Bewährtes läutete beim 5. Carambolage Kabarett & Kleinkunstfestival im Karlstorbahnhof in Heidelberg vom 19. Januar bis 3. Februar das Veranstaltungsjahr ein: „Best of“ Martina Brandl, Ken Bardowicks, Mathias Tretter, Christoph Sieber, Murat Topal, Andreas Giebel, Bo Derek und Eure Mütter.
Zu erleben gab es aber trotzdem schöne Überraschungen. Gleich am Eröffnungsabend jagte Kay Ray seinen geschmeidigen Pianopartner Tim Hellmers aus einer spontanen Laune heraus im Parforceritt improvisierend durch das Songbook und quasselte sein Publikum als schrille Diva zum Anfassen gut drei Stunden lang an den Rand der Erschöpfung. Wie bei einem Heimspiel ging es da zu. Freunde und angereiste Fans sorgten für anrührende Szenen, reichten Tequila, Präsente und warme Worte auf die Bühne und verwandelten den Veranstaltungssaal eigentlich in eine Intimzone.
Der großartige Josef Hader gab sich nach über zehn Jahren Kleinkunstbühnenabstinenz mit seinem neuen Programm „Hader muss weg“ auf der Carambolage im ausverkauften Königssaal des Heidelberger Schlosses die Ehre.
Aber es gab auch eine Entdeckung, die kabarettistische Clownin Francesca de Martin. Auf der Suche nach dem „Glück(s)los“, so der Name ihres Programms, entführte sie das Publikum mit bemerkenswerter darstellerischer Wandlungsfähigkeit und Ausdruckskraft in eine temperamentvolle Kindheit in Italien und landete auf der Reise zu sich selbst im Koma in Deutschland. Urkomisch entwickelte ihr temporeicher Episodenreigen eine Eigendynamik, ganz ohne abgekaute Pointen. Francesca de Martin bewies nicht nur Witz, sondern es gelang ihr, das Publikum regelrecht wie im Sog in eine Handlung hineinzuziehen, die neben Clowneskem auch Platz für wunderbar Sentimentales und wahrhaft Nachdenkliches bot. Mehr Zuschauer hätte man ihr gewünscht.
Traditionell endete das Festival mit zwei Varieté-Abenden, die im Spannungsfeld zwischen dem Moderationstraumpaar Rosemie Warth und Erwin Grosche und Künstlern von internationalem Rang, wie dem Equilibristen Rudolfo Reyes, einen ausgesprochen heimeligen Flair entfalteten.
Zum siebten Mal präsentierte die Kleinkunstbühne Kulturfenster in der Heidelberger Kirchstraße vom 2. Februar bis zum 30. März an 12 Veranstaltungsabenden das Chansonfest „Schöner lügen“, das – so die Veranstalter – deutschen Liedern „mit intelligentem Humor“ ein Podium bieten möchte. Die Berlinerin Kitty Hoff & Forêt-Noire eröffnete den Konzertreigen mit einer Mixtur aus Swing, Bossa, Csárdás und Pop, von singender Säge bis zu singender „Bottleneck“-Gitarre und mit Texten, die auf die kleinen, menschlichen Unzulänglichkeiten und Überlebensstrategien anspielten.
Aus Berlin kam auch die Ex-Straßenmusikerin Dota mit ihrer Band Die Stadtpiraten. Sie präsentierten Zigeunerswing, brasilianische Rhythmen und schwermütige Texte.
Neben Auftritten bewährter oder angesagter Szenevertreter wie Pigor und Eichhorn, Christiane Weber und Timm Beckmann, Sebastian Krämer und Marco Tschirpke sowie dem unvermeidlichen Lokalmatador Bernhard Bentgens, der mit „der Sing im Unsing“ das Festival beschloss, ging man auch hier ungewöhnliche und zuweilen gar sensationelle Wege. So beglückte die norddeutsche Sängerformation Maybebop 300 Schüler beim Workshop in der Halle des Helmholtzgymnasiums a cappella und Martina Brandl rückte beim Programm „Der Weg nach Hause“ diesmal nicht als komödiantische Chansonnière an, sondern mit einem Kammerensemble und ernsthaften Liedern. Ein großer Wurf gelang den Festivalmachern aber erneut mit Tim Fischer, der Kreislers Ein-Personen-Musical „Adam Schaf hat Angst“ an der Seite seines Pianopartners Rüdiger Mühleisen im Theater der Stadt fulminant aufführte. Mit der Heidelberger Band Sensu, die sich als Heimgewächs neben den Chanson-Importen sehr gut bewährte, war auch für anspruchsvolles Lokalkolorit gesorgt.
Frederic Hormuth hat sich als Pointenschreiber für Künstler wie Bülent Ceylan, Christoph Brüske oder auch das Mannheimer Ensemble Kabarett Dusche einen Namen gemacht. Konsequent hat er sich aber immer ein paar seiner besten Wortkreationen für sich selbst aufgehoben. Mit „Runter kommen sie alle“ feierte er nun vom 28. März bis zum 2. April in der Mannheimer Klapsmühl’ Premiere. Dies ist ein Themenabend, bei dem Hormuth nicht auf ausgetretenen Pfaden wandelt, sondern seine Episoden und Lieder rund um die Thematik Größenwahn und Absturz, Nach-den-Sternen-Greifen und Wieder-runter-Kommen in ein Rahmenwerk packt, aus dem so (apfel)kernige Figuren wie der Eifelbauer unversehens auftauchen und Hormuth nach seinen Ausflügen in die Bundes- und Weltpolitik, zu Stars, Sternchen und echten Promis tatsächlich wieder „runterholen“, nämlich in die Normalität vor der eigenen Haustür in seiner Pfälzer Wahlheimat. In Deutschland gäbe es ja ohnehin keine echten Stars, nur Sternschnuppen, denen man dank Boulevardpresse beim Verglühen zusehen könne, so der Künstler. Da outet sich Hormuth, der „Überflieger 68“ aus dem Internetforum, als Automatik-Twingo-Fahrer im echten Leben, der eine Tigerente am Schlüsselbund trägt und sich mit dem Navigationssystem – bitte links abbiegen und wenden – hoffnungslos im Kreisverkehr verfängt und deshalb auf seinem Weg zur Klapsmühl’-Bühne aufgehalten wurde. Doch auf der Bühne schafft er es zum Glück auch ohne Navigationssystem und verliert selbst im Weltall nicht den gesunden Orientierungssinn, wenn er etwa messerscharf bemerkt, dass Religion im Orbit nichts taugt. Mekka rotiert, wenn man sich auf der Erdumlaufbahn im All befindet, und Muslime, die sich beim Beten ständig neu ausjustieren müssen, beginnen dann irgendwann auch selbst zu rotieren. Aber die Klapsmühl’, so Hormuth, das höre sich ja wirklich nach einem Ort an, an dem man sich um einem kümmere – und so war es dann ja auch: Das Publikum nahm Hormuths hochintelligenten Tiefflug sehr gut an!
Die Klapsmühl’ begeht 2007 übrigens ihr 25-jähriges Bestehen mit einem Gala-Abend am 30. Juni – natürlich zusammen mit dem im Haus beheimateten Ensemble Kabarett Dusche, das dann schon seinen dreißigsten Geburtstag feiert. Unter der Regie von Frederic Hormuth und mit Pointen aus dessen Feder geht übrigens auch Einhart Klucke am 15. Juni im Theaterhaus TIG 7 mit der Premiere seines Programms „Apo/Opa” – dem dritten Teil einer wie er behauptet ursprünglich nicht geplanten kabarettistischen Trilogie – in sein ganz persönliches Jubiläumsjahr. Der Ex-Gymnasiallehrer und Ex-Gewerkschaftsmann ist seit 26 Jahren Kabarettist, Schauspieler und im Mannheimer Theaterhaus TIG 7 zu Hause. Und dieses rührige Mannheimer Urgestein wird 60, herzlichen Glückwunsch!
2007 wird auch Thomas C. Breuer, der notorische Grenzgänger und Meister des prophylaktischen Understatements, sein dreißigjähriges Bühnenjubiläum begehen. Er tut das ordentlich nach Breuerscher „Hybrid“-Manier: Mit „Pfeffer & Salsa“ geht sein persönliches Jubiläumsbühnenprogramm am 22. August beim Innenhoffestival im Folk-Club Villingen an den Start und mit „Hitze in Dosen“ will er uns am 7. November 2007 in der Heidelberger Stadtbücherei, begleitet vom Basler Musiker Pink Pedrazzi und seiner Band The Moondog Show, sein neues Buch vorstellen – keine sentimentale Rückschau und keine Memoiren. „Hitze in Dosen“ wird eine Anthologie, mit Breuers Geschichten über Musik, ein klingendes Best-of mit angetäuschten oder echten Stories – Bob Marley als Masseur, Heidelberg als Salsa-Metropole und Hassgeschichten über Panflöte und Saxofon. 120 Auftritte hat Thomas C. Breuer 2006 über die Bühne gebracht, und er selbst mag diese Bühnendauerpräsens wohl eher als Verzweiflungstat werten, als pathologische Arbeitswut vielleicht, die über ihn kommt, kurz bevor ihm sein Publikum endgültig wegstirbt. Ganz so dramatisch wird es wohl nicht werden, denn der „Hybrid“ Breuer ist ja eigentlich ein Nischenprodukt mit großem Zukunftspotenzial – einer wie er setzt im Bücherregal jedenfalls keinen Staub an, denn er redet und schreibt weder der Literatenszene nach dem Mund, noch plappert er sich in die zeitgeistbeschleunigte Vorleseszene. Entsprechend unterschiedlich sind seine Erfahrungen mit dem Publikum. Jede Zeit habe ihre Helden, sagt Breuer lakonisch und bemerkt, dass sein „Italien-Programm“ sehr gut bei jungen Leuten ankam, während sein „Rheinland-Pfalz-Programm“ häufig auf geschlossenen Gesellschaften zu sehen war. Die Zeiten, so Breuer, haben sich dramatisch gewandelt. Comedy hat das Kabarett abgelöst. Inhalt und Sprachgefühl sind als Unterhaltungsformate nicht mehr gewünscht. Aus den USA ist er eben zurückgekehrt, wo es Professuren für kreatives Schreiben gibt und wo er in fünf Wochen fünf Auftritte an Goethe-Instituten absolvierte. Zu akademisch oder zu platt und ohne Unterbau erscheint ihm der Schreibbetrieb in Deutschland. Aber seine Arbeit geht weiter – Bücher, Kabarettprogramme, regelmäßige Rundfunkarbeit für WDR, SWR und DRS, ab und zu TV. Nur für einen Roman findet der rastlose Breuer zwischen Bühne und Schreibstube keine Zeit. Doch: Trau keinem über Dreißig!
Am 30. April wurde im Teatro dell’Arte des Europa-Parks Rust der 21. Kleinkunstpreis Baden-Württemberg in drei Sparten verliehen. Das Stuttgarter Liederduo Sandra Hartmann und Peter Schindler setze sich mit dem Programm „Rosenzeit – Liebesleid“ durch, in dem alte Liebesgedichte großer deutscher Dichter mit einer aktuellen Tonsprache aus Jazz, Pop und Weltmusik verbunden werden. Aus Ostfildern-Kemnat zauberte sich ausgerechnet der Meisterzauberer TOPAS mit seinem Comedy-Solo „Topas gerät außer Kontrolle“ als Comedian in die Herzen der Jury und das Mundart-Kabarett-Duo Ernst und Heinrich aus Tübingen kombinierte Traditionelles mit Modernem laut Jury so, dass Realität und audio-visueller Irrwitz zu einem vergnüglichen Ganzen verschmelzen. Einen Förderpreis erhielt der Zauberer Timo Marc aus Tübingen, der mit der Verbindung von traditionellem Zauberkunsthandwerk und dem brillanten Einsatz von Hightech überzeugte. Er ist erst seit dem 1. Juli 2006 hauptberuflich ins Zauberfach gestartet, räumte aber bereits im Oktober 2006 beim 21. Magier Grand Prix von Monte Carlo den „Goldenen Zauberstab“ ab.
Redaktion: Sibylle Zerr
27.–28. Juni: Bülent Ceylan, „Döner for one“
29. Juni: Robert Kreis, „Das frivole Grammophon“
30. Juni: Gala-Abend: 30 Jahre Kabarett Dusche, 25 Jahre Klapsmühl’
1. und 2. Juli : Dieter Hildebrandt, „kabarettistische Lesung“
Sommerpause
17.–25. August (außerdem 31. August bis 2. September, 7.–9. September): Klapsmühl’ Ensemble, „Das verflixte 7. Jahr“, Premiere
26. August und 5. September: Frederic Hormuth. „Runter kommen sie alle“
19.–23. September: Die ZWEIfler, „Volles Programm“, Premiere
26.–30. September: Burghardt, Hormuth, Staub, „3 für 1“, drei satirische Musketiere, Premiere
5. und 6. Juli: Madeleine Sauveur, Chansons
13. und 14. Juli: DRAMA Light, Improtheater
21. Juli: Theaterküche und DRAMA Light, „Goethes Erben“
Sommerpause
26. Oktober : Bodo Wartke, Musikkabarett
2007-06-15 | Nr. 55 | Weitere Artikel von: Sibylle Zerr