Carmen La Tanik (Zirkus- und Straßenkünstlerin aus Deutschland) ist mit ihrer Show "Salon Desastre" in Deutschland und international auf Tour. Gemeinsam mit ihr wirft Trottoir einen Blick in die Welt der Straßenkunst. Wie kommt jemand dazu StraßenkünstlerIn zu werden? Was steckt hinter den Shows, die ihr Publikum weltweit auf öffentlichen Plätzen finden und begeistern? Und wie steht es um diese Kunst in Deutschland? Ein Interview mit Carmen La Tanik begleitend zum PrintSpecial Straßentheater.
Trottoir: Carmen, erzähl uns doch bitte wie du zur Straßen-kunst kamst.
Carmen: Ich habe 2013 erstmals meinen Mut zusammengerafft und eine Straßenshow gemacht. Damals lebte ich in Spanien, hatte gerade ein Jahr Pause vom Zirkus und arbeitete als Sozial-pädagogin in einer Jugendhilfeeinrichtung. Ich sah dass meine Arbeit sinnvoll war, Früchte trug und ich viel Anerkennung bekam. Aber mir fehlte die körperliche Beweg-ung, Expression und das unterwegs sein- und das sah ich bei meinen Frenden aus der Zirkusszene, die mit ihren Shows in aller Welt unterwegs waren. Da wollte ich auch hin und ich sagte mir: Als Soz.Päd bin ich gut- und das kann ich auch in 20 Jahren noch machen. Dann habe ich gekündigt, wieder angefangen zu trainieren und mir eine erste Straßenshow zusammengeschustert. Damit bin ich eine Saison in Spanien und Frankreich unterwegs gewesen. Ja, mich faszinierte die Vorstellung, meinen Lebensunterhalt mit Kunst überall auf der Straße bestreiten zu können. Aber der Anfang war ziemlich anstrengend und teils auch frustrierend. Ich musste lernen welcher Ort zu welcher Zeit bespielbar ist, begreifen dass der Rhythmus einer Straβenshow ein anderer ist als auf der Bühne und wie man sich so einen öffentlichen Platz zu eigen macht. Man muss das Publikum ja erst einmal ran bekommen, bevor man die eigentliche Show spielt. Genau dies ist anfangs regelmässig völlig in die Hose gegangen. Wenn man da den Deppen zum Besten gibt und es keinen interessiert bzw. damit nur einen riesigen leeren Raum kreiert... Seitdem ist es auch mein Motto „Lerne zu unterscheiden, wann du dich selbst ernst nehmen solltest und wann nicht.“
Trottoir: Du hast also ganz alleine und von einem Tag auf den nächsten angefangen. Das klingt nach einer harten Schule..
Carmen: Ja aller Anfang ist hart. Wenn du Straßenshows machen willst, musst du dich durchbeißen und eine Menge Misserfolge wegstecken. Doch ich habe auch einiges an Unterstützung erfahren, etwa auf größeren Veranstaltungen wo ich dann andere Straßenkünstler traf. Grade in Spanien ist es eine sehr kollegiale Szene. Feedback brachte mich weiter und ich erfuhr dieses enorme Potential, das darin steckt von anderen gesehen zu werden. Denn oft ist es der kollegiale und komische Blick anderer Professionals, der deine Gags weiterspinnt und dich zu Neuem inspiriert. Ausserdem haben mich das Semianar „el payaso en la calle“ (Der Clown auf der Straße) des argentinischen Clowns Chaco Chacovacchi und eine gemeinsame Saison mit der ebenfalls argentinischen Straßenkünstlerin und Clownin Sevelinda de Cabeza (Laura Bolon) auf den Piazzas Italiens weitergebracht. Zwar gehöre ich noch nicht zu den alten Hasen, aber heute kann auch ich Wissen weitergeben und das freut mich jedesmal.
Trottoir: Und irgendwann klappte es dann?
Carmen: Bei mir war es ein schleichender Übergang. Die Misserfolge wurden mit der Zeit einfach weniger, die Erfolge mehr und ich habe gelernt Fehler zu erkennen. Das ist ja schließlich eine super-komplexe Aufgabe. Abgesehen von einem interessanten Showcharakter, artistischen Niveau und gelungenen Gags, die dafür sorgen, dass alle gleichzeitig lachen, musst du auch für die Architektur der Show Sorge tragen; Also wo baust du den Kreis (Publikum)? Welche Wege müssen dicht gemacht werden und was muss freibleiben? Von wo kommt die Sonne? Oder ganz schlimm: In welchen Abständen kommt die Bimmelbahn?
Trottoir: Es ist also ein langer Weg bis zur Profession. Wie sieht es aus mit Kursen oder Seminaren, die jemanden weiterbringen könnten, der Straβenzirkus machen möchte?
Carmen: Wer sich mit Clown, Physical theatre oder Impro beschäftigt hat dadurch einiges an Werkzeugen, die in der Straβensituation sehr nützlich sind. Spezifisch für Straßenshows gibt es aber keine Schule und wenig Material. Chacovachi, über den ich eben sprach hat 2015 ein Buch zum Inhalt seines Seminars „Der Clown auf der Straβe“ geschrieben. In Deutschland hat Peter Weyel (Hr.Hundertpfund) über die letzten Jahre einige Kurse gegeben und seit kurzem ist auch Ernest il Magnifico mit seinem „Show Salon“ dabei, seine Erfahrung zu teilen. Ich glaube solche Handreichungen können es zukünftigen StraßenkünstlerInnen erleichtern. Zumindest haben sie dann theoretisch eine Idee wie es klappen kann und ich glaube es ist weniger mühsam, wenn man gleich zu Beginn gebündeltes Feedback und Tipps bekommt. Aber letztendlich kommt es vor allem auf den Durchhaltewillen und ein dickes Fell an, dann kommt auch der wohlverdiente Spaß an diesem Beruf.
Trottoir: Wie man sieht funktioniert es bei Dir, du bist ja nun schon ein paar Jahre dabei. Was macht deine Show aus?
Carmen: Meine Show heisst „Salon Desastre“. Es ist eine humoristisch-provokative Show die unsere geschlechtliche Rollenaufteilung auf eine komische Art beleuchtet. Die Protagonistin ist eine übertrieben von sich selbst überzeugte Diva. Sie kommt um das Publikum mit Tanz und Kunsstücken zu unterhalten, lässt sich dabei aber immerzu ablenken. Zum einen von ihrer extremen Vorliebe für Wein und zum anderen von den anwesenden Paaren. Ganz nach dem Motto „im Grunde des Weinglases liegt die Wahrheit“ wird ihre Zunge im Laufe der Show dann immer lockerer und die anwesenden Herren müssen einiges einstecken. Ihre eigene Eleganz aber auch. Jede und jeder erkennt sich darin selbst wieder und die Show ist sehr komplex, weil ich dabei mehreren Leuten aus dem Publikum eine Rolle gebe und dadurch Dreiecksbeziehungen erschaffe. Man kann es sich wirklich leichter machen eine Straßenshow zu haben, doch ich gehe ganz gern auf Extreme und nehme meist – auch privat - oft den.... sagen wir mal interessanteren Weg. Desweiteren habe ich letztes Jahr eine neue Show kreiert. Die heißt „Anna Wand“ und weckt die Nostalgie eines jeden der sich, zumindestens zeitweise, Punk nannte.
Trottoir: Wie entwickelst du Neues?
Carmen: Ganz unterschiedlich. Das Thema „Punk“ als Grundidee für meine neue Show „Anna Wand“ kam aus einer Straßentheater-Übung. Dabei ging es darum, im öffentlichen Raum bekannte Themen aufzugreifen und theatral auf die Spitze zu treiben. Bei einer weiteren Recherche nach komischen Materialien und Objekt-Manipulation kamen dann Bierdosen dazu. Spass an der Sache, Erkunden von Objekteigenschaften und absurdes Denken gehört dazu. Sowohl beim Kreieren einer neuen als auch beim Ausbauen einer bestehenden Show. Ansonsten entwickle ich beim Training neue Tricks, die dann ihren Platz in der Show finden und bei vielen Shows hänge ich auch irgendwo eine Kamera auf. Die Aufnahmen zeigen mir wie die Show aus welcher Publikumsperspektive rüberkommt. Dann kann es auch sein dass ich im Video eine Inter-aktion, Bewegung oder Improvisation finde die mir so gut gefällt, dass ich sie von da an fest integrieren möchte. Bei einer Straßenshow ist ja keine Show so wie die davor oder danach. Da muss nur der „Frei-willige“, den du dir für die nächste Nummer raussuchst an einer ungünstigen Stelle stehen. Oder beispiels- weise mit seinem Fahrad zwischen den Beinen und schon musst du dir was einfallen lassen, um ihn auf die Spielfläche zu bekommen und wobei das Fahrrad, im Idealfall, auch noch gut zur Geltung zu kommt. Vielleicht läuft es dann so gut, dass du bei der nächtsten Show unbedingt jemanden auf einem Fahrrad willst... es aber erst zehn Shows später wieder zu einer solchen Gelegenheit kommt. Sozusagen, jede Show ist ein Unikat und jeder Zwischen-fall ein Geschenk das es anzunehmen gilt und Material für Neues liefert.
Darum kann ich mir die Shows meiner Kollegen auch immer wieder ansehen. Gerade wenn die Show auf der Straße stattfindet. Wo nun unbedingt das Taxi durch muss oder der Betrunkene vorbeikommt oder das verspätete Date des Freiwilligen dazukommt. Dann ist es spannend wie der Showcharakter damit umgeht und die Situation gebraucht, um die Show voranzutreiben. Das hat man eben nur auf der Straße.
Trottoir: Wie kommst du an Buchungen für deine Show?
Carmen: Ehhh das ist der Teil den ich am wenigsten mag. Am Computer sitzen und Bewerbungen schicken. Zum Glück hat sich das mittlerweile dahin entwickelt dass Veranstalter auch mich kontaktieren weil sie die Show irgendwo gesehen haben. Aber es bleibt doch viel Büroarbeit und ich mache alles selbst; von den Bewerbungen bis zur Homepage.
Trottoir: Wo spielst du deine Show?
Carmen: „Salon Desastre“ spiele ich auf Festivals für Straßenkunst, Kleinkunst, Theater, Comedy, auf Stadt- und Weinfesten, auf privaten und betrieblichen Feiern, Weihnachtsfeiern etc., auf kleinen Bühnen und auch auf kleinen selbstorganisierten Veranstaltungen.
Nach wie vor spiele ich meine Show, zwischen den Festivalterminen aber auch auf der Straße. Ich geniesse diese Freieit, quasi überall arbeiten zu können. Ja, und wichtig find ich das auch. Zum einen für die Frische der Show. Shows leben und wachsen schließlich von der Improvisation und Spontanität, die dir der öffentliche Raum (in dem wirklich ALLES passieren kann) abverlangt. Zum anderen habe ich keine Lust auf eine Show, die nur denen gewidmet ist, die sich bewusst dafür entscheiden, eine kulturelle Veranstaltung zu besuchen.
Trottoir: Welche Vorteile bietet die Straßenkunst im Gegensatz zu Vorstellungen im Theater?
Carmen: Die Straßenkunst ist offen für alle die die Show sehen wollen; unabhängig von ihrer finanziellen Lage. Wenn es Leuten gefällt und sie Geld haben, dann können sie etwas davon in den Hut werfen. Wenn man zahlt, dann hinterher. Es gibt keine billigen Plätze und keine first priority. Alle sind gleich. Mir persönlich gefällt es aber auch den Gedanken noch weiter zu spinnen. Nämlich dass der öffentliche Raum auch außerhalb geplanter Veranstaltungen ein Ort zur Ausübung der Straßenkunst funktionieren kann und sollte. Das gibt uns als Künstler-Innen einerseits die Möglichkeit zu arbeiten und anderereits Menschen zu erreichen, denen es zuvor gar nicht in den Sinn kam, dass Ihnen eine Show Freude bereiten könnte. Die Straßenkunst kommt zu diesen Leuten hin, weil sie da ihre Bühne findet wo Leute sowieso unterwegs sind. Also Kunst die wirklich für alle zugänglich ist und damit auch einen politschen Wert hat, unabhängig davon ob die Show einen politischen Inhalt hat.
Trottoir: Wie stehst du dazu wenn eine Strassenshow politschen Inhalt hat?
Carmen: Ja find ich super! Also solange es nicht um parlamentarische Politik geht. Themen die sich durch unsere Gesellschaft ziehen sind ja politisch. So ein Kontext und Inhalt einer Show sind kein Muss, aber es ist wichtig, dass es auch Shows, gibt die das wohl haben. Meine Idole sind Straßenkünstler, die es schaffen solchen Themen eine Rolle in ihrer Arbeit zu geben. Gags über gesellschaftliche Knackpunkte oder aktuelle Geschehnisse können dafür sorgen, dass alle gemeinsam herzaft drüber lachen können und evtl.merken, dass sie in einem Boot sitzen.
Einer meiner Helden dazu ist Dosperillas aus Spanien mit dem ich auch die Ehre einer Regiearbeit hatte. Seine Show heisst „Este pais es un circo“ (dt. „Dieses Land ist ein Zirkus“) Dahinter steckt auch eine gewisse Romantik des Buffon und Hofnarren, der die Wahrheit spricht und der Einzige ist, der auch den König ungestraft kritisieren darf. Seine Naivität, Komik und Artistik sind quasi die Verpackung des kritischen Inhalts. Das find ich ultra spannend.
Wenn zufällig zusammengekommene Menschen gemeinsam eine Show sehen, den Inhalt, die Spannung und das Lachen teilen, dann ist das ein gesellschaftliches Ereignis. Das kann Menschen in ihrer Bildung und darin wie sie die Welt sehen beeinflussen. Darum muss eine Show auch keinen politischen Inhalt haben um politisch zu sein.
Trottoir: So etwas in der Art hast du ja auch studiert.
Carmen: Genau. Ich habe in den Niederlanden Kulturelle Pädagoik studiert. Also das Entwerfen und Realisieren kultureller Veranstaltungen, die einen Mehrwert in der Bildung und Entwicklung der Teilnehmenden haben. Unter Einsatz der darstellenden Künste.
Trottoir: Ist Straßenkunst in Deutschland legal?
Carmen: Jain. Es ist schwierig und kommt meist auf das Wohlwollen der Stadt und somit von Polizei und Ordnungsamt an. Obwohl die zunehmende Zahl an Straßenkunstfestivals mit massenhaft Besucherströmen zeigt, dass das Interesse an dieser Form der Kunst groß ist, gibt es ausserhalb von solchen Events kaum Spielfläche. Durch die zunehmende Kontrolle, Reglementierung und Gentrifikation wird es für spontane Kunst generell immer schwieriger. Und noch schwieriger, wenn in der Show ein Verstärker für Musik und Mikrophon verwendet wird. Denn der Gebrauch des öffentlichen Raums zu Zwecken der Straßenkunst ist an Regeln gebunden die für akkustische Straßenmusik gemacht wurden. Mir ist keine Gemeinde bekannt die eine Genehmigung für eine Show mit Verstärker erteilt, nur Städte in denen darüber hinweggesehen wird. Wer dennoch auftritt geht das Risiko ein, dass das Ordnungsamt die Show beendet. Es gibt interessante Youtube Videos in denen das Publikum dann lautstark wiederspricht. Da wird so manchen StraßenkünstlerInnen warm ums Herz. Es wäre schön wenn zumindest die Städte mit etablierten Strassenkunstfestivals einen Anfang in der Lockerung ihrer Vorschriften machen würden.
Natürlich hat das auch Auswirkungen auf die kulturelle Landschaft. Es gibt in Deutschland viel akkustische Straßenmusik und Statuen, aber eben wenig Straßenshows. Die meisten Straßen-Show-KünstlerInnen, die ich kenne sind damit im Ausland in Kontakt gekommen oder kommen aus dem Ausland und haben sich hier niedergelassen. Unter den gegebenen Umständen sehe ich es eher schwierig, sich hier als StraßenkünstlerIn zu entwickeln und zu professionalisieren. Noch dazu ist die Saison, in der man auf der Straße spielen kann, eher von kurzer Dauer- wobei vielleicht ändert sich das mit dem Klimawandel ja.
Trottoir: Carmen, vielen Dank. Gibt es noch etwas dass du uns hier mitteilen möchtest?
Carmen: Ja, ich möchte Organisatoren dazu anregen, die Diversität der Shows im Auge zu behalten. Also, dass bei einer Internationalen Programmation auch aus Deutschland kommende Shows dabei sein sollten, und ebenfalls nach einer geschlechtlichen Diversität der Darstellenden geguckt wird.
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Carmen La Tanik
Tel.: +49 (0)1573-3724068
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E-Mail:carmen@latanik.net