Im Frühjahr reiste die Artistin, Clownfrau und Spielpoetin Monique Schnyder (MAMALOU) zu zwei Gastspielen in Ägypten, nach Kairo und Alexandria.
„Zu den aufregendsten Erfahrungen für einen Künstler gehört es immer, seine Arbeit in einem anderen Kulturkreis zu zeigen“, so Schnyder zu TROTTOIR. Stärker als bei ihrem ersten Solo „Pagliaccia“, das im Wesentlichen abstrakt in seiner Bewegungssprache angelegt ist, spielte Mamalou in einer Maske Situationen, die unserer westlichen Kultur entnommen sind: Vereinsamung, Vereinzelung, Enttäuschung und Frustration – und zeigte als „Ausweg“ die fantastische Verwandlung alltäglicher Gegenstände zu etwas Neuem.
Die Kunst, den Dingen neuen Sinn zu geben, ist die Spezialität der Mimin: Der umgestülpte Küchentisch verwandelt sich zum Heimtrainer, der eine Aufführung ihrer äquilibristischen Artistik in Plisseerock und Filzpantinen gestattet; das bunte Nadelsortiment aus Mamalous Strickkorb tanzt aus Ohren, Nasenlöchern, Mundwinkeln, unterm Arm, in den Händen und zwischen den Zehen einen rasanten Technowirbel, der Körperbeherrschung pur verlangt. „Spannend war es natürlich für mich, wie meine Präsenz hier wirkt“, so Schnyder. „Erste Erfahrungen sammelte ich bereits bei Auftritten in Bangladesh, wo die Tatsache, dass eine Frau allein auf der Bühne steht, artistisch, tänzerisch, ja akrobatisch mit ihrem Körper arbeitet, bereits zu einem politischen Manifest wird.“ In einem islamischen Land kommt der Frau auch auf der Bühne ein nur sehr eingeschränktes Bewegungsrepertoire zu. Dazu kommt das Verhüllen und Verbergen der weiblichen Formen. „Um mögliche Provokationen oder von einem islamischen Publikum als möglicherweise anstößig erachtete Passagen zu vermeiden, haben wir alles vor dem Gastspiel überprüft, an einzelnen Nummern und den Kostümen Korrekturen gemacht.“ Monique Schnyder hat das ganze Stück in einem Trikot gespielt, was in Nummern wie dem Tango erhebliche technische Probleme aufwarf, da das Verwandlungskostüm nun nicht mehr direkt eng auf der Haut getragen wurde, sondern rutschte. Auch an den Bewegungsabläufen, die als erotisch provozierend hätten eingestuft werden können, wurden Retuschen vorgenommen.
„Diese freiwillige ‚Vorzensur‛ war uns durchaus bewusst. Doch für mich war es wichtig, das Publikum nicht zu provozieren, sondern mitzunehmen auf meine fantasievolle, akrobatische und clowneske Reise.“
Die beiden Vorstellungen unterschieden sich grundsätzlich. Während im Opernsaal Kairo eine große Unruhe im Publikum herrschte und die Leute dort sehr spontan und lautstark (positiv) reagierten, war in Alexandria eine so konzentrierte Aufmerksamkeit im Saal, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören. „Nichts – soweit ich aus Reaktionen und Gesprächen erfahren konnte – wurde als anstößig oder provokativ empfunden. Irritierend vielleicht am ehesten der Tango mit seiner angedeuteten Erotik.“
Verstanden wurden jedoch Details, wie auch das Stück als Ganzes, anders als bei uns: So konnte der Tisch als Esel, der von der Bühne läuft, in einem Land, in dem Esel eine alltägliche Erscheinung sind, nicht verstanden werden, blieb ohne Reaktionen. Ähnlich die große Wollkugel, die sich nur durch die Musikassoziation in einen Schal verwandelt. Das Stück wurde jedoch viel stärker als angelegt wie eine Entwicklung der Frau Mamalou interpretiert. Sie findet Dinge und entwickelt aus ihnen etwas, das ihr dient und einen Wert hat. Neben solchen eher inhaltlichen Verschiebungen freuten aber die Urteile eines Tänzers und eines Administrators der Kairoer Oper, die in Moniques Schnyders Theatersprache das Überraschende und Konsequente spürten – sie sei wirklich neu und anregend für sie gewesen sei, im Unterschied zu den Kulturimporten, die oft an der Kairoer Oper zu sehen seien.
Man weiß nie genau, was die Menschen in einem anderen Kulturkreis in Monique Schnyders Mamalou sehen. Man spürt nur das unterschiedliche Verständnis, ein anderes Lesen, ein Nichtverstehen auch von Dingen, die für uns einfach und klar sind. Dass jedoch sowohl in Kairo als auch in Alexandria die Menschen berührt sind, „ihre“ Geschichte sehen und begreifen können, ist für Monique Schnyder ein Qualitätsausweis für ihre Vorarbeit zu den Auftritten zusammen mit Christian Mattis, dem Schweizer Choreografen und Mime-Theaterspezialisten, ausgebildet an der berühmten Mime-Schule von Etienne Decroux in Paris. Monique Schnyders Bewegungspoesie wahrt ihr Geheimnis, das gerade deshalb über jegliches Verstehen hinaus zu bezaubern vermag.
Redaktion: Christian Haller
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