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  • Themen-Fokus :: Musik

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    Musik als gediegenes Handwerk

    Musik als Handwerk zu sehen, hat was. Schließlich entsteht da echte Freude an der Musik, wo sie handgemacht ist, wo Herz und Hand zusammengehen. Bei Philip Catherine etwa, dem belgischen Weltenbummler in Sachen Jazzgitarristik. Der Ausnahmegitarrist ist seit den sechziger Jahren aus der europäischen Jazzszene nicht mehr wegzudenken, erhielt unter anderem 1998 in Paris den "Django d'Or" als "Best European Artist". Ich hab ihn  live in einer tollen Formation erlebt. Gemeinsam mit Frank Haunschild (Jazzgitarre), Gunnar Plümer (Bass) und Keith Copeland (drums) entfacht er pure Ausgelassenheit. Die vier spielen miteinander, spielen sich Versatzstücke wie Pin-Pong-Bälle zu und zaubern Musik, die einfach lebt vom großen Reichtum an Ideen und virtuoser Musizierkunst. Da harmonieren nicht nur die Harmonien. Scofields „Keep me in mind„ lässt Catherine den Latino-Rhythmus mittanzen, und seinen gleißenden Riffs verfällt er so selbst so sehr, dass er sie mitsingt. Freude kommt auf, wenn Haunschild lächelnd spürt, wie kreativ Catherine die Overdubs über seine grandiose Akkordik legt. Ein Blick Catherines genüg, um punktgenaue Breaks zu positionieren, nach denen Gunnar Plümer seinem Bass saitenweise Tongeschichten entlockt und Keith Copeland in die Beine gehende Rhythmik entwickelt. Mehr als das, mehr als diese vier Musiker, mehr als Haunschild und Catherine kann ein Jazzkonzert nicht bieten. Oder doch?

    Denn ohne Zweifel steht der Franzose Richard Galliano in der Nachfolge des Tango - Erfinders Astor Piazolla. Aber er, der Entdecker des Akkordeons für den Jazz,  geht seit Jahren konsequent seinen musikalischen Weg weiter. Und er ist nicht stehen geblieben bei der Modernisierung der Musette. Was Galliano mit seinem New York Quintett zelebriert, ist atemberaubend. Der Einfallsreichtum dieses fingertanzenden Akkordeonisten, gepaart mit Virtuosität und einem Höchstmaß an Emotionalität, und die tadellose Musizierkunst seiner Band sind ein absolutes Highlight, sind  Weltmusik auf Weltniveau. Richard Galliano übertritt permanent Grenzen, ohne Grenzen zu verletzten. Seine Musik verbindet Klassik mit Jazz, Folkloristisches aus Italien, Frankreich, Spanien oder den Staaten mit orientalischer Melodik und dem Temperament der Zigeunerweisen, Cajun mit Swing – und selbst der Rhumba hat was Bluesiges.

    In seinen Stücken entwickelt sich die ganze Vielfalt des musikalisch Machbaren zu einem Wohlklang, der als Bandimprovisation und in den Soli vor Kreativität strotzt und im Zauber der Klänge gefangen nimmt.  Mit ihm setzen seine Musiker neue Maßstäbe. Solistisch und in den Dialogen von Akkordeon mit Klavier, oder Bass wird Fantasie spürbar. Und in der faszinierenden  dramatischen Begegnung von Akkordeon und Geige geschieht schier Unglaubliches. Ein Konzert also, bei dem man hineingezogen wird in einen wahren Freudentaumel.

    Eine großartige neue Entdeckung in der Musikszene war für mich ein Konzert des Duo Virtuoso. Mit Akkordeon und Flöten wurden unter anderem Mozart, Rossini und Vivaldi eine Frischzellenkur verabreicht.  Die beiden Musiker imitieren das Stimmen der  Orchesterinstrumente, um  sodann ein Werk ihres Freundes Mozart zu präsentieren. Die „Kleine Nachtmusik„ erhebt sich auch in der Besetzung für Akkordeon und Piccoloflöte zur großen, dem Komponisten angemessenen Darbietung. Bei all der Komödie mit humorigen Moderationen und Spaß an und in der Musik wird deutlich, dass da „nur„ zwei Instrumentalisten (welt-) meisterliches leisten. Der eine, Enrique Ugarte als amtierender Weltmeister auf seinem Akkordeon, und der andere, Raul Alvarellos, als begnadeter Klarinettist und Flötist. Der Quintessenz ihrer mittlerweile 12-jährigen Zusammenarbeit haben sie einen treffenden Namen gegeben: Duo Virtuoso. Und in der Tat stehen da zwei kreative Virtuosen auf der Bühne des Schlosshofes, bei denen sich die Zuhörer wohlfühlen, und  zurücklehnen und genießen. Etwa die keltischen Dudelsackklänge aus dem spanischen Galizien oder Tänze aus den „Carmina burana von Carl Orff. Ugartes Solo mit Astor Piazollas „Ballade para un loco„ entwickelt der Akkordeonist zu einer gefühlvollen Hommage an  den Tangoerfinder und lässt spanisch-südamerikanische Melodien und Rhythmen durch den Schlosshof strömen.

    Solistisch stark ist auch Alvarellos, der mit der A-Flöte die volle Wirkung der „Echofantasie„ entfaltet. Das Duo Virtuoso reißt mit, lässt das Publikum nicht nur in der Rolle des Zuhörers.  Beim  ungarischen Csardas des Italieners Monti erliegt es dem Temperament der Rhythmen und klatscht freudig mit beim berühmten „Cancan„ aus „Orpheus in der Unterwelt„. Argentinische Tangos, Milongas, Arien von Rossini oder dem Frühling aus Vivaldis „Vier Jahreszeiten„ verpassen diese beiden Spaßvögel und Ausnahmemusiker eine erfrischend neues Outfit. Also die nächste Gelegenheit, sie zu sehen und zu hören, beim Schopf ergreifen!

    Freude kommt auch auf bei einer Band, die seit einigen Jahren in Deutschland von sich reden macht. Was mal als Oscar Jazzig Swingband auf den Jazzpodien Deutschlands zu Ehren kam, findet seit einiger Zeit seine exquisite Fortführung in „Hammond Voice„. Und  der Spaß, den Hammond Voice seinen Zuhörern bereitet, ist ansteckend. Von Spielkunst, atemberaubender Rhythmik und erstklassigem Gesang begeistert lassen die Jazzfans sich mitnehmen auf eine Reise durch Stilarten des Jazz wie Funk, Latin, Blues, Soul und Swing.

    „Thrill of Jazz„ betitelt die Band ihr derzeitiges Programm und ihre aktuelle CD. Und der Titel bewahrheitet sich: Hammond Voice präsentiert ein packendes, aufwühlendes Jazzerlebnis. Nicht nur die original Hammondorgel B3 aus den 50er Jahren, Namenspatin der Jazzer, sondern auch der Mann, der sie spielt, sind grandios. Achim Brochhausen kreiert fingerfertig an der Grenze des interpretatorisch Machbaren den vollen Zauber ebenso wie die aufschreiend - diabolischen Toncharakteristika des Instruments. Seine Virtuosität ist ebenso faszinierend wie die seiner Mitmusiker. Johannes Andre entlockt seinen Gitarren gleißende Singlenotelines, um gleich darauf die Vielfalt der Akkorde in die Rhythmsection zu integrieren. Wendel Biskup, der  Hammond Voice zum „Sixpack„ erweitert,  fängt die Soloanforderungen mit seiner Bassgitarre auf und setzt sie bestechend um. Rasant seine Läufe, mit denen er dem Ganzen den nötigen Drive gibt.

    Und wer meint, Manni Schmidt an den Drums beschränke sich auf das Notwendige, hat  weit gefehlt. Aus dem Latin „Besame mucho„ entwickelt er ein mitreißendes Schlagzeugsolo, dass die Zuschauer kaum auf den Stühlen hält. Und ihn selbst schon mal gar nicht. Sein großartiges Solo endet am Mikrofon, dass er kurzerhand zum Percussionsinstrument mutieren lässt.

    Solistisch versiert und spielfreudig zeigt auch Thilo Willach die komplette Palette der Möglichkeiten des Saxofons. Während er sich und dem Instrument alles abverlangt, hält das Publikum ob dieser Lehrstunde des Blasinstruments die Luft an.

    Frontfrau Andrea Neideck ist mehr als das Tüpfelchen auf dem „i„. Wie ein Vokalchamäleon passt sie sich und ihre Stimme den Werken an, lässt den Blues vom „Weaping willow tree„ tropfen oder bietet ein tolles Remake des Carol King-Klassikers „I feel the earth move„.  Die Gruppe insgesamt ist ein Garant für starke Gigs.

    Das wars wieder mal. Viel Spaß in den handgemachten Konzerten.

    Bis demnäx. Euer Bernhard Wibben        

     

     

     

     

     


    2002-09-15 | Nr. 36 | Weitere Artikel von: Bernhard Wibben





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