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    Kultur in Gefahr ? Zumindest nicht auf dem Musiksektor

    Unlängst wurde gemunkelt, dass Deutschlands Kulturstatus heftig ins Wanken geraten sei. Wenn ich mir das derzeitige Angebot etwa auf dem Musiksektor ansehe, kann ich diese Meinung nicht unbedingt teilen. Es gibt natürlich auch Musikangebote, die ich qualitativ nicht hoch einschätze, die aber dennoch von Vielen geliebt werden. Vor allem aber gibt es jede Menge Spitzenkünstler auf deutschen Bühnen. Und die zeigen, dass sie ihr musikalisches Metier in welchem Genre auch immer absolut beherrschen – und zudem halten sie die Fahne in Sachen Kultur hoch.

    Wie etwa die Flying Pickets, die nach wie vor zu den besten a-capella Formationen weltweit gehören. Die Männer um Mindhead Gary Howard , den „Louis Armstrong des a-capella„ sind ständig auf Tour und einfach ein Erlebnis. Nach „Only you„ hat es in dieser Crew Riesenentwicklungen im Pop und Jazz gegeben. Mühelos geben sie kund, was sich auf dem derzeitigen Markt in den Charts breit macht, nicht als Boy-, sondern als Men-Group. Und kaum ein anderes Vokalensemble kann derart genial Instrumentalstücke in Vokalarrangements umsetzen.

    Zudem ist Gary Howard ein faszinierender Anleiter in seinen Workshops - agil, jede Pause vergessend, um am Ende mit den Teilnehmern gar siebenstimmige Improvisationen zu singen.

    Also ab in die Pickets–Konzerte und Workshops. Gary wird u.a. 2002 in Koblenz beim 10. Internationalen Pfingstseminar einen Workshop anbieten 

    Wer es folkloristisch mag und wen es in den Tanzbeinen juckt, der sollte sich unbedingt einmal Cajun oder Zydeco anhören. Und die derzeitige Topband dieser Musik ist Le Clou. Ihre Musik wurzelt in den Swamps, den Sümpfen des Mississippi Deltas. Dort leben die Cajuns ,Frankoamerikaner, die in den Bayous bei New Orleans neben ihrer ureigenen Lebensart auch ihre Cajun Music entwickelt haben. Die musikalische Seele von Le Clou ist das Trio Michel David, Yves Gueit und Johannes Epremian. Mit Gesang, Gitarre, Akkordeon und Fiddle präsentieren die drei, auf ihrer Cajun Swamp Groove Tour unterstützt von Gero Gellert, Bass, und Ralph Schläger an den Drums, den original Cajun, den man sonst nur in den Tanzschuppen von Louisiana hören kann. 

    Folkloristisch geht es auch zu bei den Virtuosen des Ostens. Die servieren eine packende Mischung aus Klassikbearbeitungen und folkloristischen Klängen ihrer rumänischen  Heimat. So ausgefallen wie die Besetzung des Ensembles mit Mihai Turcitu (Violine), Nicolae Turcitu (Akkordeon), Constantin Mircea (Viola), Gabriel Barbalau (Bass) und Vasile Luca (Zymbalon), so ausgelassen und virtuos sind die Darbietungen etwa des „Csardas„ von Monti oder Brahms´ „Ungarische Tänze„. Mit folkangehauchter Klassikpower lassen die Musiker Rimskij-Korsakovs Hummeln fliegen und Chatschaturjans Säbel tanzen. Furios die Soli des Violinisten, bei „Dizzy Fingers„ von Confrey graziler Fingertanz auf dem Akkordeon und atemberaubende Arbeit am Zymbalon lassen den Atem stocken. Mitreißend inszenieren die Virtuosen auch den Folk ihrer Heimat. Mit Raluca Patuleanu featuren sie zudem eine ausgezeichnete Pan-Flötistin. Schmachtende Violinenseufzer und die zarten Töne der Panflöte vereinen Wehmut und Heiterkeit. Der langsame Walzer fließt  in den aus Wien, Marschtempo eskalierte zum Twobeat – und hin und wieder begegneten die Tanzrhythmen den Klängen der Sinti und Roma.

    Und noch mal Folklore, diesmal im Jazz:

    Joscho Stephan gehört schon jetzt als 20-jähriger zur ersten Reihe der Jazzgitarristik. Und wer ihn mit seinem Quartett erlebt, kann dann selbst nachvollziehen, warum auch die internationale Kritik diesen jungen Künstler mit Lob überschüttet. Was Joscho Stephan auf die Bühne bringt, ist eine einzigartige Ode an die Legende Django Reinhardt, an den Inbegriff des Zigeunermusikers. Und wenn man die Augen schließt, hört man förmlich die Nadel des Schallplattenspielers über die Rillen des Tonträgers gleiten, auf den etwa die Sinti-Musik der französischen Reinhardt-Ära gepresst sind. Es ist die Wiedergeburt der Jazzlegende. Aber Joscho Stephan reinkarniert nicht nur die Musik, sondern auch das damit verbundene Feeling. Ob Swing, March oder Sinti-Waltz –spürbar wird der Spaß am Musizieren auf der Bühne. Und spürbar ist die Freude der Zuhörer am Zuschauen und Zuhören. Manchmal kann man gar nicht so schnell hören wie dieser Jazzer auf seiner Gitarre Töne produziert. Diese Musik ist immer in Bewegung, wird angetrieben vom Two-Beat, vom impulsiven Viervierteltakt, den Joscho Stephan teils bis zur Ekstase zelebriert. Mit virtuosem Hochtempospiel markiert er die einzelnen Stücke, setzt ihnen seinen Stempel auf, lässt sie in Tempo und Dynamik eskalieren. Der Tradition fühlt er sich verpflichtet. Allerdings hindert ihn das nicht daran, die Vorlagen aufzupeppen, einer Verjüngungskur zu unterziehen, sie aus der Vergangenheit ins Heute zu transportieren. So pulsiert „Sweet Georgia Brown“ mit ungeheurer Vehemenz. Selten kehrt an diesem Abend etwas Ruhe ein wie bei „C´est si bon„ . Dieser Gitarrist powert ohne Ende, ist kreativ, und verfehlt weder die richtige Saite noch den richtigen Bund. Zudem sorgt er dafür, dass seine Mitmusiker nicht im Schatten bleiben. Ralf Jäger sorgt am Bass für den notwendigen Groove,  Günter Stephan liefert den Rhythmus mit der gesamten Vielfalt der Akkordik und Peter Schmudder setzt mit der Mundharmonika das „Tüpfelchen auf das i„. 

    Zum Besten, was der Jazznachwuchs zu bieten hat, gehört ohne Zweifel auch Underkarl.  Das Quintett um den Bassisten Sebastian Gramms  rührt querbeet durch alle Genres der Musik einen Sound, der druckvolles Spiel und jazzig-balladiöse Lyrik herzerfrischend nebeneinander stellt. Keine Chance für Langeweile, weil man jeden Moment damit rechnen muss, dass etwas völlig Neues passiert. Swing-Groove ergießt sich in Bläsertiraden, Tanzrhythmen fließen in stampfenden Blues und werden durch effektvolles Gitarrenspiel zum Klassikset übergeleitet.

    Da steht dann am Ende eines Jazzmedleys urplötzlich Mozarts „Alla Turka„ im Raum. Miles Davis trifft Bela Bartok und ABBA, und Björks Auseinandersetzung mit den Stimmen der Wale liiert musikalisch mit Bach. Der Reiz des Ganzen besteht bei Underkarl allerdings nicht allein in der waghalsigen Mischung, sondern vor allem in der intelligenten mit Improvisationsfreude durchsetzten Aufbereitung. Gramms (Bass), Lömsch Lehmann (Sax, Klarinette) Frank Wingold (Gitarre, Turntable), Nils Wogram (Posaune) und Dirk Peter Kölsch (Drums) gelingt es, jenseits jeder Effekthascherei im offenen Musizieren Jazz mit Pep und Spaß zu gestalten, der Entertainment auf ein hohes Level schraubt.

    Es gehört schon Mut dazu, ein Jazzseminar auf der Bühne abzuhalten. Das Kurpfalz Jazz Quintett hat nicht nur den Mut dazu, sondern auch das nötige Wissen und vor allem das entsprechende Repertoire. Zu feiern gilt es in diesem Jahr den einhundertsten Geburtstag des publizierten Jazz. Jazzfreunde sind dabei bei einem Streifzug durch die Vielfalt der wichtigsten Stilarten und Ausformungen eines Genres, das sich bis heute als Kunstform immer stärker etablierte. Mit Hintergrundinformationen, gespickt mit Anekdoten und Witzeleien führt Felix Conrad durch das Programm. Als Pianist des Kurpfalz Jazz Quintetts setzt er mit der Formation das Wort in Musik um. Exzellent aufeinander abgestimmt musiziert das Quintett  die Highlights der Epochen und Stilformen.  

    „Back to the roots„, zum Ragtime etwa eines Scott Joplin, oder dem Dixieland aus der Jazzmetropole New Orleans. Mit dem seelentriefenden  „Tinroof-Blues„ und  „Basin-Street.Blues„ wird der Blues als Herz des Jazz zelebriert.

    Druckvoll inszenierte Conrad am E-Piano mit „Honky-Tonk Train„ und Ray Anthony´s gleichnamigem Boogie die Ärä des Boogie Woogie der 20er Jahre oder den swingenden Swing der 30er Jahre, für den Duke Ellington oder Glenn Miller exponierte Vertreter waren. Mit Charlie Parker, der zum Vorbild ganzer Musikergenerationen wurde und seinen Kompositionen begeistert das Kurpfalz Jazz Quintett das Auditorium einmal mehr. Glanzvoll und spannend die Vielfalt der Harmonik des Bebop. Und überraschend die Adaptionen der gebebopten Swing – Standards.

    Zum Schluss noch ein Blick auf die Klassik.

    Als klassischer Gitarrist hat sich weltweit einen Namen gemacht. Bei seiner „Tournee 2001„ scheinen die Freunde der Gitarristik nach Eintrittskarten schier zu lechzen. Und Legnani enttäuscht seine Fans nicht. Mit Sors ideenreichen und spieltechnisch alles fordernden Variationen op. 9 über ein Mozartthema begann Legnani seinen virtuosen Streifzug durch die Geschichte der Gitarrenmusik bis ins 20. Jahrhundert hinein. Facettenreich interpretierte er dabei die Vorlagen, zeigte sich als brillanter Techniker und ausgezeichneter tiefsinnig denkender Übersetzer der notierten Vorlagen. Im Verlauf gelingen ihm gitarristische Highlights wie die „Romanza„ des italienischen Geigen – und Gitarrenmeisters Paganini, Mauro Giulianis Auseinandersetzung mit Rossini-Themen in „Le Rossiniane No.1„ oder auch der temperamentvolle „Danza espanola n.5„ aus den 12 spanischen  Tänzen von Enrique Granados.  Beeindruckend spielte Legnani Werke aus Südamerika wie etwa „Canarios„ von Caspar Sanz oder den fröhlichen brasilianische Tanz „Maxixe„, in dem das Knarren des Ochsenwagens in Töne gefasst ist. Der Künstler bietet echt spannende Konzerte auf  sehr hohem Niveau.

    Und nun meine Frage: Kann bei solchen Topmusikern noch davon gesprochen werden, dass die Kultur in unserm Land gefährdet ist?

    Redaktion: Bernhard Wibben

    2001-06-15 | Nr. 31 | Weitere Artikel von: Bernhard Wibben





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