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    Wer sich selbst in die Pfanne haut, gewinnt!

    Ein selbsternannter Betroffenheitslyriker und ein kabarettistisch Sprechstunde haltender Arzt sind die Gewinner der St. Ingberter Pfanne 2004. Olaf Schubert und Dr. Eckart von Hirschhausen heißen die Preisträger der Jubiläumsausgabe (es war die 20.) der Kleinkunstwoche.

    Olaf Schubert – der Dresdner Betroffenheitslyriker – begeisterte das Publikum mit skurrilen Wortverdrehern, schwindelerregend verstammelten Satzkonstruktionen und seinem zum Teil völlig sinnfreien, aber hochunterhaltsamen Umgang mit Fremdwörtern. So doziert er über die „nachfolgenden Attribute“ der Frau und ihren „angezettelten Leibesfrüchten“. Aber ganz schräg wird es, wenn Olaf Schubert singt. Dann erinnert er, der in diesem Jahr bereits den Salzburger Stier gewonnen hat, ein bisschen an die weltverbessernden Liedermacher der ersten Stunde. „Boykott“ heißt einer seiner Songs, ebenso wie das Programm, und Schubert droht darin den Plattenbossen mit eben diesem: „Ich boykottiere die Plattenindustrie – und hoffe, von diesem Schlag erholt sie sich nie“. Kein aktuelles Thema ist vor ihm sicher, so nimmt er sich auch der Überalterung der Gesellschaft an und entlarvt so manche Plattitüde, wenn es an einer Stelle um den Generationenvertrag und die Umwelt geht: „Wir haben den Planeten nur von unseren Kindern geborgt (Pause) – und wenn in 50 Jahren keine Kinder mehr da sind? Dann können wir ihn einfach behalten.“ Auch das Patentrezept gegen die kinderlose Gesellschaft hat Schubert parat: „Man muss sich eben auch mal zum Sex zwingen“. Und wo wir schon bei der Deutschen Lieblingsthema sind, da darf es dann auch mal deftig bis platt werden: „Eine Frau von heute will ja nicht nur geben, die will ja auch mal, äh, genommen werden.“ Nun gut, das macht lyrisch betroffen!

    Der andere Preisträger, Eckart von Hirschhausen, hält mit seinem Publikum Sprechstunde. Und da kennt er sich aus, denn er ist tatsächlich ausgebildeter Arzt, hängte allerdings vor zehn Jahren den weißen Kittel an den Nagel, nicht aber das Thema Gesundheit. In seinem Programm geht der Kabarettist ungelösten medizinischen Fragen nach, etwa „Wenn Schwimmen schlank macht, was machen Blauwale dann falsch?“ Oder: „Warum nennt man es, wenn der Mensch mit Gott spricht, Gebet und wenn Gott mit den Menschen spricht, Psychose?“ Von Hirschhausen, der auch für die ARD-Fernsehsendung „W WIE WISSEN“ regelmäßig knifflige Fragen beantwortet (zum Beispiel „Können Sterne lügen?“) überzeugte nicht nur die St. Ingberter Jury, sondern heimste auch noch den Publikumspreis ein.

    Jury und Publikum zeigten sich bei der 20. Ausgabe der St. Ingberter Pfanne von der insgesamt fast gleichmäßig hohen Qualität der Programme begeistert. Auch Katharina Herb mit ihren „erotischen ErOperungen“ und Sabine Wiegand, „Kampfname Elsbeth“, waren durchaus preiswürdig. Dennoch erlag die Jury in diesem Jahr nicht wieder der Versuchung wie 2003, die Zahl der Preise aufzustocken. Ingrid Roberts, Leiterin des St. Ingberter Kulturamts, konnte übrigens auch mit der Auslastung der Veranstaltung zufrieden sein. 550 verkaufte Abokarten für die gesamte Woche und zusätzlich im Schnitt 300 Tageskarten sorgten für einen neuen Besucherrekord.

    War die St. Ingberter Pfanne auch in diesem Jahr wieder top, entpuppten sich die Perspectives 2004 als Flop. Extrem niedrige Besucherzahlen (insgesamt nur 4.000 Menschen wollten das Programm sehen) und die Auslagerung großer und wichtiger Festival-Produktionen nach Frankreich sorgten dafür, dass in Saarbrücken zu keiner Zeit so etwas wie Festivalstimmung aufkam. Die neue künstlerische Leiterin, die Französin Michèle Paradon, geriet deshalb auch heftig in die Kritik und es stand sogar der Verzicht auf das Festival zur Diskussion. Aber Entwarnung – es wird sie auch 2005 wieder geben, die Perspectives, allerdings kürzer und konzentrierter, und, wie Paradon meint, auch intensiver. Dass Paradon ein brauchbares Programm zusammenstellen kann, hat sie eigentlich auch in diesem Jahr schon gezeigt. Ein Straßentheater, das zwischen den rostigen Eisenträgern und kaputten Fenstern der ehemaligen Burbacher Hütte einen magischen Raum schuf, war einer der eindrucksvollen Momente dieses 27. Theaterfestivals. Nur leider hat es eben kaum einer mitbekommen. Wenn die Perspectives im nächsten Jahr auch noch die Marketing und PR-Probleme lösen, dann wird das Publikum noch lange Freude an diesem deutsch-französischen Festival der Bühnenkunst haben.

    Minimale Subvention – maximales Theater. Das ist seit 20 Jahren das Über-Lebensprinzip der „Sommerszene“. Auch in diesem Jahr trat das renommierte Straßenfestival den Beweis an, dass Städte bespielbar sind: 26 professionelle Theatergruppen aus 12 Ländern und vier Kontinenten waren im Saarland zu Gast, mit mehr als 60 Vorstellungen an 11 Tagen und 18 Spielorten in drei Städten: Saarbrücken, Völklingen und Dillingen. Alte Rathäuser, Kirchenvorplätze, Pfarrgärten, Gleisdreiecke, Brunnen, Marktplätze, Fußgängerzonen und Spielplätze verwandelten sich wieder in Bühnen für kochende Komiker, tanzende Theater und melodramatische Musiker. Ein Multikulti-Mix auf der Straße, den jeder verstand, denn gesprochen wurde ohnehin nur in zwei Produktionen. Für große Platzproduktionen fehlte das Geld, nur der Abschluss, das Oplas-Teatro mit 12 Tänzern, die Shakespeares „Romeo und Julia“ eindrucksvoll in Szene setzten, geriet etwas üppiger. Doch was soll das Lamentieren über leere Kulturgeldbörsen, das ist schließlich fast überall das gleiche. Und so bleibt der Mannschaft um Charlie Bick auch für 2005 zu wünschen, dass sie mit wahrscheinlich noch einmal minimierten Subventionen (wenn sich die denn noch minimieren lassen sollten, werden die Kommunalpolitiker es sicher gerne tun) wieder maximales Spektakel auf die Plätze und in die Städte zaubern kann.

    Redaktion: Christian Bauer

    2004-12-15 | Nr. 45 | Weitere Artikel von: Christian Bauer





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