Im Kleinkunstniemandsland zwischen Karlsruhe und Mannheim, in Waghäusel-Wiesental, hat Jürgen Vogel mitten in der Woche mit einem fulminanten Doppelschlag „Leos Bühne“ eröffnet, und tatsächlich strömten die Gäste am 27. und 28. September herbei und bescherten dem Veranstalter zwei so gut wie ausverkaufte Premierenabende. War man erst einmal an der starken, stillen „Security“ von FoolPool vorbei durch den Hintereingang des Cafés „Normal“ in den Veranstaltungsort abgetaucht, so war man dem dörflichen Einerlei schon entkommen. Fast konspirativ mutete die Vorfreude an. Ein kontrastreiches Kleinkunstmenü hatte Vogel da im Saal hinterm Wirtshaus vor rund 280 Gästen angerichtet, ein Menü, das Nostalgisches mit Kleinkunst auf der Höhe der Zeit verband und mit einer Prise bodenständigem Lokalkolorit würzte. Geglückt ist dieser sympathische Bogenschlag nicht zuletzt dank der unprätentiösen Moderation von Andreas Schill. Annette Postel begleitet von Pianist Hans-Georg Wilhelm, Christian „Chako“ Habekost und Angela Buddecke eröffneten den Doppelreigen und Tenor Kristof Schliep, Christian Hirdes, der frischgebackene Prix-Pantheon-Preisträger aus Bochum, und das Pfälzer Blueskabarett die Twotones setzten am zweiten Eröffnungsabend den Erfolgslauf fort.
Kristof Schliep, begleitet von Eelco Herder am Piano, goss seinen warmen Tenor in den Saal und schuf mit seinem Programm „Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da“ – ein Potpourri aus Chansons und Filmschlagern der 20er- bis 40er-Jahre, u. a. von Friedrich Hollaender und Ralph Benatzky und Gedichten von u. a. Erich Kästner, Christian Morgenstern und Friederike Kempner – auf Anhieb jene samtene Atmosphäre, die dem Publikum die kleine Flucht aus der Provinz leicht machte. Schliep klingt nach Zarah Leander. Von anno dazumal ist auch sein Knickerbocker-Bühnenkleid, aber statt die Liedpretiosen nur divenhaft und mit einem sagenhaften, weitschwingenden Vibrato zu servieren, garnierte er den großen Sangeswurf mit unerwarteten Kapriolen. Schliep tänzelt im zweiten Programmteil als kurioser Schwanensee-Schöner ins Rampenlicht, torkelt, Fliege, Weste, Bauchbinde, im schwarzen Herren-Tutu, im Spitzentanz näher zu sich selbst und gleitet in den Spagat. Schön, wenn er von der Leander erzählt, die ein Turm von Schönheit war, und sich dabei geschwind die Stöckelschuhe überstreift, um diesem ein Meter siebenundsiebzig auch optisch näher zu kommen.
Christian Hirdes schert sich weder um Charisma noch um den Schmelz einer großen Stimme. Hirdes ist der Antiheld. Doch über dem studentischen Schlabber-T-Shirt trägt er ein kluges Köpfchen, hinter den Kindchenschema-Kulleraugen verbirgt sich ein gescheiter Wortkugelblitz, der in die deutsche Sprache und in die bundesrepublikanischen Hirnstübchen fährt, sie entkernt, durchleuchtet und lapidar-harmlos wieder zusammenpuzzelt. Selbst vor den allerheiligsten Song-Ikonen der Gegenwart macht er nicht Halt. Es ist schlichtweg großartig, wenn er sich mit der Gitarre durch „Zombie“ von den Cranberries wühlt und das, was jeder mit dem Song intuitiv verbindet, nämlich ein tief unter die Haut gehendes Erotika, einfach hinaushechelt: „Sie kommt nie!“, singt er und dichtet bald von „Re(h)torten-Kindern“, von der übergroßen Liebe des Kannibalen und führt bald im Dschungel der deutschen Sprache den Slogan „Kondome schützen!“ ad absurdum. Unschuldig tut dieser Hirdes nur, denn wenn er am Ende den Gefühlsdusel Herbert Grönemeyer entblößt, taucht man ganz tief in seine kleine Welt, nämlich mitten in das Ehebett eines mit einer Normalo-Frau verheirateten Künstlers, der über die Maßen, eben Gönemeyer-mäßig, leidet, wenn sie schon frühmorgens den Raum mit Sonne flutet.
Mit leichtfüßigem Pfälzer Kolorit heizte das Blueskabarett Twotones – die Sängerin Anna Krämer als Drama-Queen und Bluesröhre, an der Seite ihres Pianomannes Rainer Klundt – dem Publikum mit Themen unter der Beziehungsgürtellinie und über Dreißig ein. Die quirlige Sängerin und ihr traniger Pianopartner sind ein ungleiches Paar, so ungleich wie das Beziehungsleben selbst. Sie puscht, wenn er bremst. Das schuf Nähe. Das Publikum fraß der besseren Hälfte des Bühnenpärchens schon nach der Aufwärmübung der anonymen Ü-30-Selbsthilfegruppe und einem Alzheimertest aus der Hand. Immer, wenn die großformatige Stimme über das Liedziel hinausschoss, holte sich Frau Krämer selbst wieder auf den heimatlichen Erdboden zurück, im Plauderton und mit unmittelbarer Bühnenpräsenz, und landete mit der „Pfälzer Hymne“ am Ende gar auf dem Rübenacker. Karotten teilte sie aus, und mit dem Gemüse schwenkend verabschiedete das Publikum das sympathische Paar. Es war ein gelungener Auftakt für ein Kleinkunstkonzept, das monatlich über die Bühne gehen soll und schon im Dezember weiter über die Dörfer zieht – in die Festhalle nach Philippsburg.
Noch bevor es am 11. Oktober zur Premiere ins Freiburger Vorderhaus ging, lud Volkmar Staub am 4. Oktober zur Vorpremiere von „Sprengsätze“ in die Mannheimer Klapsmühl’. Zwei Fässer knallen auf der Bühnenmitte aneinander, schon taucht Staub ins Licht und enttarnt die vermeintlichen Bierfässer als Gefäße für das „mentale Tafelsilber“ der Deutschen. In einem ehemaligen Silberstollen im Herzen des Schwarzwaldes schlummern im „Archiv der Erinnerungen“ Pretiosen wie jener kleine Zettel, den Jürgen Klinsmann Torwart Jens Lehman bei der Fußball-Weltmeisterschaft zusteckte. Nichts stünde auf diesem Zettel. Schon steigt Staub in die 89. Minute des deutsch-deutschen Spiels bis zur Wiedervereinigung ein, in der das Brandenburger Tor fiel und man im Freudentaumel einfach vergaß, in der 90. Minute abzupfeifen. Ein deutscher Gründungsmythos zerbröselt bei Staub zur „Nibelungenentzündung“ mit zeitgenössischen Protagonisten. Brechts „Erinnerungen an Marie A.“ dichtet er zur Hymne an die staatstragende Gebärmutter Ursula von der Leyen um. Er zitiert den Innenminister zum US-amerikanischen Folter-Outsourcing, der das Beste daraus machen will, wenn die Kerle halt nun schon mal gefoltert sind, und reduziert im Gesundheitsfond wortwörtlich die Leistungen für die Beitragszahler.
Ein südbadischer Alemanne hat überall einen Migrationshintergrund. Für so einen heißt der Armeleute-Sushi Rollmops und so einem ist es peinlich, wenn ein Freund bei der Kellnerin eine „Latte“ bestellt. Aber so ein Südbadener streift sich auch das Leibchen ab und besingt als barbrüstiger Indianerhäuptling Winnetou, dass man Geduld braucht und Manitu – „money, too“. Mit Understatement und Gelassenheit geht Staub die großen Themen in atemberaubender Dichte an, und trotz weichem Zungenschlag treibt er eine unerbittlich scharfe Spitze in den kulturellen Speckgürtel dieser Republik – und darüber hinaus. Ein schlitzohrig-schlaues Programm, ein leises und unaufdringlich „symbadisches“, das seine wortstarke Sprengkraft auch aus seinem südbadischen Timbre bezieht.
Inspiriert von der „Amateur’s Night“ im Apollo-Theater in Harlem startet das Rhein-Neckar-Fernsehen (RNF) im Gemeinschaftshaus Ludwigshafen Pfingstweide, in einem Stadtteil, der als sozialer Brennpunkt verschrien ist, am 4. Oktober mit dem „Comedyclub Pfingstweide“. Zwei Mal im Jahr wird im Gemeinschaftshaus produziert, und rund 300 Zuschauer können live dabei sein. Übers Jahr sollen aus den Aufzeichnungen vier einstündige Sendungen entstehen. Neben Künstlern wie Thomas Reis und Florian Schroeder, und Künstlern aus der Rhein-Neckar-Szene wie Frederic Hormuth, die Twotones, Pal One und Danny Fresh, begleitet von einer Studioband um Pit Schönpflug, will das von Christian „Chako“ Habekost moderierte „Comedy-Labor“ ein Forum für Hoffnungsträger aus der – Achtung, Originalzitat! – „regionalen Schattenwelt“ sein. Am 8. Oktober ging der „Comedyclub Pfingstweide” erstmals auf Sendung und wird immer am ersten Sonntag im Monat ab 22 Uhr über Kabel und Satellit digital auf RNFplus ausgestrahlt.
Redaktion: Sibylle Zerr
Termine
Philippsburg:
Leos Bühne
24.01.: Annette Postel, „Chanson purPur“
21.03.: Arnim Töpel, „Newa de Kapp“
Heidelberg:
Kleinkunstbühne im Kulturfenster
05.01.: Arnim Töpel, „Newa de Kapp“
02.02. bis 30. 03. Schöner Lügen – Chansonfest, u. a. mit Tim Fischer, Martina Brandl, Christiane Weber und Timm Beckmann, Pigor und Eichhorn, Sebastian Krämer und Marco Tschirpke und einer Chansonfestabschluss- und Premierenfeier mit Bernhard Bentgens
Karlstorbahnhof:
19.01. bis 03.02.: Carambolage – Kabarett- und Kleinkunstfestival, u. a. mit Josef Hader, Murat Topal, Eure Mütter und Bo Doerek (Näheres war leider zum Redaktionsschluss noch nicht bekannt, www.karlstorbahnhof.de)
Mannheim:
Klapsmühl’
03. bis 7.01.: Klapsmühl’ Ensemble, „Das Beste von Loriot“
ab 10.01.: Kabarett Dusche, „Die Macht der leitenden Reichen“
28.02.: Josefin Lössl, „Else Stratmann geht Kurpfalz“
07. bis 11.03.: Werner Koczwara, „Warum war Jesus nicht rechtsschutzversichert?“
14.03.: Hans Georg Sütsch, „Wurst oder die Musen des Metzgers“
28.03.: Frederic Hormuth, „Runter kommen sie alle“
Schatzkistl
04.01.: Spitzklicker, „Klappe, die 23.”
06.01.: „Herz sticht – Gute Karten beim anderen Geschlecht“. Eine kabarettistische Begegnung mit Musik.
19.01.: Spitz & Stumpf, „The Woimickl Company” P(f)älzer Kabarett
20.01.: Die Silke-Hauck-Nacht mit Gästen
09.02.: Madeleine Sauveur, „Sternstundenhotel”
13.02.: Magischer Zirkel „Die Unmöglichen”, Zauberei – Neue Veranstaltungsreihe!
17.02.: Die Silke-Hauck-Nacht mit Gästen
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