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    Auf Flügeln der Phantasie

    Es ist gewiss nicht einfach, das Publikum zum Fliegen zu bringen. Und doch gibt es immer wieder Künstlerinnen und Künstler, denen es gelingt, mitsamt ihren Zuhörern (und Zusehern) abzuheben, sie in eine Wunderwelt zu entführen, die sie selber erschaffen haben.

    Dodo Hug ist einer dieser Künstlerinnen. Anlässlich der Künstlerbörse in Thun hat sie ihr neues Programm „Hugability“ einem begeisterten und dankbaren Publikum vorgestellt. Der Arbeitstitel ist einem glücklichen Zufall zu verdanken: Eine langjährige Freundin der Künstlerin „entdeckte“ auf einer Insel ein Gedicht mit dem gleichnamigen Titel, der im Englischen so etwas wie „Umarmungsfähigkeit“ bedeutet, und schickte es ihr zu. Dodo Hug formte daraus ein Lied, das dem Album und dem Bühnenprogramm seinen Namen gibt. Wie man es von der bekannten Künstlerin mit der grossen Stimme gewohnt ist, überrascht sie wiederum mit einem breiten Spektrum an Songs und Canzoni, von Pop bis zu französischen Chansons, von der Klassik bis zum jazzigen Swing, von der stimmungsvollen philosophischen Betrachtung bis zu den von ihr so geliebten und zusammen mit ihren Musikerinnen und Musikern äusserst präzise vorgetragenen A-cappella-Nummern. Kein Stil, dem sie nicht gewachsen wäre. Sie surft in atemberaubender Leichtigkeit über Musik- und Sprachgrenzen hinweg, geistreich, witzig, frech und hochmusikalisch, - eben echt Dodo Hug!

    Der Schweizerische Kleinkunstpreis wurde gleich zwei Ensembles zugesprochen, die wir bereits in der vorletzten Nummer vorgestellt haben: dem musikalischen Kabarett-Trio Pfannestil Chammer Sexdeet und dem Clown-Duo Ursus & Nadeschkin.

    An der Börse selber fielen wiederum zwei Künstler auf, die nicht nur das Publikum, sondern als Jongleure die verschiedensten Gegenstände zum Fliegen bringen. „Flügzüg“ nennt sich das Duo, das bereits eine steile Karriere hinter sich hat und inzwischen zu den wichtigsten Kulturbotschaftern der Schweiz gehört. Die atemberaubende Langsamkeit ihrer Bewegungen, ihr behäbiger Berner Dialekt, der hintersinnige Schweizer Humor, fast meditativ versponnene Nummern, kombiniert mit perfekter Jonglage, das ist die ideale Mischung, die das Duo so einzigartig macht und dem Betrachter einen tüchtigen Muskelkater in der Bauchfellgegend garantiert.

    Die Compagnia Teatro Dimitri, das Ensemble der bekannten Artistenschule in Verscio (Tessin), zeigte einen Ausschnitt aus ihrem neuen Programm „Der sterbende Schwan“: Eine kleine runde Pianistin und eine lange dünne Saxophonistin haben es sich zum Ziel gemacht, den Menschen die Musik näherzubringen, indem sie auf alles bewusst verzichten wollen, was an die klassisch-steifen Muster üblicher Konzerte erinnern könnte. Diese neue Produktion der Compagnia Teatro Dimitri ist eine musikalische Clownerie mit wenigen Worten, in der die beiden Schauspielerinnen Bettina Speidel und Silvana Gargiulo sowie natürlich der Regisseur Dimitri alle Register ihres komödiantischen und clownesken Könnens ziehen.

    Das Teatro del Chiodo unterhielt das Publikum aufs Köstlichste mit ihrem „Klassik-Kurs für Arbeitslose“. Sie mimen selber die arbeitslosen Musiker und nennen sich „I Ridondanti“ (Die Überflüssigen). Ein Teil des begeisternden Programms wird übrigens an der Leipziger Lachmesse, am 21. Oktober im Theater SanftWut zusehen sein, zusammen mit einem Ausschnitt aus dem „Phantom of Europera“ von Sibylle und Michael Birkenmeier.

    Und noch ein Tessiner Ensemble hat das Publikum in seinen Bann zu ziehen vermocht: Das Tandem tinta blu hat unter dem Titel „Cod bai frends“ wiederum eine herrliche Geschichte zum Thema „Auswanderung“ zusammenfabuliert. Packend und erheiternd zugleich wird die Parabel von den Einwohnern eines Dorfes erzählt, die wegen der schlechten Zeiten nach Australien auswandern mussten, - für einmal nicht mit dem Flugzeug, sondern mit dem Schiff von Hamburg aus.

    Wenn wir übrigens schon vom Tessin sprechen: Zwei andere Ensembles warten ebenfalls mit Neuproduktionen auf. Da ist einmal Ferruccio Cainero (bekannt durch seine Stücke, die er für Gardi Hutter geschrieben hat) und das Teatro Ingenuo. Unter dem Titel „Tapim Tapum“ erscheint ein Fussballfan, eingewickelt in seine Fahne, auf der Bühne. Er hat sich vor Schlägereien nach dem Spiel in Sicherheit gebracht. Er beginnt sogleich zu erzählen als geschwätziger und witziger Prolet, wie es sie in italienischen Bars zu Hunderten gibt. Die Erinnerungen aus der Kindheit – das Radio, die Schlager, das Fahrrad der Mutter – haben für ihn noch einen Sinn. Aber die Gegenwart entgeht ihm, er versteht sie nicht. Und die Zukunft? Davor hat er Angst. Aber einstweilen redet er, erzählt, plaudert wie ein kleiner zum Leben erweckter Soldat Schwejk, der uns mit seinem munteren Idiotismus und seiner naiven Unschuldigkeit einen Spiegel unserer Welt vor Augen hält.

    Vent Negru ist ein Trio aus dem Locarnese, welches 1992 von Mauro Garbani, Esther Rietschin und Gabriele Martini gegründet wurde. (Als „ventu negru“ bezeichnet man im Dialekt des Valle Onsernone den Wind, der den grauverhangenen Himmel im Nu sauberfegt und das klare Wetter für einige Tage sichert). Sein Stil ist geprägt durch eine ganz persönliche Annäherung an die traditionelle Musik aus dem Tessin. So verwendet Vent Negru ausschliesslich akustische Instrumente wie die drei Stimmen, diatonisches und chromatisches Akkordeon, Alt- und Sopransaxophon, Gitarren, Mandolinen und Rhythmusinstrumente.

    Ich wünsche Ihnen allen einen „Ventu negru“, wenn Sie auch einen etwas kühlen und verregneten Sommer hatten. Für den Herbst also: Klare Sicht auf die Bühne!

     

    Redaktion: Peter Niklaus

     

     

     


    1999-09-15 | Nr. 24 | Weitere Artikel von: Peter Niklaus





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