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    Sommerfestivals in Deutschland

    Mit dem Programmheft in der Hand bahnt sich ein Millionenpublikum den Weg von einer Veranstaltung zur nächsten. Auf Plätzen und in Straßen hört man lautes Klatschen, sieht man Menschen, die konzentriert dem Dargebotenen folgen.

    Zick Zack Traum TheaterJunge sitzen neben Alten, Bildungsbürger neben Soap-Fans, Freaks neben Normalos, Hartz-IV neben Porsche 911.

    Für Momente scheinen die Warnungen vom Verfall der städtischen Gesellschaft, von der kulturellen Spaltung (cultural divide) und vom Publikumsschwund im Theater vergessen – Straßentheater hat sich aus stadtsoziologischer Sicht wie für die Darstellenden Künste zu einer zukunftsweisenden und funktionierenden Konzeption entwickelt. Von universitärer Seite als Forschungsgegenstand noch gar nicht entdeckt, von anderen als billige Spektakelkultur belächelt, leistet es seinen Beitrag auf der Suche nach neuen Formen und Foren für die Fortschreibung einer gemeinsamen Kultur.

    Von Görlitz bis Saarbrücken, von Nordhorn bis Memmingen haben sich zahlreiche Festivals etabliert. In einer telefonischen Umfrage für den „Bundesverband Theater im Öffentlichen Raum“ wurden in diesem Sommer 15 deutsche Veranstalter zur aktuellen Lage befragt. Publikumsentwicklung, ökonomische Situation und Programmstruktur standen dabei im Mittelpunkt der Untersuchung.

    Begannen viele Festivals mit wenigen hundert Besuchern, so sind sie mittlerweile zu Publikumsmagneten geworden. Die Zahlen bewegen sich zwischen 8.000 und 100.000 Zuschauern, vier Festivals hatten mehr als 50.000 Besucher. Obwohl die meisten Veranstaltungsreihen schon seit mehreren Jahren etabliert sind, stiegen bei rund der Hälfte die Zuschauerzahlen weiter an.

    Entsprechend hoch ist die Anzahl der Programmpunkte: Neun Festivals boten 2006 bis zu 50 Veranstaltungen, sechs Festivals sogar zwischen 50 und 200 Veranstaltungen. Aufgrund der finanziellen Situation mussten allerdings 40 Prozent der Festivals die Anzahl der Programmpunkte im Vergleich zu den Vorjahren senken.

    Dennoch sind viele Festivals bisher von großen Kürzungen verschont geblieben. Diese hatten 2006 nur drei Veranstalter hinzunehmen. Viel größere Probleme bereiten die seit mehreren Jahren stagnierenden Budget-Rahmen bei gleichzeitig steigenden Kosten für Gagen und Infrastruktur. Laut Umfrage betraf dies zehn Festivals. Hier zeigt sich das eigentliche Dilemma der Festivals: Einerseits ist ein kontinuierliches oder steigendes Publikumsinteresse festzustellen, andererseits lassen eingefrorene oder sinkende Budgets wenig Möglichkeiten, auf die Entwicklungen entsprechend zu reagieren.

    Trotz der Verlockung, mit Eintrittsgeldern die Budgets aufzubessern, halten fast alle Festivals (14 der Befragten) an freier Zugänglichkeit der Veranstaltungen fest. Dies ist auch konsequent, zieht das Straßentheater doch sein Selbstverständnis vor allem daraus, eines der wenigen eintrittsfreien kulturellen Angebote für breite Bevölkerungskreise zu sein. Gerade die Kommunen müssen daran ein Interesse haben, wenn sie das Straßentheater als einen Ort verstehen, wo städtische Gemeinschaft positiv erlebt und erneuert werden kann.

    Alle Veranstalter gaben an, mit Sponsoren zusammenzuarbeiten. Allerdings ist hier das Bild uneinheitlich: Vier Festivals konnten sich 2006 über höhere Sponsorenmittel freuen, wohingegen fünf in diesem Bereich Verluste hinnehmen mussten.

    Bisher wird die Möglichkeit eines Fördervereins kaum genutzt. Nur drei Festivals gaben an, einen solchen zu haben. Die im Jahr 2006 durch die Fördervereine eingebrachten Zuschüsse lagen zwischen 3.000 und 40.000 Euro. Neben der finanziellen Förderung kann ein Verein auch als Sprachrohr des Publikums einem potenziellen politischen Sparvorhaben entgegentreten. Dies erscheint sinnvoll, da viele Festivalleiter Teil der kommunalen Verwaltung sind und somit diese Möglichkeit nicht haben. Die positiven Erfahrungen der großen Vereine in Rastatt („tête à tête“, ca. 800 Mitglieder) und Heppenheim („Gassensensationen“, ca. 550 Mitglieder) könnten hier wegweisend für andere Festivals sein.

    Wie gehen aber nun die Veranstalter mit den kleineren finanziellen Spielräumen um?

    Signifikant ist, dass die Budgets für große Produktionen gesunken sind. Nur drei Festivals gaben an, Gagen über 10.000 Euro für eine Inszenierung ausgeben zu können. Dies bedeutet, dass auf deutschen Straßentheaterfestivals immer weniger Großinszenierungen wie Pan.optikum oder Cie. Jo Bithume zu sehen sein werden. Andererseits tut sich ein Markt für Gruppen auf, die Produktionen in einem Gagenbereich zwischen 5.000 und 10.000 Euro anbieten und damit trotzdem mehrere tausend Besucher bespielen können.

    Weiterhin setzen die Festivals auf internationale Programmvielfalt. 60 Prozent der Veranstalter luden 2006 überwiegend ausländische Künstler und Gruppen ein.

    Das Thema der Eigen- bzw. Auftragsproduktion wird allerdings immer noch stiefmütterlich behandelt: Nur zwei Straßentheaterfestivals gaben an, manchmal oder regelmäßig Auftragsarbeiten an Künstler zu vergeben. Dies verwundert, da gerade das Theater im urbanen Raum dazu prädestiniert ist, spezifisch auf Orte und ihre Geschichten einzugehen. Dass dies auch mit kleineren Budgets möglich ist, haben die „Gassensensationen“ in Heppenheim gezeigt. Das Festival hat in den vergangenen 13 Jahren 25 Eigen- und Auftragsproduktionen herausgebracht.

    Die Zukunft deutscher Straßentheaterfestivals wird sich vor allem an der Frage der Etablierung des Genres entscheiden. Nur wenn diese durch Imagearbeit und richtungsweisende Projekte gelingt, werden zusätzliche finanzielle Mittel erschlossen werden können. Weitere Details zur Studie Strassentheater-Festivals gibt es im Internet unter www.stefan-behr.de

    Redaktion: Stefan Behr

    AdNr:1090, AdNr:1085   

     

     

    2006-12-15 | Nr. 53 | Weitere Artikel von: Stefan Behr





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