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    Berlin im Winter – noch nie wurde es so 2014




    Zuerst einmal das wichtigste: Das Theater O-Tonart lebt, und hoffentlich für immer. Lediglich die Dauerbrenner-Playbackgala-Reihe der Truppe „Die O-Ton-Piraten“ ging neulich zum letzten Mal über die Bühne. Und was haben beide miteinander zu tun? Die Menschen sind es: Die fünf sympathischen Wesen, die bei Letzterer auf der Bühne standen, sind im Zivilleben die Betreiber des Ersteren. Inzwischen ist dort ein neues, schönes Stück zu sehen. Unter dem Titel „Heißes Blut und kalter Kaffee“ wird das an Skandalen nicht arme Leben der Operettenschabracke Marika Rökk aufs Bezauberndste dargestellt. Nach mehreren glänzenden Porträts weiblicher Bühnenstars – zuletzt der Abend über Lotti Huber  – wird auch Marika Rökk nach ganz eigener Art des Theaters geehrt: nicht als Mimikry, sondern als Verkörperung, und zwar von der Schauspielerin Sabine Schwarzlose, die dort auch schon mal die Marlene Dietrich gab. Als Marika Rökks Ehemann und Pianist ist Volker Sondershausen dabei, der sonst bei Desirée Nick für die musikalische Richtung verantwortlich ist.

    artbild_250_Gerome_CastellLeider gehen nicht alle Menschen so entspannt und souverän mit Sprüngen über die Grenze des sozialen Geschlechtes um wie die O-Töner. Im vergehenden Jahr fanden in Berlin mehrere schwere Angriffe auf Menschen statt, die im Pass Männer, im Kleiderschrank aber Frauen sind. So wurde das Travestie-Urgestein Gérôme Castell (Bild) im September vor einer Bar von drei Unbekannten angegriffen und so schwer verletzt, dass sie womöglich für immer das rechte Augenlicht verlor. Mehrere Benefiz-Galas, unter anderem im BKA von befreundeten Künstlern wie Malediva, Cora Frost, Tim Fischer und Gabi Decker unterstützt, brachten ein paar Tausend Euro Unterstützung für Castell, der einen zivilen Job im Callcenter infolge der Verletzungen nicht antreten konnte. Vor allem aber setzen sie auch ein Zeichen: Das ist nicht das Berlin, das wir wollen. Berlin ist eine tolerante Stadt, in der jeder und jede nach seiner Fasson glücklich wird. Schande über die Niedertracht, mit der ein paar homophoben Dumpfbacken Leben, das sie nicht verstehen, kaputtmachen wollen.

    Wechseln wir zum Erfreulichen: Gleich mehrere Stimmen des Berliner Chansons, die man beinahe schon verstummt glaubte, sind wieder erklungen. Die Popette Betancor gab im November im BKA eines ihrer inzwischen sehr seltenen Konzerte. Und Mai Horlemann und Natascha Petz sind in Boris Steinbergs „Salon Chanson“ im Grünen Salon der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz wieder aufgetaucht. Einst waren die beiden artbild_140_dita_Rita_ScholMusikkomödiantinnen ja unter dem Namen „Womedy“ gemeinsam sehr erfolgreich unterwegs. Jetzt soll es ein neues Programm mit dem Titel „Plötzlich Jenseits“ geben. Gastgeber Steinberg, selbst eine der Hauptstützen des modernen Berliner Chansons, ist derweil immer noch gelegentlich mit seinem aktuellen Programm „Nie wieder Liebeslieder“ zusammen mit der Chansonette DieFENDEL zu hören. In seinem Salon bietet er immer wieder extravaganten Berliner Blüten wie dem schillernden Chansonier Arnold Krohne eine Bühne. Im Dezember werden dort außerdem Rita-Dita (einstmals Dieter Rita) Scholl (Bild) und Magy da Silva in einem Doppelprogramm ihre „Queeren Duette“ singen. Spätestens seit 2007 kennt man die beiden aus Lothar Lamberts berührendem Dokumentarfilm „As Showtime goes by“.

    artbild_195_carringtonRücken wir wieder etwas näher zum Mainstream. Auch wenn Berlin ja nicht gerade für seine elegante Vielsprachigkeit bekannt ist, tut sich doch immer mehr in punkto englischsprachiger Comedy. Seit einiger Zeit schon präsentiert Thomas Hermanns in seinem Quatsch Comedy Club eine neue Reihe mit internationalen Comedians, die in englischer Sprache auftreten. Damit ist der QCC neben dem Kookaburra bereits der zweite etablierte Spielort in Berlin, wo man angelsächsischen Witz im O-Ton erleben kann. Hoffen wir nur, dass sich die Gäste nicht bereits beim Wort „Quatsch“ die Zunge verstauchen. Vorreiterin dieses Trends war schon vor Jahren die britische Musikerin und Comedienne Rebecca Carrington (Bild). Längst hat sie es in die Hauptprogramme der Hauptstadt geschafft. Im November hatte ihr neues Programm „Dream a little dream“ in der Bar jeder Vernunft Premiere. Dort trat sie zusammen mit ihrem Partner, dem Sänger Colin Brown (Bild) auf und erzählte von ihrer Dreiecksbeziehung – mit ihrem antiken Cello Joe.

    Und jetzt ist schon bald wieder Weihnachten. Und damit Zeit für die Weihnachtsprogramme. Neben Mixprogrammen wie „Auf Nimmerwiedersehen 2013“ im Kookaburra oder „Eine schöne Bescherung“ in der ufaFabrik wird etwa Ades Zabel im BKA zum 10. Mal die Glocken seiner Lieblingsfigur „Edith Schröder“ läuten lassen. Malediva flüchten in der Bar jeder Vernunft in den „Schnee auf Tahiti“. Desirée Nick skandiert im TIPI „Stand Up for Christmas“. Tilman Lucke zeigt sein literarisch-politisches Programm “Lucking zurück” sowohl in der Distel, als auch im Zimmertheater Steglitz. Womit wir auch noch einen Geschenktipp haben: Hervorragend unter dem Weihnachtsbaum jedes Kabarett-Interessierten macht sich nämlich das vor kurzem erschienene Buch „Beim Barte des Proleten“ von Jürgen Klammer (Selbstironie Verlag, Leipzig), für dessen Lektorat Lucke verantwortlich zeichnet. Der Autor Jürgen Klammer, Kabarett-Historiker aus Brandenburg, erzählt darin reich bebildert die Geschichte der Ostberliner Distel mit Schwerpunkt auf den Jahren des Kalten Krieges. Die Distel ist ja das älteste und renommierteste Kabarett der DDR und überlebte die Wende einigermaßen ungeschoren. Vor kurzem wurde 60. Geburtstag gefeiert.

    Ein ganz besonderes Weihnachtsprogramm verspricht übrigens in diesem Jahr Diseuse Georgette Dee, vom Stadtmagazin Zitty mit dem Ehrentitel „Berlins berühmteste Kunstfigur“ belegt. Seit einiger Zeit betreibt Dee ihr Atelier in Schöneberg als „Werkraum“ und empfängt dort zu ausgewählten Anlässen Publikum. In der Adventszeit erzählt sie in diesem Rahmen und unter dem Titel „Gute Feen – schlechte Feen“ traditionelle Märchen auf ihre ganz eigene Weise.

    Wenn Weihnachten vorbei ist, kommt übrigens Silvester. Und damit nicht nur Zeit für ausufernde Revuen wie die des unverwüstlichen Duos Monella & Benny alias Schwarzblond, die zu Silvester im Kulturhaus Spandau zu sehen ist. Sondern auch für beschauliche Silvestergalas wie sie Sebstian Krämer artbild_200_Christoph_Jungmin seinem Zebrano-Theater kredenzen wird. Vor allem aber ist es die Zeit für kabarettistische Jahresrückblicke. Die Mutter aller Veranstaltungen dieser Art in Berlin ist ja das „Jahresendzeitprogramm“ der Wortvarietisten Horst Evers, Bov Bjerg, Hannes Heeb, Christoph „Angela Merkel“ Jungmann (Bild) und Liedermacher Manfred Maurenbrecher im Mehringhoftheater. Es findet in diesem Jahr bereits zum 17. Mal statt und ist so erfolgreich, dass nicht nur mehrmals täglich und bis weit ins nächste Jahr hinein gespielt werden muss, sondern dass es auch einen eigenen Ableger am Westberliner Ku’Damm gibt. [siehe aktuelle Kritik]

    In diesem Sinne: erfolgreiche Weihnachten und einen fröhlichen Rutsch!


    | Ausgewählte Termine: Berlin

    Redaktion:
    Susann Sitzler


    Bild1: Carrington-Brown_Frame_©_Jonny_Soares
    Bild2: Dita Rita Scholl Foto: Tina Cassati
    Bild3: Christoph Jungmann als Angela Merkel. Foto: David Baltzer


    2013-12-30 | Nr. 81 | Weitere Artikel von: Susann Sitzler





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