Ganz Niedersachsen spart. 8 Millionen Kulturgelder will die Landesregierung im „freien“ Bereich streichen, wo gerade einmal ganze 9 Millionen Euro nicht vertragsgebunden verteilt werden. Ob Festivals, Kulturhäuser, Freizeitheime oder Spielstätten auf dem freien Land: Wen genau der Sparhammer trifft, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest. Doch schon jetzt sind viele kleine Bühnen, die Nachwuchskünstlern erste Auftrittsmöglichkeiten bieten, bedroht.
Ganz Niedersachsen spart? Nein! Wer eh’ keine Förderung bezog, der muss jetzt auch nicht zittern. So hat der Herr mit dem Zylinder, Chef des „Kleinen Festes im Großen Garten“ und in Zivil Hannovers Kulturdezernent Harald Böhlmann, sein alljährliches Freiluftereignis schon seit längerem von den knappen öffentlichen Geldern befreit. Wodurch allerdings das hier schon geflügelte Wort vom „Böhlmann-Wetter“ noch einmal eine neue Dimension bekommt. Schauer? Da gibt’s doch trockene Pausen. Nieselregen? Was das Publikum nicht umbringt, kann die Artisten nur härter machen. So wandelte eine wahre Gore-Tex-Modenschau durch den Garten, wo Herr Schultze und Herr Schröder vom Wall Street Theatre die Teller kreiseln ließen – leider litt ihr Kurzaufritt diesmal unter arg knappem Humor, Sparsamkeit am falschen Ort. Wesentlich lustiger feierte Shirley Sunflower, der weibliche Männerschreck aus „down under“, mit ihrem neuen Programm Uraufführung: Diesmal fahndet sie mit (vorgeschnalltem) Schwangerschaftsbauch nach dem Verursacher desselben und veranstaltet die vermutlich erste Kleinkunstgeburt live. Mal wieder johlende Begeisterung vor allem vom schadenfrohen weiblichen Publikum, benutzt die Powerlady die Herren doch wieder vornehmlich als Klettergerüst. Hannovers Plauderzauberer und Moderator Desimo absolvierte mit neuen Tricks ein umlagertes Heimspiel, übte, die Hand trotz Feuchtigkeit schnell aus der Tasche zu ziehen und drehte mal den Spieß um: Alle Zuschauer konnten sehen, wie sein Seilschneidetrick funktionierte – bis auf den einen, den er auf die Bühne geholt hatte, ein schöner Spaß. Auch das Duo PopEyed hatte eine Premiere angekündigt, bei der sich allerdings das neue amüsante Muskelspiel wenig vom alten unterschied; die Musikcomedians Womedy sowie Hinz & Kunz sind ebenso wie das pantomimische Duo Parapiglia nach Erfolg im Vorjahr verlässliche Publikumsmagneten geworden. Als eine Entdeckung erwies sich Artur kommt vorbei, auch zum zweiten Mal dabei, aber ungleich witziger als zuvor: Wenn Artur Einrad fahrend auf seinem blauen Fiat 500 balanciert, dabei mit Fackeln jongliert und seinen Helfer Horst anmeiert, weil sein blondierter Schopf im schwarzen Gesichtssack hängen blieb, dann erreicht das ganz andere Humordimensionen als zuvor. Klasse. Und wer gerne über Männer lacht – wer tut das nicht – kam bei der Baumarkt-Kassen-Szene von Männergestalten voll auf seine Kosten: Das Kabarett von Männern und Puppen von Jens Heidmann und Detlef Wutschik schraubte sich in immer absurdere Humorhöhen. Schön auch, nach dem Auftritt bei der Freiburger Kulturbörse das Two Hands Theatre gleich im Großen Garten zu erleben – so schlicht aus Tüchern und Socken gebaut, dabei so poetisch im Seh-Eindruck watschelten Enten und Gänse sonst wohl selten bei einer Figurenbühne. Einen Schwan gab es diesmal auch und zwar den sterbenden – La Judith, noch eine Australierin, vollführte einen witzigen und varietéereifen Mix aus Hula-Hoop-Akrobatik und Ballett-Persiflage. Hervorragend schlug sich auch Herr Fröhlich, die Stimmungskanone, der Kuhflüsterer aus dem Sauerland, erstmals bei diesem nicht einfachen Fest, wo das Publikum bei Langeweile ja einfach zur nächsten Nummer wechseln kann: Liebesgedichte ans Himbeereis, wilde Jonglagen von Ping-Pong-Bällen zwischen Mund und Minigitarre und schräge Songs und dumme Sprüche („Kein Mitleid, ich kann es noch schlechter“) bescherten ihm stets gefüllte Runden. Fürs Jungvolk waren die malerischen, turnenden Röhren der australischen Gruppe Bedlam Oz ein Hingucker, Roy Tukkers, die aussahen wie lebendig gewordene Spielzeugsoldaten, mit ihrem Kanonenschlag, vor allem aber mit ihrem Durchfall verursachenden Pfannenmahl, ein sicherer Lacher; der Hit aller Kinder aber war eine laufende Nase: Schon sehr erheiternd, wie sehr man sich vor ein paar Stoffbeutelchen ekeln kann, nur weil sie aus einer Riesennase hängen. Immer „Iiihhh“ bei den Großen, Gekicher bei allen kleinen Rotznasen. Wunderbare Idee von Steven Vrancken und Hannes Goffin aus Belgien.
Doch auch unter den geschlossenen Sälen gibt’s die Unentwegten, die nie Förderung bezogen haben. Wie Erwin Schütterle, auch der Unerschütterliche genannt, der in seinem Kanapee regelmäßig Konzerte und Kleinkunstauftritte organisiert, immer noch gegen freiwilligen Obolus in den Zylinder. Immer wieder wollte Erwin sein Weinstuben-Bühnchen verlegen und vergrößern, nun feierte er im Juli seinen 60. Geburtstag immer noch am schönen alten Ort, wo unter anderem Friedhelm Kändler seine regelmäßigen Kultabende veranstaltet. Hannovers „Wowoet“ und Worttheaterspieler bringt jetzt seine „Mehrchenstunde“ auch in Buchform heraus; und seit er festgestellt hat: „Das Leben ist Eso“, hat der Verseschleifer und Wortjongleur seine feste Fanschar um alle diejenigen erweitert, die flachschürfende Comedy leid sind.
Auch die Werkstatt Galerie Calenberg bleibt Nachwuchs-Sprungbrett. Stets förderungsfrei bringt das kleine Haus alljährlich im Frühjahr sein Kabarett-Festival auf die Bühne. Von dort aus startete bekanntlich Matthias Brodowy seine Kabarettisten-Karriere; ein neuer Star wurde beim letzten Festival zunächst nicht gesichtet. Brodowy, der im Sommer sein 15-jähriges Bühnenjubiläum mit Sonderprogrammen quer durch die Zeiten feierte, wurde im Frühjahr mit seiner Premiere im Theater am Küchengarten erstmals der Heimatbühne untreu, nach noch ein bisschen wackeligem Start lief bei den Folgeauftritten sein Programm schon ziemlich rund. Mächtig viel Politik kommt diesmal vor, meist in schön schräger Brodowy-Manier, wie die Shakespeare-Kurztragödie über Kaiser Gerd und Eichelhans, den Reichsverweser, gegen die die intrigante Elfin Merkel – im Bunde mit Hofnarr Guido – stänkert. Und dass sich die Bürgerrechte dann am besten verteidigen lassen, wenn man sie auf ein Minimum reduziert hat, ist schon ein schön ingrimmiges Bonmot. Dennoch: Die absurden Alltagsgeschichten, wie über die zwei wohlbeleibten Damen auf der Rolltreppe, sind noch immer sein ganz eigenes Metier. Im Oktober moderiert Brodowy, der zur Agentur Jutta Jahnke gewechselt ist, übrigens im GOP Bad Oeynhausen, am 16.10. die Mimuse-Eröffnungs-Gala, den „Maxi-Mix“.
Denn auch Langenhagens Kleinkunstfestival rettet sich vorläufig weiter über die Runden, auch wenn es mangels Fördergelder notgedrungen nur noch ein matter Schatten der früheren Erfolgstage ist. Immerhin ist gleich als zweiter Gast Hagen Rether am 21. Oktober zu sehen, im letzten Herbst Gewinner des Fohlen von Niedersachsen, dem Kleinkunstpreis des Theaters am Küchengarten, ein schön eigensinniger Querdenker und Lakoniker (der ab 10. November auch vier Tage lang im tak-Hannover spielt). Was danach allerdings die Magnets, diese musikalisch eher zu vernachlässigenden Stimmbandakrobaten, die eigentlich nur durch ihren Percussion-Imitator glänzen, im Programm zu suchen haben, das wissen vermutlich am besten die leeren Kassen der Veranstalter. Bis 11. Dezember zieht sich dann ein Programm mit unter anderem den hiesigen Lieblingen Womedy und Bo Doerek; mit dem „FUNtastisch!“-Abend am 30. Oktober, einem Varietéprogramm mit Jan Mattheis, Herrn Stanke, Cecilia und Hannes Kannes, wohl ein Höhepunkt.
Und am 10. September steppt es im Kloster: Die Steptokokken, Highlight der Kleinstbühnen der erweiterten Region, zeigen ihre „Bacterial World“ beim Lamspringer September im Kloster Lamspringe.
War sonst noch was? Doch. Hannovers Böse Schwestern, in den Vorjahren bekannt geworden durch ihren Kleinkunstpreis „Goldene Rübe“ – der, ganz nebenbei bemerkt, diesmal vor der Sommerpause nicht ausgelobt wurde – haben eine neue Premiere gebastelt. Nach „Nähen für den Hunger“ und der Erkenntnis „Abschied ist ein schweres Schaf“ sind sie jetzt auf der „Baustelle D“ angekommen. Eigentlich aber auf einer griechischen Insel, wo die drei schrillen Damen (alias Chris Palmer, Adrian Anders und Stephan Guddat) eine Finca aufmöbeln wollen und nebst einem „Oedipo“ sowie Eierlikör, Gitarre, Tenorhorn und Tamburin auch die Zwerchfelle der Zuschauer bearbeiten, frotzelnd, kalauernd, singsangend. Im Oktober gastieren sie auch in Mönchengladbach, Remscheid und Elend, allerdings mit dem „Abschied“.
Und der ist auch für diesen Artikel gekommen.
Redaktion: Evelyn Beyer
2004-09-15 | Nr. 44 | Weitere Artikel von: Evelyn Beyer