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    Aktuelle Kritik: „Keine Kunst“



    artBild_450_KeineKunst2Auf der Bühne ist ja bekanntlich alles möglich: Da gibt es Klavierspieler, die singen oder Kabarettisten, die jonglieren. Eine neue Kombination bieten Michael Frowin und Thomas Quasthoff. Der Eine ist Kabarettist und der Andere ist Sänger im klassischen Lied- und Konzertbetrieb. Genauer: War es, bis er sich Anfang 2012 aus der Gesangsszene zurückgezogen hat.

    Beide haben sich gefunden und beschlossen, „Keine Kunst“ zu machen. In ihrem ersten gemeinsamen Programm gestalten sie zusammen mit Jochen Kilian am Flügel einen abwechslungsreichen und im besten Sinne klassischen Kabarettabend.

    Das fängt schon beim Bühnenbild an: Da steht ein Flügel auf der linken Seite, ein Tischchen mit zwei Stühlen im Zentrum und zwei weitere Stühle auf der rechten Seite. Michael Frowin wird hier einen altertümlichen Koffer mit den Requisiten abstellen und auf dem anderen Stuhl Platz nehmen, wenn Thomas Quasthoff am Tischchen in der Mitte seine Solos spielt.

    So können sie beginnen, die 500 Gäste im ausverkauften Theater der Wühlmäuse in Berlin zu unterhalten. Seit der Premiere des Stückes, Mitte September 2013 im selben Haus, sind die beiden noch besser aufeinander eingespielt. Sie bilden eine Einheit und ergänzen sich großartig. Mit viel Freude am Spiel und an der Improvisation gestalten sie einen großartigen Abend. Selbst vor Verunstaltungen haben sie keine Angst: Etwa bei den Hüten, die sie als Ehepaar im Zug aufsetzen, oder dem angeklebten Hitlerbärtchen.

    Zunächst geht es um die Frage, was denn nun Kunst sei. Quasthoff beantwortet die Frage ex negativo, nach dem Motto: Den Eiffelturm mit abgeschnittenen Füßnägeln nachzubauen, ist keine Kunst. Das führt natürlich zu keinem Ergebnis. Die Kriterien Verständlichkeit und Massentauglichkeit bringen Frowin zu der Erkenntnis, dass dann ja Mario Barth, Dieter Bohlen und das Dschungelcamp Kunst sein müssten. „Wer nichts kann, und das ganz besonders gut, der kriegt hier seine Chance“, sagt er mit Blick auf die Urwaldshow.

    Einigen können sie sich auf die Hochkultur. Aber weil die Klassiker allesamt zu lang sind, dampfen sie „Faust I“ kurzerhand auf drei Minuten ein und tragen das neue Werk in Reimform gemeinsam mit dem Pianisten Jochen Kilian vor. Das ist sie wieder, diese Gemeinsamkeit. Alle drei agieren den ganzen Abend gleichberechtigt.

    Kunst kann auch sperrig sein, da sind sich Quasthoff und Frowin einig. Opernaufführungen, Neue Musik oder Ausstellungen seien hier genannt. Andererseits kann falsch vermitteltes Wissen über Kultur auch abschrecken. Michael Frowin zitiert dazu einen Beitrag über eine Ausstellungseröffnung, der in einem Kulturmagazin des Deutschlandfunks gesendet wurde. Fast machen ihn dabei die Namen, die Vergleiche und der Satzbau atemlos, sodass der eigentliche Inhalt der Kritik völlig untergeht.

    Nach der Pause schwenkt das Programm zur Gesellschafts- und Medienbetrachtung um. Da wird eine Kochshow ins Radio verlegt, doch bei der ersten Sendung kommt anstelle des Chefkochs nur die Spülhilfe – und die „kann nur Kartoffeln!“ Ein herrlicher Quatsch! Doch dann kommt die Szene des Bayerischen Rettungssanitäters. Beim Einsatz an der Unfallstelle muss er entscheiden, wen er zuerst versorgt. Die Suche nach der richtigen Reihenfolge lässt einem das Lachen im Halse stecken bleiben.

    Das ist wahrscheinlich das Geheimnis dieses Abends. Es heißt Abwechselung. Humorvolles folgt auf Nachdenkliches, Soli auf Ensemblenummer, ein Gedicht auf ein Lied. Das Timing stimmt dabei immer. Regisseurin Gabi Rothmüller hat ganze Arbeit geleistet!

    Thomas Quasthoff und Michael Frowin sind davon überzeugt, dass Kunst „nur in durchgeknalltem Zustand möglich ist“. Und Quasthoff und Frowin sind, Pardon, große Künstler! Erbarmungslos offen geht Thomas Quasthoff mit seinen körperlichen Einschränkungen um, wenn er Michael Frowin in einer Szene interviewt und ihn auf seine vermeintliche Behinderung anspricht: „Herr Frowin, Ihre Arme sind sehr lang.“ Oder wenn Quasthoff als Hitler im Interview sagt: „Dass immer noch ein paar Spinner behaupten, den Holocaust habe es nie gegeben – das tut weh!“

    Auch Michael Frowin gibt dem Affen Zucker, wenn er vom Deutschen Bratwurstmuseum singt oder als nicht richtig sprechen könnender Sprecher der Kultusministerkonferenz über fehlende Lehrer referiert. Er ist der Fachmann für die wenigen Monologe, etwa den Irrsinn, Geld für fragwürdige Konzerterlebnisse auszugeben und es dann für eine gesunde Ernährung nicht mehr zu haben. 

    Nein, das Geld für den Eintritt dieser Veranstaltung ist sehr gut angelegt. Die gute Laune der Künstler ist einfach ansteckend und die gelegentlich nachdenklich stimmenden Gedankengänge sind ausgesprochen anregend. „Keine Kunst“ ist große Kunst.


    Weitere Aufführungen:

    Wien, Stadtsaal
    31. März – 2. April

    Baden-Baden, Kurhaus
    4. April

    Hamburg, St. Pauli Theater
    17. und 18. Mai

    Weimar, Köstritzer Spiegelzelt
    22. bis 24. Mai, .




    Redaktion:
    Gilles Chevalier
     

    Bildnachweis: © Bernd Brundert 


    2014-04-05 | Nr. 82 | Weitere Artikel von: Gilles Chavalier





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