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    Varieté in Stuttgart, Ulm und Heilbronn

    Das Stuttgarter Friedrichsbauvarieté ist weiterhin unbestrittener Platzhirsch in der Varietészene Württembergs, ist es doch nach wie vor das einzige ständig spielende Haus in dieser Region. Seit dem letzten Bericht (Trottoir 29, Seite 51) wurde die Reihe der hochkarätigen Nummernprogramme, die durch den jeweiligen Conferencier ihre unverwechselbare Note erhielten, fortgesetzt.

    In “Jolki Palki” schlüpfte Yevgenyi Kolomiets, die Hälfte des leider viel zu kurz aufgetretenen aber unvergessenen Komikerduos Jigalov & Kolomiets, erfolgreich in die Conferensierrolle, in “Paradis Paris” zauberte Hieronymus durch das Programm. “Preußisches Entertainment” wolle er machen, verkündete Hieronymus, und das tut er auch. Mit schnarrender Stimme und staubtrocken serviert er seine Zaubertricks. Das passt natürlich überhaupt nicht zu unseren Vorstellungen von einer Pariser Revue. Aber gerade durch diese Widerborstigkeit hebt er die sonst allzu glatt aneinandergereihten Tanz- (8köpfiges Ballett), Gesangs- (Sarah Schlüter, Sopran, und Stiven, Michael-Jackson-Double) und Artistiknummern (Alexander Veligosha, Equilibrist, Denise & Massimo Randols, Rollschuhe und Hula Hoop, Patrick Lemoine, Jonglage-Entertainer) heraus. Die genannten beiden Programme wurden von Ton van Londen (früherer künstlerischer Leiter des Hauses) verantwortet, während  “Spring Time” mit Ansager Max Nix und “HeiterZeit” mit Conferencier und Zauberer Philip Simon von Bernhard Paul (derzeitiger künstlerischer Leiter) und Simon Kühr inszeniert wurden. Philip Simons Stärke liegt in seinen Improvisationen mit dem Publikum. Er greift sich stellvertretend einige Personen heraus, fragt nach ein paar persönlichen Angaben (wenig mehr als das obligatorische “und was machen sie beruflich?”) und knüpft aus diesen Daten ein Netzwerk, in das er seine charmanten, teilweise auch recht frechen Späße geschickt einbaut. Die betroffenen “Opfer” dürfen meist an ihrem Platz bleiben, werden von Philip Simon zu erstaunlicher Schlagfertigkeit animiert und wachsen so stellvertretend für die restlichen Zuschauer zu Fast-Profi-Mispielern heran.

    Die vielen nicht genannten vorzüglichen Artisten, die in den erwähnten vier “großen” Programmen auftraten, mögen mir verzeihen, aber es waren zuviele, um sie alle namentlich aufzuzählen. Dafür durften sie in der Regel den stärksten Einzel-Beifall des verwöhnten Stuttgarter Publikums einheimsen, das starke Leistungen ganz besonders schätzt.

    Im Juli und August gabs im Friedrichsbau wie in den Vorjahren Sommer-Varieté, also “kleinere” Produktionen mit kürzerer Laufzeit und ohne Live-Orchester, mit mehr Kleinkunst-Charakter. In diesem Jahr standen auf dem Programm: Eine interessante Zusammenstellung erfolgreicher Teilnehmer des Stuttgarter Talentwettbewerbs ShowstArt unter der Regie von Eberhard Riese und der zaubernden und singenden Moderation von Topas. Topas zeigte anschließend zusammen mit seinen Partnern Roxanne und Fisselspecht seine erfolgreiche Zaubershow “Magic Affairs”, und als dritte Produktion traten die als Tango Five firmierenden vier musikalischen Herrn mit ihrer neuesten Musikrevue “Tango Five spielt wie Waldi” auf, nicht ohne vorher als Gäste des Circus Calibastra (Trottoir 32, Seite 28) mit der früher auch schon im Friedrichsbau gezeigten Produktion “Huhn Madagaskar” in Stuttgart-Vaihingen erstmals in einem Zelt aufgetreten zu sein.

    Stellvertretend für weitere, zeitlich begrenzte Varieté-Initiativen im Land sei das Kulturfestival “Ulmer Zelt” erwähnt, bei dem Karl-Heinz Helmschrot inzwischen regelmäßig eine Produktion zeigt. In diesem Jahr bot er sein Beinahe- bzw. Schnell-Faust-Programm “Fast Faust” an, sozusagen die Generalprobe zur Welt-Ur-Aufführung in Braunschweig (Trottoir 31, Seiten 34, 35 und 48). Das Publikum war wiederum hochzufrieden. Ich auch, angesichts der gezeigten artistischen Leistungen, nicht aber mit der Programmidee, oder besser gesagt, mit den gleich drei roten Fäden, die sich als eindeutig zuviel des Guten erwiesen. Da schlüpfte Helmschrot wieder einmal in seine bewährte Oberlehrer-Rolle (Verzeihung: Oberstudienrat) und machte aus dem Zelt ein Klassenzimmer und aus den Zuschauern seine Schüler, virtuos und witzig wie gewohnt. Zusätzlich bearbeitete er mit seinen Schülern jetzt aber den Faust-Stoff, was oft erzwungen wirkte. Hinzu kam, dass die behauptete Faust-Umsetzung in den artistischen Bildern nur selten nachvollziehbar war (Super Miko vorzüglich mit Diabolo, etwas langatmig als Green Gift mit Partnerin, Riesenbällen und Verkehrshütchen, wiederum vorzüglich Katharina am Trapez und mit Kontorsion und Kai Eikermann als Komik-Partner und mit anderen schrägen und tänzerischen Einlagen und natürlich die Artistik von Helmschrot selber). Damit aber nicht genug. Nachdem die ineinander verflochtenen roten Fäden Faust und Oberstudienrat abgearbeitet hat, trat noch Frank Rossi in voller Länge auf! Ich schätze Rossi sehr und kenne keinen Bauchredner-Kollegen, der tiefere Schichten in seinen Zuschauern anspricht als er. Keine Frage. Auch er kam bestens an! Aber wenn man ihn schon in anderen Programmzuzammenhängen gesehen hat, auch als Höhepunkt am Schluss in darauf hin inszenierten Nummern-Programmen, konnte man nur bedauern, wie lieblos draufgesetzt er zunächst wirkte. Zum Glück arbeitete er zeitlich gesehen sehr lang, obwohl einem das nie so vorkommt. Und so gelang es ihm auch in Ulm, seinen Auftritt als völlig eigenständiges, in sich geschlossenes Programm ohne jeden Bezug zum “Fast Faust” sozusagen oben drauf zu setzen. Insgesamt also drei Programmideen an einem Abend, das wirkte etwas konfus und förderte die Einzelnummern nicht.

    Wenn dieses Heft erscheint, ist das “Oktobervarieté mit Wommy Wonder” (Travestie) und Jeff Hess (Komik), Flash & Fever (freistehende Leiter), Vladimir Grinnik (Equilibrist), Ingo Reißmann (Taschendieb), Orfeo (Gauchotanz und Feuerkünstler) und Elena Borodina (Handstand-Akrobatik) im Alten Theater in Heilbronn bereits vorbei. Gestattet sei aber noch der Hinweis auf das “Weihnachtsvarieté” vom 07.-31. Dezember im selben Haus mit Elly Lapp (Chanson- und Gospel-Sängerin, Ansagen), Mikhail Stepanov (als “Robotman” an zwei Vertikalseilen), Diana & Jouri (Einrad), Duo Seguras (Handstand-Akrobatik), Marina Trechine (Fuß-Jonglage), Svetlana Trechine (Hula Hoop) und Thomas Marek (Jazztanz). Ich denke, schon die Aufzählung dieser Namen vermittelt einen Eindruck von der Qualität der Heilbronner Programme. Aber auch die bemerkenswert gute Gastronomie und das angeschlossene Hotel tragen ihren Teil zu dem Heilbronner Erfolg bei.

    Etwas mehr Beachtung hätte die Ausstellung der Zauberkasten-Sammlung von Wittus Witt im Spielkartenmuseum Leinfelden-Echterdingen verdient gehabt. Aber das lag vielleicht daran, dass die Öffentlichkeitsarbeit dieser Zweigstelle des Landesmuseums nicht auf die entsprechenden Zielgruppen eingeschossen ist. Wittus Witt jedenfalls trat mehrfach öffentlich im Umfeld der Ausstellung auf und hat so sicherlich die wichtigste Werbung für die Ausstellung geleistet.

     

    Redaktion: Manfred Hilsenbeck

     

    Friedrichsbau Varieté

    vom 02.11.2001 bis 19.01.2002 “WinterWunderZeit”

    Regie: Bernhard Paul   Mitwirkende: Olga (clowneske Reprisen) Andrej Ivachnenko (Drahtseil) Natalia Leontieva (Hula Hoop) Timo Wopp (Gentleman-Jongleur) Die Farellos (Einrad-Duo) Rainer Stanke (Slapstick) Bianca (Vertikalseil) Günter Fortmeier (Hand-Schattenspieler) Slava  & Oksana (Tanz, Schwarzlicht) Zoran Madzirov & Predrag Malic (Flaschen-Musik)

     

    2001-12-15 | Nr. 33 | Weitere Artikel von: Manfred Hilsenbeck





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