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    Sensationelle Premieren

    Eigentlich wollte er ja naßforsch losbrettern, der Günther Paal, aber sein neues, titelloses Programm läßt ihm dazu aber schon überhaupt keine Chance. Schlußendlich sieht auch er ein, daß das Nichts in der Anschauung verschiedener Philosophien den einen oder die andere im Publikum überfordern könnte. Also, kurz auf die Delete-Taste gedrückt und die ganze Sache neu angefangen. Nun sitzt der Gunkl - schwarz gekleidet auf schwarzem Sessel an schwarzem Tisch - und hat jede Menge Zeit. Die Ansage, hin und wieder ins naßforsche Programm hinüberzuschauen, was sich dort in der Zwischenzeit ereignet hat, klingt wie eine Drohung, entpuppt sich jedoch als grenzgeniales Schizospektakel mit stakkatoartigem Locationswitch. Plötzlich befinden wir uns in einer entlegenen Ecke eines finnischen Industriehafens, können aber nichts sehen, weil es 2 Uhr früh und alles stockfinster ist. Switch in die Wohnzimmeridylle eines Ibsen-Dramas. Switch in ein Amsterdamer Straßencafé. Den Überdrüber-Kick besorgen jedoch die imaginären Gesprächspartner, die Gunkl permanent vom eigentlichen Programmablauf wegdriften lassen und sich als jene Rollen entpuppen, die dem Wortkaskadeur ziemlich suspekt sind un ihm im Grunde gehörig auf die Nerven gehen. Gunkl denkt lange schon nicht mehr analog, sondern verkörpert wie kaum ein anderer das mittlerweile zum Menschen mutierte Internet mit all seinen ziemlich wirren Links und Switches. Drüben im anderen Programm erfahren wir, daß der Glaube wichtiger ist als das Wissen, weil es ja bekanntlich keine Wissens-, sondern immer nur Glaubenskriege gibt, daß wir uns vom Tier dadurch unterscheiden, daß ein Tier keine Fragen stellt, und daß es eine damned sophisticated Form von Luxus ist, wenn man eine Garage samt zwei Taxis nur zum Zähneputzen braucht. Ach ja, im Afterbreak-Part kalauert Gunkl als gäbe es kein Morgen, versucht er sich als warmer Kellner auf der Suche nach Eiswürferl und als reimender Schüttler, als nasenbohrender Balljunge im Schachklub und als Philosoph darüber, was Heimat wirklich ist. Während das eine Programm langsam zu Ende geht, ist das andere einfach aus. Galaktisch, genial, gunklartig. So wie einst Siegmund Freud das Sofa in den Mittelpunkt seiner Psychoanalyse stellte, macht es auch Thomas Maurer zum zentralen Ausgangspunkt seines neuen Programmes „Intensivdamisch“ (eigentliche müßte es „Intensivmüde“ heißen) – in der trendigen Aufblas-Version versteht sich. Doch das Sofa nimmt einerseits als Ruhepol, andererseits als Stätte der Schlaflosigkeit eine eher zwiespältige Rolle ein. Die Beine hochgelagert, läßt es sich aber vorzüglich plaudern. Über die eben erst durchgemachten Erlebnisse in der SCS zum Beispiel. Oder darüber, was man alles so macht, wenn man schlaflos ist. Da nutzt es einem gar nichts, wenn man todmüde ins Bett fällt – kaum berührt der Kopf das zurechtgeklopfte Kissen ist plötzlich alles anders. Man ist hellwach. Maurer hat da so seine eigenen Ideen, sich in den Schlaf zu zählen – mit Schafjoghurt am Laufband. Aber die Sorgen rund um seinen Finanzamtstermin führen dazu, daß auch dieser Trick kläglich versagt.

    Zeit, um etwas vom neuesten Trend zu erzählen: Nach Tattoos, Piercing und Branding steht jetzt „Schmuckakne“ hoch im Kurs. Und es wäre nicht Thomas Maurer, würde er nicht die Farben Rot, Schwarz und Blau aufs Korn nehmen. Endlich Träume und dann diese Enttäuschung: Sie handeln von exzessiven Reden mit roter Nelke im Knopfloch. Damit kann auch der höchstpersönliche Psychoanalytiker nichts anfangen! Als Auflockerung zwischendurch: einige rockige Liedchen. Alltagssituationen bunt gemischt mit phantasievollen Träumen von Meister Proper, dem Ikea Elch, der Megaperle Vera Rußwurm und Löwe Hartlauer ergeben ein gut proportioniertes Programm rund um das „nimmer müssen müssen“, das dank Thomas Maurers bestens bekannten kabarettistischen und schauspielerischen Fähigkeiten das Anrecht auf die Bewertung „blendend“ hat. Auch in Michael Niavaranis Bulli-Keller, dem legendären Wiener Kabarett-Etablissement Simpl, gab man sich bemüht, ein neues Programm auf die scheinbar etwas unsicher gewordenen Beine zu stellen. Zwar blitzten bei Michael Niavarani, Viktor Gernot und Steffi Paschke in beinahe jedem Auftritt große Klasse auf, doch waren sie allesamt textlich und schauspielerisch hoffnungslos unterfordert. Was insofern interessant ist, da mit der Autorenriege, der unter anderem Leo Bauer, Fritz Schindlecker, Dolores Schmidinger und Sigrid Hauser angehören, pointensichere und hintergründige Humoristen am Werk sind. Und mit Alexander Goebel ein Regisseur, der sicher Bescheid weiß um die Qualitäten der gesamten Simpl-Truppe. So plätschert das Programm halt dahin, hatte einige wirklich gelungene Höhepunkte, aber weitgehend völlig unnötige Längen. Dennoch, für einen amüsanten Abend ohne große Erwartungen ist das neue Simpl-Programm "Zeit der Dummheit" allemal geeignet. Alleine schon deswegen, weil man stundenlang darüber philosophieren könnte, ob die Beschränktheit der Österreicher nicht doch grenzenlos ist. Einer der wirklich schrägen Vögel des österreichischen Kabaretts, der Meister des Absurden, Karl Ferdinand Kratzl, nennt seinen jüngsten Streich "Susi wach auf" und erzählt ziemlich konkret, daß seine Susi seit zwei Jahren schläft, er sie aber überall hin mitnimmt, damit sie ein wenig Abwechslung hat im Leben. So vermietet er sie aber auch an eine Rettungstauchergruppe zum Üben, was ungefähr so funktioniert: Die Susi wird ins Wasser geworfen und die Rettungstaucher müsseln einzeln zu ihr hintauchen, sie ans Ufer ziehen und sie dann am Beckenrand abgeben. Ach ja, die Susi wird übrigens so lange schlafen, bis daß der Karl Ferdinand seine Mittelmäßigkeit abgelegt hat. Einen wunderschönen Abend bescherten uns der Journalist Norbert Peter und der Arzt Ronny Teutscher, besser bekannt als Peter&Teutscher, mit ihrem Programm "Psycho". In oftmaliger Anlehnung an den berühmten Hitchcock-Thriller mit Anthony Perkins wandern die beiden gemeinsam mit ihren Zuschauern durch alle Höhen und Tiefen unserer Seelenlandschaft. Ein dichter, komplexer, überaus launiger Text, eine phantasie- und gefühlvolle Regie (Andi Hutter!) mit außergewöhnlichem Gespür für spontane Gags und eine mehr als überzeugende schauspielerische Leistung verhelfen jenen Abenden, an denen die beiden auftreten, zu frenetisch akklamierten Pflicht-Imperativen.

    Souverän wie nie zuvor zeigte sich Ex-Schlabarettistin und nunmehr Kranke Schwester Andrea Händler bei der Premiere ihres dritten Soloprogramms, "Auszeit", welches sie wieder mit Haus- und Hof-Autor Uli Brée textlich und dramaturgisch erarbeitete. Ihr langjähriger Ton- und Lichtmeister, Christian Clementa, brachte sich diesmal auch als Songwriter und Arrangeur ein, was dem Programm zusätzlichen Esprit verleiht: Die Händler singend war überraschend und kam absolut gut an. Auch inhaltlich und darstellerisch hat sich die Händler gehörig gewandelt. Während sie in ihren ersten beiden Programmen eher in der (nur ganz zart gesellschaftskritischen) Blödelecke herumstöberte, stülpte sie diesmal ihre - und selbstverständlich die ihres Autors - tiefschwarzen, bösen Facetten heraus. So erzählt sie vom fatalen Verlauf der 15jährigen Ehe zwischen Betty und Kuno, die sich mit weidwunder Akribie gegenseitig das Leben zur Hölle machen um schließlich die Zweisamkeits-Doktrin unserer Gesellschaft - Bis daß der Tod Euch scheidet - ad absurdum zu führen und vom Schicksal höchstpersönlich wieder zurück an den Start verbannt werden. Andrea Händler begeistert durch optische und akustische Wandlungsfähigkeit, exzellentes Spiel und eine extrem breite Humorpalette, die weder mit vordergründigen "Wuchteln", wie wir Österreicher sagen, noch an subtilen Langzeitscherzen spart. Ein Riesenlob aber auch an dem gebürtigen Ruhrpotter Uli Brée, dessen Text einmal mehr von schier unglaublicher Dichte in mehreren Handlungsebenen sprüht und dramaturgische Elemente wie Spannung, Humor und verblüffende Breaks in überaus gelungener Symbiose beinhaltet. Man kann also gespannt sein, wie sich das Trio Händler-Brée-Clementa weiterentwickelt. Das Potential, alsbald zu den ganz Großen des deutschsprachigen Kabaretts aufzusteigen, ist jedenfalls im Übermaß vorhanden.

    Willy Zwerger (Herausgeber und Chefredakteur von "Klein&Kunst -  Österreichische Zeitung für Kabarett, Theater & Kultur")

    1998-12-15 | Nr. 21 | Weitere Artikel von: Willy Zwerger





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