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    Varieté in Berlin

    Mit Spannung erwartet, hatte die neue Revue „Casanova“ am 3. September im Berliner Friedrichstadtpalast Premiere, der seit kurzem unter der Ägide des neuen künstlerischen Geschäftsführers Thomas Münstermann steht.

    Sich die Lebensgeschichte des Giacomo Casanova als Vorlage für eine Revue vorzunehmen, ist verlockend, war er doch eine außerordentlich schillernde Figur. Wird sein Name heute genannt, so erinnert man sich meist nur an seinen Ruf als Frauenheld und Abenteurer, dem die Flucht aus den Bleikammern von Venedig gelang. Auf diese Seite des berühmten Verführers setzt auch das Buch von Roland Welke und Jürgen Nass, das Casanova in Zeitsprüngen in unterschiedlichen Stationen seines Lebens vorstellt. Die Revue beginnt in der Gegenwart: Eine junge Frau, Angela, reist im Zug nach Venedig und liest dabei Casanovas Memoiren. In Venedig angekommen, verliert sie sich aber nicht nur im Wirbel des Karnevals, sondern bald auch in der Handlung. Die „Spaltung“ der Figur des Casanova – gespielt und gesungen von Adrian Becker und als junger Casanova getanzt von Oleksandr Khmelnytsky – ist mitunter etwas verwirrend. Eine Kunstfigur, die „Zeit“, begleitet Casanova kommentierend (und moralisierend) auf seiner Lebensreise. Leider haben die Autoren die Figur des Casanova sehr vordergründig auf die sexuellen Abenteuer reduziert, seine tatsächliche Ausstrahlung, sein Charme, seine Erotik kommen ebenso wenig zum Ausdruck wie seine Intelligenz und Weltläufigkeit, die ihn zum Gesprächspartner von Voltaire und einigen Königen machten. Ein dramaturgischer Lapsus der Schluss: Nach einem Abend voller Casanova erfährt der Zuschauer, dass dessen Leben nichts wert war, dass er in seinem Leben alle Chancen vertan habe, dass nichts von ihm bliebe. Das ist als Rückschau auf dieses Leben, auch wenn es in einer Revue naturgemäß nur vereinfacht und reduziert dargestellt werden kann, schlichtweg unmöglich.

    Von den vier Gesangssolisten überzeugt vor allem Hagen Matzeit, Letzterer besonders durch seine Interpretation sowohl als Bariton wie als Countertenor.

    Die Artistik wird seit einiger Zeit im Haus selbst zusammengebaut, einzige Profinummer: das Duo Milany am Haltestuhl. Die Charivari Storm – sie zeigen eine Mischung aus Trampolinsprüngen und Turnübungen an einem eigens konstruierten Gerüst – sind eine aus rumänischen Sportlern gebildete Gruppe, die drei Bell Angels, die im Papstbild an Glocken Luftakrobatik an Strapaten und römischen Ringen zeigen, kommen aus Russland. Das Bühnenbild von Fred Berndt ist opulent, originell und auf jeden Fall einer der Höhepunkte der Revue, die prächtigen Kostüme von Uta Loher sind eine gleichwertige Entsprechung. Die Choreografie von Kim Duddy nutzt den großen Bühnenraum, es gibt einige schöne Szenen, auch die berühmte Girlreihe, wenn auch verkürzt, fehlt nicht. Insgesamt ist die Revue „Casanova“ (Regie Jürgen Nass) durchaus sehenswert geworden, bei allen das Buch betreffenden Einschränkungen. 294 Vorstellungen sind bis zum nächsten Jahr vorgesehen.

    Bis zum 8. Januar 2006 sind im Chamäleon-Varieté The 7 fingers mit ihrem Stück „Loft“ zu erleben. Avisiert werden sie als zu den besten Artisten der Welt zählend, die weltweite Erfolge im Cirque du Soleil gefeiert haben. Inwieweit eine Tätigkeit im Cirque du Soleil ein Gütesiegel darstellt, sei dahingestellt – so pauschal ist das sicher nicht zutreffend.

    Die Besucher werden durch einen ungewöhnlichen Zugang zum Varietésaal überrascht: Sie betreten ihn durch einen Kühlschrank über die Bühne, begrüßt von den Akteuren. Die Szene ist loftmäßig gestaltet, mit diversen Möbelstücken und auf Leinen baumelnder Unterwäsche, in Unterwäsche agieren auch die Artisten. Die Inszenierung – sie erinnert ein wenig an eine ähnliche, die vor Jahren bei Gosh zu sehen war – hat keinen durchgängigen Handlungsfaden. Wohl spielen Äpfel eine gewisse Rolle, im Wesentlichen ist der Abend die Abfolge locker aneinander gereihter Aktionen, die sich aus der Situation der „Artisten-WG“ mit ihren so unterschiedlichen Typen ergeben: Comedy, Akrobatik, Gesang, tänzerische Elemente und Musik.

    Akrobatisch bleibt der erste Programmteil eher durchschnittlich, im zweiten Teil überzeugen dann die Diabolowürfe von Patrick Léonard und Sébastien Soldevilla durch Schnelligkeit und die Luftakrobatik an Ketten von Faon Shane durch Originalität. Patrick Léonard zeigt viel komödiantisches Talent in seinen Comedy-Einlagen, die Anleihen bei der klassischen Zirkusclownerie genommen haben und von ihm voll ausgespielt werden.

    Musikalisch wird das Programm durch DJ Pocket in einem Mix aus Swing, Rap und Techno gestaltet.

    Vom 27. Oktober bis 14. Januar präsentiert der Wintergarten „Circo Massimo“, Namensgeber ist der Italoschweizer Massimo Rocchi mit witzigen Conférencen und umwerfend komischen Pantomimen, so etwa als Reiter und Pferd in einem, Dirigent und Tenor im „Figaro“ oder als „lachendes Kamel Suleika“. Die akrobatische Besetzung bietet einen gelungenen Querschnitt internationaler Artistik, wie die Äquilibristik des Duo Olympia oder die witzigen Diabolospiele von Gilles Le Leucht, sowie Nachwuchsartisten, die die Berliner staatliche Artistenschule absolvierten: Andrea Engler am Vertikaltuch und Sarah Trägner auf dem Schlappseil.

    Das Chamäleon Varieté hat die Produktion „Loft“ bis zum 25. März verlängert, der Wintergarten verspricht vom 19.1. bis 22.4. eine besonders interessante Produktion, „Mozart am Trapez“, eine Verbindung von Artistik mit dem Kammerorchester Berlin unter der Leitung von Christoph Hagel.

    Redaktion: Dietmar Winkler


    2005-12-15 | Nr. 49 | Weitere Artikel von: Dietmar Winkler





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