Am 29. und 30. April fand in Bonn das 14. German Spaß- und Satire-Open „Prix Pantheon 2008“ statt. Der Kabarett-, Comedy- und Satirepreis, der jährlich in vier Kategorien vergeben wird und um den zwölf Kandidaten an zwei Abenden vor Publikum wetteifern, ging in diesem Jahr in der Kategorie „Frühreif und Verdorben“ (Jury-Preis) an den Puppentheaterspieler und Musiker René Marik. Der Kabarettist und Entertainer Tobias Mann gewann in der Kategorie „Beklatscht und Ausgebuht“ (Publikumspreis). Frank-Markus Barwasser gewann den Sonderpreis der Jury in der Kategorie „Reif und Bekloppt“. Barwasser ist der Schöpfer der Figur Erwin Pelzig, eines fränkischen Mannes aus dem Volk mit „Trachtenanzug, Cordhut und Herrentäschchen“, unter dessen doppelbödiger scheinbarer Schlichtheit ein metaphysischer „Baumeister absurder Gedankengebäude“ (Pantheon Pressetext) lauert. Der Publikums- und der „Frühreif“-Preis sind mit jeweils 3.000 Euro, der Jury-Sonderpreis mit 4.000 Euro dotiert. Anfang bis Mitte Mai konnten die Zuschauer der Fernsehübertragungen von den Wettkämpfen im WDR Fernsehen und auf 3sat über den ebenfalls mit 3.000 Euro dotierten TV-Publikumspreis der Kategorie „Klotzen und Glotzen“ abstimmen. Der Gewinner in dieser Preiskategorie stand bei Redaktionsschluss dieser Trottoir-Ausgabe noch nicht fest. Die Bekanntgabe des vierten Preisträgers und die Preisverleihung finden am 27.5.2008 im Rahmen einer Open-Air-Gala auf der Bonner Museumsmeile statt mit den Gästen Herbert Knebel, Jürgen Becker, Erwin Grosche, Horst Schroth, Jochen Malmsheimer, Springmaus-Ensemble Bonn und der Independent-Polka-Band Familie Popolski formerly known as The Pops u. a.
Die Konkurrenz um den Prix Pantheon 2008 an den beiden Wettkampfabenden war stark. So blieb es für einige umwerfende Talente beim ehrenvollen Dabeigewesensein. Den Abend eröffnete die Kölner Comédienne Carolin Kebekus, die Trottoir bereits in Heft 57 (Dez./Jan./Feb. 07/08) vorgestellt hat. Die Augsburger Komödiantin und Sängerin Birgit Süß legte in ihrem Auftritt aus weiblicher Perspektive die Vorteile jener Männer dar, die „noch bei Mutti“ wohnen: saubere Bettwäsche beim One-Night-Stand, Schnittchen zur Stärkung, und am nächsten Morgen habe frau sogar jemand, mit dem sie sich unterhalten könne. Auch vor Mutti Churchill, Mutti Stalin, Mutti Hitler und Mutti Picasso macht der anarcho-postfeministische Witz von Birgit Süß nicht halt. Der Berliner Komponist und Texter Toni Mahoni mit seiner Band, seit zwei Jahren ein Schon-nicht-mehr-Geheimtipp der Podcast-Szene, sitzt bei seinem Auftritt an einem Küchentisch, dreht sich eine Zigarette und parliert und singt mit rauer, abgrundtiefer Stimme über die Droge „Kaffe“ („Jib mir ma’ 30 Gramm“), deren geheime ultimative Röstung bei zwei älteren Schwestern im Brandenburgischen zu bekommen sei. Genial schmissig und melancholisch sind Mahonis Songs „Ick verkoof dich auf’m Marktplatz / Ick erschieß‘ dich uff’m Parkplatz“ und „Zigarette“. Der Vergleich mag nicht originell sein: ein brandenburgischer Tom Waits. Ingo Börchers aus Nissen, einer niedersächsischen Enklave im nördlichen Südostwestfalen, bot unter der Maxime „Wann Goethe seinen Faust gemalt hat, ist nicht wichtig, wenn Sie wissen, wer Beethovens Neunte war“ ein geistreiches Satireprogramm über die Wissensgesellschaft dar. Börchers ist mit dem Programm „Wissen auf Rädern“ in der Szene Köln/Bonn erfolgreich. Der in Köln lebende Österreicher Matthias Seling bedient hin und wieder das Wien-Klischee (der Wiener und der Selbstmord, das Wiener Mädel), bietet aber vor allem bissige Gegenwartskritik, etwa über „klitzekleine Nike-Turnschuhe für Kinder“, die in der dritten Welt von Kindern genäht würden. Seine Nummer über die Bauchmuskeln (das „Sixpack“) des Jesus von Nazareth führt mit ihrer respektlosen Bezugnahme auf den Katholizismus die österreichische Boshaftigkeitstradition von Karl Kraus über Joseph Roth bis Thomas Bernhard würdig fort. Marc Uwe Kling bot mit Bowler-Hut, Jackett, Jeans und akustischer Gitarre ausgesucht böse Liedermacherkunst, etwa mit dem Song „Spring auf, spring auf auf den Zug der Opportunisten“ und seiner Interpretation der Parole „Wer hat uns verraten? – Sozialdemokraten“ als zeitgemäßer Musik-Politkabarett-Nummer.
Der zweite Abend begann fulminant mit dem fränkischen Solokünstler Matthias Egersdörfer. Ein kabarettistisches Naturereignis. Mies gelaunt und mit körperlicher Präsenz, zu der auch das halbseidene Outfit – rotes Hemd und Nadelstreifen-Anzug – beiträgt, steht er am Bühnenrand und blafft und schimpft rabiat das Publikum an. Er sei „heut’ supergut drauf!“ röhrt er und fährt einen erheiterten Zuschauer an: „Nit so viel lachen, derf doch net wahr sein! Wenn man so an eigenartigen Geschmack hat – die andern lachen ja au net! Aufpassen, wann die andern lachen!“ Ein fränkischer Helmut Qualtinger. Genial war die dargebotene Rotkäppchen-und-der-Wolf-Fantasie, die er aus einer Geschichte übers Eingeparktsein spann.
Marc Welte präsentierte parlierend einen Einblick in „Weltes Welt“, die Welt eines akademisch sozialisierten deutschen Mittelschicht-Mannes zwischen dem Optimismus-Terror der Ratgeberliteratur, Selbstaussagen wie „Mein Therapeut sagt, ich mache Fortschritte“ und den Resten der Anti-Atomkraft-Bewegung an deutschen Kaffeetafeln. Der Gewinner des Publikumspreises, Tobias Mann, Angehöriger der Generation BWL, steht im gelben Selbstmarketing-T-Shirt mit der Aufschrift „t/m www.tobiasmann.de“ auf der Bühne. Auf ganz andere Weise als Egersdörfer hat er mimische und gestische Intensität und kann durch eine lebhafte körpersprachliche Performance begeistern. Mit der gerappten Fassung des goetheschen „Faust“ in 5 Minuten 20 („Motherfuckin’ Faust is in the house“) riss er denn auch das Publikum zu Beifallsstürmen hin und sicherte sich den Preis in der Kategorie „Beklatscht und ausgebuht“. Der zweite Preisträger, der Puppenspieler René Marik, ist ähnlich wie Toni Mahoni zunächst durch das Internet einem größeren Publikum bekannt geworden. Sein Theater ist eine ebenso bissig wie liebevoll gegen den Strich gebürstete Neuerfindung der Kunstform Kasperltheater. Eine zentrale Handfigur Mariks ist ein Maulwurf mit Sprachfehler und Blindenstock, der unter hastigen Deklamationen wie „Rapante, Rapante, lassn haate datte“ und Ausrufen wie „Autschn Mannooooo“ eine Barbiepuppe als Dornröschen umwirbt und mit der Schnauze in einer Vitell-Flasche als Raumkapsel auf den Mond fliegt, wo er einen Wackeldackel trifft und auf seine haspelnden Fragen („Ist das schön auf’m Mond hier oder nicht?“) stets nur uneindeutiges Kopfwackeln zur Antwort erhält. Ein Erlebnis ist Mariks Vortrag des Kurt-Schwitter-Gedichts „An Anna Blume“ zur E-Gitarre.
Robert Louis Griesbach, Entertainer aus Berlin, erzählte Episoden vom Flughafen-Check-in, gab eine kurze Opern- und Operetten-Parodie mit Johannes-Heesters-Parodie-Schnipseln und trat als zuckender und sich windender Ex-Raucher auf Entzug auf, der sich schließlich fahrig mit den Worten verabschiedet: „Ich muss zurück zur Arbeit. Ich bin Chirurg.“
Einer der Höhepunkte der beiden Abende war der Auftritt von Annamateur & Außensaiter. Die Dresdner Jazz-Sängerin Anna Maria Scholz trat mit Stephan Braun (Cello) und David Sick (Gitarre) auf. Scholz trägt rote Plateauschuhe, ein schwarzes Röckchen mit Paillettensaum über einer langen schwarzen Hose, einen schwarzen, etwas abgetragenen Wollpullover mit V-Ausschnitt, an dem sie zwischendurch kontrollierend herumzupft, und einen regelrecht flammenzüngelnden rötlich-schwarzen Lockenkopf. Mit einer Stimmgewalt, die zuweilen an Nina Hagen und Montserrat Caballé erinnert, und virtuos wie Joy Fleming singt sie ihre Lieder: „Egal was passiert, halt die Kamera drauf“ und „Chat’aime“, ein Lied übers Chatten. Beim Klassiker „Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre“ wechselt sie mühelos zwischen Dialektfarben und Tempi, knetet dabei mit ironischer Laszivität ihre Musiker durch und haucht, kichert, singt, koloraturiert und rezitiert atemberaubend. Es ist schade, dass Annamateur & Außensaiter ohne Preis ausgingen.
Die Wettkampf-Abende moderierte Rainer Pause, der von der Pantheon-Bühne die „Jugend der Welt“ grüßte, die sich zum edlen Wettstreit eingefunden habe, und die Weltfestspiele der Körperertüchtigung in Peking mit Seitenblicken und -hieben bedachte. Es waren die Tage des olympischen Fackellaufs 2008.
Die Gala des Sonderpreisträgers Frank-Markus Barwasser wird am 8.6.2008 auf 3sat (20:15 Uhr) und am 5.7.2008 vom Westdeutschen Rundfunk Hörfunk übertragen („Unterhaltung am Wochenende, WDR5, 16:05–18:00 Uhr), die Aufzeichnung der Gala auf der Bonner Museumsmeile am 31.5.2008, 20:15 Uhr im WDR-Fernsehen und am 23.8.2008 im WDR5 Hörfunk (16:05–18:00 Uhr, Sendeplatz „Unterhaltung am Wochenende“).
Redaktion: Isolde Grabenmeier
Atelier-Theater Köln
Das Atelier-Theater in Köln startet am 9. Juni mit seinem aktuellen Sommerspecial „Gratis – und nicht umsonst“. Von Juni bis einschließlich September treten jeweils montags bis donnerstags junge Künstler und Ensembles im Atelier-Café an der Roonstraße 78 (Südstadt) auf. Der Eintritt ist frei (Beginn jeweils um 21:30 Uhr). Das Atelier-Theater veranstaltet die Reihe nun im zehnten Jahr. Die Termine sind weit mehr als nur eine Füllung des „Sommerlochs“ und seien Kabarett- und Kleinkunst-Interessierten ans Herz gelegt.
Weitere Termine des Atelier-Theaters:
1.9. „Auch Glückskekse krümeln“, Sia Korthaus
9.9. „FönFieber: Ein Agent taut auf“, Die kleine Damenkapelle jagt James Bond (alias 007), Barbara Gescher (alias La Chiffre), Anja Schmiel (alias Schmidt), Britta Weyers (alias Weyers)
19.9. „12 für Deutschland“, Seminar-Sozial-Astrokabarett, Frank Astor
Pantheon, Bonn
23.–28.6. Zweites Pantheon Liedermacher-Festival
AdNr.1012