“ eine brandneue Auftrittsreihe zum Thema „Papier“ vor.
TROTTOIR: Wie bist Du zum Papier gekommen?
Justin Lenoir: Im Papier steckt eine Menge Potenzial. Ich bin in den letzten Jahren sehr oft nach Japan gereist. Das Papier hat in Japan eine wichtige Bedeutung. Im Japanischen bedeutet das Wort Kami sowohl „Papier“ als auch „Gottheit, guter Geist“. Die Zen-Philosophie spielt dabei ein große Rolle: Sie sagt u. a., dass es keinen Wertunterschied zwischen Mensch und Objekt gibt.
T.: Der Respekt vor der Natur - ist das die Philosophie Eures Theaters?
J. L.: „Rue Piétonne“ befasst sich schon immer mit Umweltthemen. In der westlichen Welt wird Papier in Unmengen verschwendet. Wir haben von der Lebensphilosophie aus Asien unglaublich viel zu lernen. Wir wollen zeigen, dass unsere Umwelt (und nicht nur die Natur) durch kleine Gesten schöner werden kann. Für unser Stück Kamikami benutzten wir Restpapierrollen, die vom Zeitungdruck übrig bleiben.
T.: Das ist konsequent und nachhaltig - auch TROTTOIR arbeitet mit 100% Recyclingpapier. Doch zurück zu Eurem Stück. Wie entstehen Eure Geschichten?
J. L.: Konkret zeigen wir alles, was man mit Papier und mit den Origami-Techniken machen kann und wie man damit umgehen sollte. Große unbekannte Origami-Künstler sind unsere Vorbilder. Ein einziges Blatt ist im Grunde nichts. Aber wenn es sich durch etliches Falten verwandelt und anfängt, Geschichten zu erzählen, dann wird es spannend.
T.: Wie reagiert das Publikum?
J. L.: Ich bin positiv überrascht. „Endlich mal etwas anderes!“, sagen uns die Leute.
Wir können überall auftreten: drinnen, draußen, auf Abendveranstaltungen, im Theater oder bei Straßenfestivals. Die Leute kriegen nie genug von diesen Papierobjekten, von diesen Kleinigkeiten. Denn im Grunde sind das wirklich nur „Kleinigkeiten“, wie in unserem Stück Kamikami oder das Zen der Kleinigkeiten.
T.: Und die Röhren-Performace, die Euch die letzten Jahre begleitet hat?
J. L.: Die gibt’s natürlich immer noch. Umso mehr, als die auch voller Falten sind! 2005-06-15 | Nr. 47 |