... im Theater O-Ton-Art
Verkörperungen von historischen Figuren können auf der Bühne zu gruseligen Widergängerrevuen werden, etwa Judy Winters „Marlene“. Oder zu masochistischen Scheiterexerzitien wie Desirée Nicks Darstellung von Florence Foster Jenkins. Merkwürdigerweise gelingen sie häufiger, wenn Darsteller für eine Rolle die Geschlechtergrenze überspringen müssen. Das war bei Eva Mattes’ Rainer Werner Fassbinder so, oder, in der kleinen Form, bei Ulrich Michael Heissig als Hildegard Knefs Zwillingsschwester Irmgard. Es ist auch so bei Tilly Creutzfeld-Jakob als Lotti Huber im Eineinhalb-Personen-Solo „Lotti! Die Zitrone kehrt zurück“.
Tilly kommt rein und Lotti ist da. Nicht nur das schöne Lispeln der fülligen Ikone hat sich Tillmann C. Jacob alias Tilly Creutzfeldt-Jakob angeeignet. Scheinbar mühelos beherrscht er das gesamte Repertoire von Bewegung, Charme und Schwung, das Lotti Huber in den frühen Neunzigern zu einer Talkshow-Berühmtheit machte. Ein Maskottchen der schwulen Gemeinde war sie da schon längst. Natürlich helfen Jacob die typischen, bunt wallenden Überwürfe und die glitzernden Klunker an Hals und Händen (Kostüm: Ingrid Buhrmann). Die optische Ähnlichkeit mit der „etwas stark geschminkten, dicken Frau“ – so Rosa von Praunheims Eindruck beim ersten Zusammentreffen – ist frappierend. Dass der Darsteller hinter den starken optischen Merkmalen seiner Figur trotzdem präsent bleibt, ist sein künstlerischer Verdienst.
Dramaturgisch führt der Abend (Regie und Text: Alexander Katt) geradlinig durch Lottis Biographie: geboren 1912 als Tochter eines jüdischen Tuchhändlers in Kiel, als junge Frau ein Jahr im KZ wegen „Rassenschande“. Ihr Geliebter, mit dem sie in Berlin unverheiratet zusammenlebte, wurde von Nazis ermordet. Emigration nach Palästina, Tanzausbildung, Heirat mit einem britischen Offizier, Umsiedlung nach Zypern, wo sie ein Hotel betrieb und sich wegen Untreue ihres Mannes scheiden ließ. Neue Heirat mit dem britischen Offizier Norman Huber. 1960 Umzug nach London, 1965 nach Berlin. 1971 plötzlicher Tod des geliebten Ehemannes. Anfangs 80er Jahre lernt Lotti den Regisseur Rosa von Praunheim kennen. Daher kommt auch die titelgebende Zitrone: Praunheim hat den Ruf, seine Schauspieler wie solche auszuquetschen. Aber Praunheim findet in ihr eine Freundin fürs Leben und macht aus ihr eine Ikone. Lotti Huber schreibt ihre Biographie, nimmt Diseusen-Platten auf und stirbt 1998 im Alter von 86 Jahren in Berlin.
Der stärkste Moment dieses Abends gelingt, wenn Tilly in der Rolle von Lotti mit starkem, deutschem Akzent das Liebeslied „Sunny“ singt und dabei den fülligen Körper über das schlichte Mobiliar (Bühne: Aye Quarante) windet. Melancholie und Lebensmut sind die beiden Pole dieser Figur. Im Mainstream wurde Lotti Huber von vielen als Ulknudel missverstanden. Aber ihre vermeintliche Schrillheit war nicht nur eine Schrulle. Es war die Überlebensstrategie einer zum Dasein entschlossenen Frau. Die Lautstärke ihrer Erscheinung, ebenso ein Hang zur Geschwätzigkeit verstärkten sich im Alter zwar, und auch die Bühnen-Lotti wird hier etwas zu sehr zum Manifest. Aber das mag auch an einer Umgebung gelegen haben, die aus älteren Frauen erloschene Schemen machen wollte.
Das alles erzählt Tilly Creuzfeldt-Jakob mit Unterstützung des Pianisten Volker Sondershausen in guten zwei Stunden präzis und makellos. Und verdient damit jeden einzelnen Klatscher des tobenden Schlussapplauses.
Redaktion: Susann Sitzler
Aufführungen wieder:
01| 02. 11.2012
18| 19. 12.2012
Weitere Vorstellungen:
Theater O-TonArt