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    Szene Hamburg: Künstler wandern hinter Schloss und Riegel

    Trottoir war im Knast. Nicht wegen krimineller Berichterstattung, natürlich, sondern um in „Santa Fu“, der altbekannten Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel, einen Insassen zu besuchen, der auf seine Art an der lokalen Kulturgeschichte mitschreibt.

    Thomas W., wegen Betrugs einsitzend, gründete nämlich 2002 in Eigeninitiative einen „Culture Club“ und sorgt seitdem regelmäßig für Kleinkunst- und Theaternachmittage, Lesungen und Konzerte hinter Schloss und Riegel. Von Kabarettist Achim Amme über den Kinderzirkus Rot(z)nasen und die Yehudi-Menuhin-Stiftung mit „live music now“ bis hin zum Hamburger Thalia Theater mit seinem musikalischen Renner „Thalia Vista Social Club“ traten und treten Künstler unentgeltlich auf, schenken den Häftlingen Unterhaltung und Horizonterweiterung.

    In deutschen Justizvollzugsanstalten gibt es zwar häufig Gastspiele oder Kunstprojekte mit den Bewohnern, doch das wird in der Regel von der Anstaltsleitung gemanagt. So eine Insasseninitiative („Ich mach’ alles bis an die Pforte“) ist wohl eine einmalige Sache. Inzwischen gab der 35-Jährige W. allerdings die Clubleitung an seinen bisherigen Mitstreiter Dieter G. (43) ab: Er selbst wurde nach acht Jahren in die Freiheit entlassen.

    Interpreten, die daran interessiert sind, in Fuhlsbüttel zu gastieren, wenden sich schriftlich an Dieter G., zunächst über die Kommissarische Vollzugsleiterin Frau Sabine Semmler-Welsch, JVA Fuhlsbüttel, Haus 2, Am Hasenberge 26 in 22335 Hamburg.

    TROTTOIR wird ab dem 1.4.2005 zweimal pro Jahr ein Engagement mit einem Gratis-Inserat im Wert von 250 Euro unterstützen.

    Und noch einen neuen Club gibt es in der Stadt: den „Spätzles-Club – Cook’n’ Comedy“ des Wahl-Hamburgers und geborenen Schwaben Michael Krebs. Nach einem laut Zeugenaussagen furiosen Einstieg im Ottenser Stadtteilkulturzentrum Motte sorgte der 30 Jahre alte Comedy- und Bar-Pianist, 2003 Zweitplatzierter beim 1. Hamburger Comedy Cup, auch beim zweiten Termin für ein rappelvolles Haus. Durchaus hochrangig waren seine Gäste: Alfons, der fernsehbekannte, nur scheinbar naive französische Umfrage-Reporter, sowie das kultige Figurentheater-Duo Männergestalten mit gepfeffertem neuem Programm zum Thema „Proleten im All-Inclusive-Urlaub“.

    Dass die Stimmung in der Motte wieder ausgezeichnet war, lag allerdings auch den Spätzle, die auf der Bühne zubereitet und später von Künstlern und Publikum verzehrt wurden – sowie an der regelrecht liebevollen Moderation, am eifrigen Einbeziehen der Zuschauer und an den charmanten Piano-Darbietungen („Ich will ins Schwabenland, da stehen Spätzle auf dem Tisch“) des Gastgebers. Der punktet als – noch ausbaufähiger – Strahlemann mit Witz und Können. (Krebs’ erstes Soloprogramm, zeitgleich herausgekommen, heißt übrigens „Vom Wunderkind zum Spätentwickler“.)

    Fazit: eine originelle Bereicherung der Szene – alle zwei Monate in der Motte.

    Und noch ein Fazit: „Weniger Stand-up, damit mehr Komik in der Breite sowie ein Trend zum Politischen“, so äußerte sich Veranstalter Peter Rautenberg vom goldbekHaus gegenüber Trottoir auf der Feier des 3. Hamburger Comedy Pokals. Auch die Gewinner des diesjährigen Wettbewerbs, ausgewählt aus 85 Bewerbungen aus ganz Deutschland und 20 eingeladenen Interpreten, spiegeln etwas von dieser Entwicklung wider: Musik-Comedian Dirk Langer aus Bremen mit seinem herben Seemanns-Programm „Nagelritz singt Ringelnatz“ (1. Preis, 2.500 Euro), der Berliner Poet Nils Heinrich mit seinen skurrilen Alltagserfahrungen (2. Preis, 1.000 Euro) sowie das Frankfurter Duo Theater Traumtänzer (Gabriele Meyer und Jörg Zick) als schlagfertiges, sexuell differierendes „Ehepaar Schwerdtfeger“ (3. Preis, 500 Euro). Der Nagelritz war dabei eindeutiger Publikumsliebling – die Besucher der ausverkauften Halle schienen den hageren, kleinen Mann mit seiner neuen Spielart der traditionellen, melancholisch-frechen Ringelnatz-Kunst regelrecht ins Herz geschlossen zu haben. Nicht nur bei seinem Schiffsflaggen-Ratespiel bezog er die Zuschauer immer wieder direkt in seine faulen Späße ein. So ging denn auch der spontan von einer anwesenden Goldschmiedin gespendete Publikumspreis, eine wertvolle Kette aus Karneolsteinen, an Langer, woraufhin er behauptete, er wolle die Steine einzeln an seine diversen Bräute in den Häfen dieser Welt verschenken ...

    Wie in den Jahren zuvor fanden die Ausscheidungen des Pokals an drei Abenden in zehn (durchaus unterschiedlich besuchten) Stadtteil-Kulturzentren statt, anschließend stieg eine „Nacht der Sieger“ im Bergedorfer „Lola“. Bei rund 2.200 zahlenden Gästen und einem großzügigen Hauptsponsor, der Wohnungsbaugesellschaft GWG/SAGA, zeigte sich Peter Rautenberg (Co-Veranstalter ist die C-Company, Agentur des wie gewohnt schräg und souverän durch das Finale führenden Sebastian Schnoy) zuversichtlich, dass der Hamburger Comedy Pokal auch in Zukunft ausgelobt werden kann. Das sollte er auch – schließlich gibt es nichts Vergleichbares in dieser Stadt.

     

    Termine


    29.3.–2.4.
    3. German Impro Open Theatersport Festival, ausgerichtet von Steife Brise, Alma Hoppes Lustspielhaus

    5.–9.4.
    Festival „Die Menschenflüsterer“, u. a. mit Sebastian Schnoy, Michael Ehnert, Lutz von Rosenberg-Lipinsky, Christian Ude Alma Hoppes Lustspielhaus

    20.4.
    Duo Alma Hoppe, nächste Premiere, Alma Hoppes Lustspielhaus

    28.4.
    Michael Krebs’ Spätzles-Club, u. a. mit Jens Ohle, Motte“

    9.6.
    dito, u. a. mit Sebastian Schnoy

    6.5.
    Nacht der Pokalsieger“ des 3. Hamburger Comedy Pokals, Schmidts Tivoli

    26.6. 1.
    Hamburger a-cappella-Nacht, u. a. mit LaLeLu, Ganz schön feist, Montezuma’s Revenge

    2005-03-15 | Nr. 46 | Weitere Artikel von: Ulrike Cordes





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