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    Musik ist einfach schön!

    Selbst Trottoir kommt nicht am Bachjahr vorbei. Den Meister der Fuge haben nicht nur "Ekseption" aus Holland bearbeitet. Auch mit Computerklängen wie "Switch on Bach" ist er zeitweise "vergewaltigt" worden. Das im 250ten Sterbejahr des Komponisten, der immerhin 21 Kinder zeugte und getadelt wurde, weil er während der Predigt in den Weinkeller ging, der Bach in vielen Veranstaltungen "fließt", kann den Musikkennern und Klassikfreunden nur Recht sein. Aber Bach ist nicht nur ein genialer Musikus gewesen, sondern eben auch ein Bahnbrecher für Neue Musik. Zu seinen Lebzeiten schon haben Konzertbesucher unter Protest den Kirchraum verlassen, weil sie seine Werke zur Unterhaltungsmusik zählten. Allerdings: Selbst, wenn Bach selbst seine Musik als "Dienst für Gott" verstand, hat aber seit allen Zeiten Musik immer auch unterhaltenden Charakter gehabt. Bei Bach - wie auch bei vielen anderen - allerdings steht wohl definitiv fest, dass die Originale immer besser waren als die zum Teil krampfhaften Versuche, seine Ideen in die Pop- und Jazz- Welt zu adaptieren.

    Dass aber dennoch nach Bach die Musikentwicklung mit innovativen Ideen weiterging, ist eine Binsenwahrheit.  Und eine Binsenwahrheit ist auch, dass bei den in der Musik vorhandenen Tönen wie auch den Instrumenten der Kreativität keine Grenzen gesetzt sind.. Dass zum Beispiel die Blockflöten,  Okarina  oder das Gemshorn in die Klangwelten des Jazz integrierbar sind, zeigt das Nadja-Schubert-Quartett.  Wenn das auch das einzig experimentelle Element ist, bei dem es darum geht, die Blockflöte als Soloinstrument in Jazzrhythmen und traditionellen Changes hineinzustellen - keine Revolution also, aber bravouröse gemacht -, so muss erwähnt werden, dass das Publikum jedes mal begeistert ist.

    Mit dem furiosen "Frevo" von Gismonti gelingt der Formation um  Nadja Schubert  ein heftig groovender Opener. Nadja Schubert hat absolute Führerqualitäten, ist virtuos in der Beherrschung ihres Instruments. Mit Standards wie Chick Coreas "Spain" oder Kosmas  "Autumn Leaves" geht sie ebenso einfallsreich um wie mit der Bearbeitung des Volksliedes "Taler, Taler, du musst wandern" für Gemshorn und Rhythmusgruppe. Die Eigenkompositionen sind ihr auf den Leib geschrieben. Vor allem die des Bassisten Sascha Delbrouk. Kreativ entwickelt Delbrouk sein "Rainy season" zu einem balladiösen Bossa, und zelebriert die Urkraft des Blues in "Broux Blues". Mit dem wunderschönen "Silence" zeigt das Quartett musikalisch die in der Ruhe liegende Kraft. Martin Sasse liefert dazu die phantasievollen Pianoeinwürfe, und bei Sasses "Waltz for  Katharina" produziert Delbrouk die walking-acts  auf dem Bass. Bei alldem sorgt Roland Höppner mit special-guest Jens Kerkhoff  für die rythmische Basis, tritt aber leider solistisch in den Hintergrund.

    Apropos Rhythmus. Wer den Tango mag, muss auch den Erfinder des Tango Astor Piazolla mögen. Gehört habe ich Volker Höh (Gitarre) und Ernst Triner (Violine), beide hochkarätige Virtuosen, mit "danzas fanasticas". Das Zusammenspiel der beiden Künstler ist ein Zusammentreffen zweier Saitenartisten. Dabei traf die Auswahl  der "leicht zu hörenden, aber schwer zu spielenden" Musikliteratur wie etwa Piazollas "Tango-Suite" vollauf den Publikumsgeschmack.  Die Suite beschreibt  die Entwicklung des Tangos von seinem Entstehungsjahr 1882 an (übrigens in einem Bordell entstanden!) über Entwicklungsstationen wie etwa dem melancholisch - melodíschem Tango zum Zuhören in den dreißiger Jahren. Würze bringt bei den Beiden zudem die Musik des Kubaners Leo Brouwer oder etwa die Sonate D-Dur des Franzosen Jean Marie Leclair, die  in ihren vielfältigen melodischen Phrasierungen französisch-majestätische Eleganz ausstrahlt.

    Eleganz schauspielerischer Art bietet auch  Konrad Krauss. Die Republik kennt ich  als Arno von Anstetten aus der ARD-Soap "Verbotene Liebe". Dass aber dieser Mann, der auf der Bühne immer wieder mal mit seiner Profession "zum TÜV" geht, großartige schauspielerische Qualitäten hat, zeigt er zusammen mit dem Grand Signeur der klassischen Gitarre Hubert Käppel. Da schreibt Jimenez die Geschichte des Esels Platero, Castelnuovo-Tedesco komponiert die Musik zu dieser Erzählung. Und beide Autoren hätten sich keine besseren Interpreten wünschen können als Hubert Käppel, der musikalisch die tiefen Seelenbewegungen des Esels Platero ergründet, und Konrad Krauss, der phantasievoll, durchdacht und mit akribischer Suche nach der rechten Mimik und dem sicheren Gefühl für die Gestaltung des Textes die Rolle des Erzählers nicht nur wahrnimmt, sondern facettenreich ausgestaltet. Mitgenommen wird dabei der Zuhörer  in eine Welt der nachdenklich-humorvollen philosophischen Auseinandersetzung mit dem Leben, mit der Frage nach dem Zusammenleben zwischen Mensch und Tier und Mensch und Mensch.

    Dargestellt wird die intensive Beziehung des "Ich" zu "Platero", dem die Leute verwundert nachblicken, der seinem Besitzer so ähnlich ist, der weiß von dem andern. In harmonisch-göttlicher  Heiterkeit erleben "Platero und ich" die Schönheiten der Natur, die überschäumende Fröhlichkeit und die inbrünstige Diskussion der Spatzen im Frühling. Und als Platero stirbt, stellt "ich" sich an seinem Grab vor, dass er auf "Himmelswiesen grast und Engelbengel auf sich reiten lässt". Dieses Werk aufzuführen braucht mehr als nur Spieltechnik und sprachliche Kompetenz. Käppel und Krauss bringen  mehr als das auf die Bühne. Der eine weiß virtuos darum, dass die Gitarre eine unmissverständliche Sprache spricht, Gefühle vermitteln und wecken kann. Der Andere ist sich seiner Verantwortung bewusst, dass gesprochene Sprache nur als Äquivalent zum musikalischen Ausdruck Relevanz gewinnen kann.

    Ein wahrhafter Magier der Gitarre - und ein absoluter Top-Star der Gitarristik-Welt ist  David Russell. Seine bereits von Segovia hochgelobte  Musikalität und technische Versiertheit präsentierte der in Spanien lebende Maestro in einem denkwürdigen Konzert.

    Russells Spielweise ist anzusiedeln am Zenit des Gitarrenhimmels, und in der Tat fragen Experten und Laien sich gleichermaßen verwundert, was noch nach Russell kommen kann, nach derart hochklassiger Technik und diesem Höchstmaß an  sorgfältiger und authentischer Interpretation. Da unternehmen die Finger der linken Hand grazile walk-acts auf dem Gitarrenhals und unterstützten den großartigen Klang, den die rechte Hand dem Korpus des Instruments entlockte.

    Brocas Fantasien  geraten so zu Lehrstücken der Gitarrenkunst, bei denen es den Anschein hatte, als würden sich Musik und Musiker wechsels(a)itig beflügeln. Mit "Sueno en la Floresta" von Barrios demonstriert Russell den ganzen Zauber einer abendlichen Serenade.

    Das alles hat ungeheure Leichtigkeit, strotzt nur so vor präzisem  Umgang mit dem Instrument, lässt den Musiker zum Magier werden, der die Musikbegeisterten in seinen Bann zieht. Kaum jemand wagte einen lauten Atemzug, um ja keinen dieser wunderschönen Töne zu versäumen.

    Neues auch von Frank Haunschild. Mit  "The Quintett" hat er in diesem Jahr die creme de la creme des Jazz um sich geschart: Tom van der Geld (Vibes), John  Ruocco (Saxophon, Klarinette), Thomas Stabenow (Bass) und nicht zuletzt Michael Küttner (drums) spielen in dieser Formation erstmalig zusammen. Was die Fünf zu Gehör bringen, sind die wohlklingenden Jazzstandards der vergangenen Jahrzehnte. "In your own sweet way" von Dave Brubeck  etwa oder "How my heart sings" und "Israel". "The Quintett" inszeniert diese Tunes liebevoll mit herrlichen Soli und pulsierendem Groove.  Latinorhythmen wie der Bossa treffen auf den Jazz-Waltz, den Blues und Swing.  Ungeheuer bodenständig ist dieser Jazz. Melodik steht im Vordergrund, wird in den Soloparts kreativ ausgeformt. Tom van der Geld malt auf dem Vibraphon Traumlandschaften, John Ruocco arbeitet an Saxophon wie Klarinette unkonventionell und spektakulär die balladiösen oder auch die Hochtempo - Details heraus, Stabenow grooved am Bass und sorgt mit Michael Küttner am Schlagzeug für den unverzichtbaren Drive. Und Haunschild entlockt seiner Gitarre  bravouröse Lines und exzellente Akkordik. 

    Es überwiegt aber leider der Wohlklang, die Schönheit der Musik, die  harmonische Ruhe.  Spätestens im zweiten Set kommt der Wunsch auf, aus dieser Ruhe erlöst zu werden, Power und druckvolles Spiel zu erleben. Dann aber geht doch noch die Post ab. Haunschilds "Between the sweets" bringt  musikalischen Biss, Bewegung, mitreißende Tempi, Neues wie etwa die Verwendung von Synthi-Loops. Ein wahrhaft geniales Werk des Jazzgitarristen Haunschild, dass in dieser Form lange nicht zu hören wahr. Pulsierend und am Puls der Zeit, kreativ im Umgang mit Motiven und Tempowechsel mit vor Ideen nur so strotzenden Soloparts.

    Soviel für heute. Bach, Jazz und Pop haben eines gemein: Musik ist einfach schön!

     

    Redaktion: Bernhard Wibben

    2000-09-15 | Nr. 28 | Weitere Artikel von: Bernhard Wibben





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