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    Neues Variete im Südwesten



    Eine neue Varieté-Spielstätte in Backnang.

    Erfolgreicher Start von Michael Holderrieds TraumZeit-Theater

    Vor ungefähr eineinhalb Jahren schied der Narr Frieder Nögge für uns alle, die wir wenigstens einen Teil von ihm gekannt hatten, aus schwer fassbaren Gründen in seinem Theater in Backnang freiwillig aus dem Leben. Wenige Stunden vor seinem Tod habe ich noch mit Frieder Nögge telefoniert; daher weiß ich, dass, wenn auch sicherlich nicht allein, die Selbstmordattentate des 11. September 2001 in den USA eine Rolle bei seinem Entschluss gespielt hatten. Und jetzt saß ich ausgerechnet am 20. März 2003, dem Tag, an dem US-Präsident Bush seinen Irak-Krieg begann, zum ersten Mal im genau eine Woche zuvor als TraumZeit-Theater wieder eröffneten Gewölbekeller des Backnanger Bandhauses im Stiftshof 6. Keine Frage: Dass weitergespielt wird, und gerade an einem solchen Tag, ist sicher ganz im Sinne Nögges. Dennoch dauerte es bei mir bis zu ChaPeaus Auftritt nach der Pause, um mich emotional ganz auf das exzellente, traumhafte Varietéprogramm mit seinen “fliegenden Fantasien und magischen Momenten” (Flyer-Text) einlassen zu können. Zuviel Erinnerungen stiegen hoch, vor allem auch an Nögges letztes Kabarett, bei dem er abendfüllend einen Solokünstler kurz vor der Première spielte, dem nichts Neues mehr einfällt und der sich deshalb zu Zwangsproben auf der Bühne selbst eingeschlossen hat. Wir haben viel gelacht damals, nicht ahnend, dass Nögge wohl selbst einen Nögge gebraucht hätte, um nicht zu verzweifeln.    

    Aber zurück zur Gegenwart. Backnang kann sich beglückwünschen. Die Stadt hat mit Michael Holderried den idealen Direktor für das neue “TraumZeit-Theater” gefunden. Die ersten beiden Programme und deren Resonanz beim Publikum legen jedenfalls diesen Schluss zwingend nahe. Im März gab es ein klassisches Varietéprogramm, durch das die Hamburger Chansonette Claudia Griseri führte, die in ihrem Outfit eine Entwicklung von einer etwas unbedarften Hilfskraft Verona Feldbuschs bis hin zu einem Chanson-Star nachzeichnete, in den Liedern den Bogen vom  Neandertaler bis zum Playboy spannte, und dabei auch Männer-Dämonen nicht ausließ, zum Beispiel Otto Reutters “Nehm`n sie`n Alten”. Alexander Koplin stand als Beherrscher  seiner Diabolos für die versprochenen “fliegenden Fantasien”; mit Zigarrenkistchen hatte er an diesem Abend aber etwas Pech als Folge einer vorausgegangenen Grippe. Koko & Lores boten artistische Music-Comedy um einen weißen Kontrabass; Lorenzo Torres, in Mexiko geboren, in München lebend, erweckte in einem stilgerechten Papierkostüm die selten gewordene Papierreißkunst zu neuem Leben. ChaPeau, vor und nach seinem Auftritt auch als Kellner tätig, zog mich mit seinen magischen Verwandlungen mit Hilfe einer Filzkrempe ganz in seinen Bann, aber das sagte ich schon. Und wie sollte es anders sein, wenn ein Zauberer Theaterdirektor wird: Den Paukenschlag zum Programmschluss führte ein Magier aus: Monsieur de Larott mit Assistentin Birgit, der neben weiteren “magischen Momenten” vor allem mit seinen lebenden Raubtieren und Hasen imponierte, die er ineinander verwandelte.

    Im April kam dann C.I.A. nach Backnang, was für Comedy, Improvisationstheater und Artistik steht; ein vierköpfiges Ensemble aus Bremerhaven, das Improvisationstheaterszenen, die sich ja derzeit allenthalben großer Beliebtheit erfreuen, mit Varietéelementen kombiniert. Andy Gebhardt jonglierte in mehreren Auftritten mit verschiedenen Requisiten, erwies sich aber vor allem als Meister der Devilsticks. Yana Kühtze führte charmant durch das Programm, teilweise mit so ungewöhnlichen Requisiten wie mit einer Filmkamera bauchredend, so dass man eher an eine Tonbandeinspielung geglaubt hätte, zumal man auch aus der Nähe keine Lippenbewegungen sehen konnte, und beteiligte sich natürlich wie Andy Gebhardt auch an den improvisierten Szenen, die zusätzlich noch von Alexandra & Jörg Göddert bestritten wurden.         

    Begegneten sich innerhalb der Gruppe C.I.A. Theater und Varieté, so will Michael Holderried auch künftig Künstler aus verschiedenen “Schubladen” aufeinandertreffen lassen. Im Mai heißt das Motto zum Beispiel “Comedy trifft Kabarett”. Für Juni ist mit Double Action Cooperation (Kampfkunst), Mandy (Kontorsion), Mario Danee (Jonglage auf dem Schlappseil) und weiteren Künstlern wohl wieder ein eher klassisches Varieté zu erwarten.

    An 130 Plätzen mit Tischen werden im TraumZeit-Theater bereits eine Stunde vor Programmbeginn und während der Show Getränke und kleine Gerichte à la carte serviert. Wer möchte, kann vor den Vorstellungen das ebenfalls neue und sehr empfehlenswerte Kalanag-Museum zwei Stockwerke höher besuchen. Der Eintritt ist frei. Auch hier fühlt sich der Gast wohl und wie im Theater mit viel Liebe zum Detail umsorgt. Auch eine zweite, etwas kleinere Spielstätte steht für spezielle Anlässe zur Verfügung.

                                                                                                              

    Varieté mit Variationen

    “famos kurios” am Stuttgarter Friedrichsbau

    Die Varieté-Spielstätten, die Programme mit mehr als einem Monat Laufzeit zeigen, bieten immer wieder die Gelegenheit, Antwort auf die Frage zu finden, welche Nummern innerhalb eines Programms austauschbar sind, ohne dass der rote Faden, die Programmidee, verloren geht und etwas Neues entsteht, und welche Darbietungen sozusagen das Rückgrat bilden. Denn gerade Spitzenartisten können immer wieder nur für einen Teil der Laufzeit abschließen, weil andere Engagements ähnlich wichtig sind. Für passionierte Varietébesucher bringt das die äußerst anregende Möglichkeit, durch mehrmaligen Besuch ein Spitzenprogramm mit Variationen zu erleben.

    So war dies auch bei “famos kurios” im Friedrichsbau in Stuttgart. Die Brüder Ivan und Adans Peres, fünfte Generation einer Artistenfamilie, als Peres Brothers ein modernes Spitzenduo mit tänzerisch choreografierter Hand-auf-Hand-Artistik, traten ihr Saison-Engagement bei Knie an und wurden durch das bulgarische Duo Classico “ersetzt”. Gleiche Sparte, aber ganz andere Wirkung. Bei Milena Stefanova Vasileva und Nikolay Dimitov Georgiev, die auch als Einzelkünstler aktiv sind, aber seit 1995 das Duo Classico bilden, steht der Tanz, genauer gesagt ein Tango, im Mittelpunkt der Nummer. Die artistischen Tricks sind in den tänzerischen Ablauf eingebunden, während es bei den Peres Brothers genau umgekehrt ist. Zwei Nummern, die so verschieden sind, dass man sie sich beide in demselben Programm vorstellen könnte, und doch bleibt die Programmidee von “famos kurios” erhalten. Dasselbe gilt für den Argentinier Paul Ponce, der augenzwinkernd und mit traumhafter Sicherheit vor allem mit schnell drehenden Keulen poetische Bilder entstehen lässt, und Dieter Tasso, den unverwechselbaren Sprech-Jongleur, der mit dem Fuß Porzellan auf seinen Kopf wirft und dort stapelt. Auch diese beiden Jongleure könnten ohne Probleme im selben Programm auftreten, und die Zuschauer würden dies nicht als zweimal dieselbe Sparte kritisieren. So fällt schließlich der Blick auf Thomas Otto, den mit kaum zu bremsenden Mundwerk begabten norddeutschen Zauberkünstler, der wie nebenbei auch die Ansagen der anderen Nummern erledigt.  Wenn er vor Begeisterung über das Gelingen eines Zaubertricks in den Zuschauerraum stürmt, um es möglichst allen ganz nah zu zeigen, so wirkt das so natürlich und mitreißend, dass man auch mitzuleiden beginnt, wenn ihm einmal, scheinbar, etwas danebengeht, um dann aufatmend festzustellen, dass eine inszenierte Panne der beste Boden ist, um noch eine Überraschung draufzusetzen. So mobilisiert er ganz direkt die Emotionen seiner Zuschauer und wird zur Verkörperung der Programmidee. Das ist nicht selbstverständlich, denn es gab im Friedrichsbau auch schon Programme, die den Conferencier auswechselten und dadurch ihre Identität nicht verloren.    

    Die volle Programmlaufzeit dabei sind Eugenie René und Gilles Lacroix aus Kanada, die als Sindhu Love inmitten des Zuschauerraums an Vertikaltüchern mit ihren Körpern Luftskulpturen erschaffen; die Brasilianer Vik & Fabrini, eine komische, pantomische Mensch-Maschine-Zauber-Nummer; Rimma Krilowa, die Herrin der Hula-Hoop-Ringe aus St. Petersburg und Omar Pasha mit zwei Partnern und Bildern des “schwarzen Theaters” aus 1001 Nacht.

    Das nächste Stuttgarter Programm, das bis 21. Juni laufen wird, wird unter der Regie von Detlef Simon und Knut Gminder unter dem Titel “Sommerfrische” an einen südlichen Badestrand entführen. Detlef Simon wird als Desimo den Reiseleiter mimen und auf Sören Mielke (Diabolos), die Sängerin Sarah Schlüter, Rodolfo Reyes & Terisa (Kopfstandequilibristik), Andrea Beck, Trapez, Tom Murphy, Slapstik-Clown und das Duo Flash, Kaskadeure, treffen.

    Redaktion: Manfred Hilsenbeck

       

    2003-06-15 | Nr. 39 | Weitere Artikel von: Manfred Hilsenbeck





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