Premiere im Renitenztheater, ein scharfes satirisches Stück: „Bandscheibenvorfall“ von Ingrid Lausund.
Furios eröffnen Sebastian Weingarten und Barbara Stoll den Reigen. Fünf Angestellte stehen vor der Tür des Chefs in Reih und Glied, jeder will der erste sein, jede und jeder versucht, die anderen zu übervorteilen. Alle wollen beim Chef den besten Eindruck hinterlassen. Stoll spielt einen Mix aus schüchtern und frech, rasant die Übergänge zwischen den Stimmungen.
Herrlich die nahezu synchrone Szene zwischen Martin Theurer und Isabell Wolf, bei der beide ihren Auftritt vor dem Chef proben und alle guten Vorsätze köstlich ins Gegenteil verdreht werden.
Und dann ist man oder frau im Allerheiligsten, und jeder kommt gerupft wieder heraus. Mal mit Schaum im Gesicht, mal mit einem Messer im Rücken, mit zerschnittener Krawatte oder mit einem Beil im Kopf, und trotzdem sind alle stolz, wie gut sie sich beim Chef durchgesetzt haben.
Unter der Regie von Astrid Jacob steuert der erste Teil auf einen Höhepunkt zu, wenn sich alle charaktermäßig und bildlich in agressive Hunde verwandeln. Hier schimmert was vom wahren Gesicht der fünf Angestellten durch, gesteigert wird dies in den selbstzerfleischenden Monologen im zweiten Teil. Hier verändert sich der satirische Charakter des Stückes, hier geht es ans Eingemachte. Und hier liegt auch die Schwierigkeit von „Bandscheibenvorfall“, das in einem kabarettistischen Umfeld dargeboten wird.
Hervorzuheben auch die Leistung von Michael Förster, halb Yuppie, halb Softie, der nach jeder Ohrfeige auch noch die andere Wange hinhält und das Verhalten seines Peinigers immer wieder entschuldigt.
Spielerisch überzeugend, ein satirisches Stück als Wechselbad der Gefühle, wie im richtigen Leben oder besser: wie im richtigen Büro.
„Dogville“ als Einstieg in die neue Saison im Schauspielhaus nach dem Intendantenwechsel. Wer den Film von Lars von Trier gesehen hatte, wollte wissen, ob das Stück adäquat auf der Bühne umzusetzen ist. Gezeigt wird die Verwandlung einer fromm-bigotten Gemeinde in einen folternden Mob. Die Bühne als schräge Ebene, auf die es Abend für Abend gut tausend Äpfel regnet, die das Bühnenbild prägen. Grace flüchtet vor Gangstern in ein entlegenes Dorf, wird aufgenommen, aber langsam entwickeln sich ihre Beschützer zu Peinigern. Schläge, Psychoterror, Vergewaltigungen, alles drastisch auf der Bühne dargestellt. Kein Wunder, dass nicht nur in dieser Vorstellung immer wieder Leute den Saal aus Protest verlassen. Aber diese Provokation ist Teil des Konzepts. Interessant auch der Schluss, als Grace mit ihrem Vater in ein Gespräch über Macht und Kapitalismus gerät und Entscheidungen von ihr gefordert werden. Den Vater von Grace und Gangsterboss spielt der ehemalige Mercedesmanager Thomas C. Zell, der im Unruhestand eine neue Aufgabe gefunden hat. Professionell löst er auch diese. Kein Wunder, dass Gespräche über Macht und Ohnmacht, Kapitalismus und Soziales in diesem Theater, welches die geballte Faust als neues Logo hat, auch hinter den Kulissen weitergehen. Eine Nagelprobe für Auseinandersetzung, Toleranz und Zuhörbereitschaft.
Das trifft auch für das „Werk“ von Jellinek zu. Thematisch geht es um das größte Speicherwerk der Welt und die Begleitumstände während der langen Bauzeit, in der Zwangsarbeiter zu Opfern wurden. Jellinek legt Sprachbomben in das Hirn der Zuschauer, deckt Widersprüche auf, kritisiert mit dem ihr eigenen Witz. Ein passendes Stück für die Spielstätte das „Depot“, in dem auch viele Kleinkunst-Stücke in kleiner Besetzung gezeigt wurden.
Im Theaterhaus gab es eine Stuttgarter Premiere von Bernd Lafrenz. Er besticht in Shakespeares „Sommernachtstraum“ durch präzises Spiel und gekonnte dargebotene Rollenvielfalt. Klar werden die Figuren gezeichnet, jede in Bewegung und Sprache deutlich von der anderen abgegrenzt. Als Hilfsmittel benutzt Lafrenz zusätzlich leere Rahmen, um die Personen im gesamten Bühnenraum besser verorten zu können. Ausgefeilte Körpersprache und witzige Dialoge, zusätzlich zu seiner Spielfreude und hohen Bühnenpräsenz, machen die Vorstellung zu einem Theatergenuss. Die Spannung hält bis zum Finale; beeindruckend auch der sparsame, aber hochwirksame Einsatz von Requisiten und Bühnenbild.
Verwirrungen und Irrungen, Eifersucht, Herrschsucht, Untertanengeist, Buckeln und Treten zeigen, wie aktuell Shakespeare auch heute gespielt werden kann.
Tango Five feierten das Jubiläum ihres zwanzigjährigen Bestehens im Theaterhaus. Begleitet von den Stuttgarter Philharmonikern präsentierten sie sich wie gewohnt mit humorvollen Einlagen und musikalischer Perfektion.
Augenzwinkernd gelingt ihnen der Spagat zwischen ironisiertem Schlager und konzertantem Mozart oder Brahms. Das Orchester macht jeden Gag mit, Klangcollagen wechseln mit Lippen- und Atemrhythmen, das Schlagzeug wird auch mal durch eine alte Schreibmaschine ersetzt. Eine Rudi-Carrell-Parodie mit „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer“, ironisierte Krimimusik, bevor es mit „Always look on the bright side of life“ ins endlose Finale geht, denn die Zuschauer singen weiter und weiter, bis die Gruppe endgültig in der Garderobe verschwindet.
Auch die Klangwelten-Karawane mit Rüdiger Oppermann, dem bekannten Harfenspieler und Organisator, machte hier Station. Ungewöhnliche Instrumente, ein richtiger Baum als Bass, gekonnt lässige Ansagen, die über diese Form von Weltmusik bestens informierten. Diesmal lag der Schwerpunkt auf Kehlkopfgesang. Die angekündigte Inuitgruppe wurde durch eine Sängerin aus Kalifornien ersetzt, viel mehr als ein Ersatz, ein echtes Stimmwunder. Spielerisch schaffte sie den Übergang von tiefsten Bässen zu höchsten Tönen, improvisierte frei, eine beeindruckende Eröffnung setzte eine Gruppe aus Madagaskar mit mehrstimmigem Gesang und exotischen Instrumenten. Gesang aus Kasachstan folgte indischem Tablaspiel, und immer wieder standen die Musiker aus unterschiedlichen Kulturen gemeinsam auf der Bühne. Weltmusik im wahrsten Sinne des Wortes mit modernen Arrangements, die unter der Devise „Der Utopie auf die Beine helfen“ Ohren, Augen und Herzen der Zuschauer erreichten. Erwähnenswert auch die Premiere von „Elga“ von Gerhard Hauptmann. Ein neues, freies Stuttgarter Ensemble unter der Regie von Prof. Isolde Alber hauchte diesem schweren Stoff mit frischer Spielweise Leben ein.
Im Merlin trat die Stuttgarter Kultgruppe Agua Loca auf. Diese Truppe, die sich aus der Fisherman’s Walk Band weiterentwickelt hat, steht für einen Abend mit lateinamerikanischen Rhythmen, die in die Füße gehen. Ein Event für die Fangemeinde im restlos ausverkauften Kulturzentrum.
Einmal im Monat veranstaltet der bekannte Kabarettist Timo Brunke in der Rosenau einen Poetry-Slam. Vierzehn Texter traten diesmal gegeneinander an. Es wurde gerapt und rezitiert, gelesen und geschauspielert. Jörg Beirer, Feit Dietrich, Chris und Friedemann und andere mussten sich am Ende Stefan Seifert geschlagen geben, der von der Publikumsjury den stärksten Applaus bekam. Das Themenspektrum war von Urlaubssatiren über Eifersucht, Kehrwoche, Radwechsel und Politik breit gefächert.
Eine der Ausnahmeerscheinungen in der deutschen Liedermacherszene stellte in Reutlingen in einem ehemaligen französischen Kino seine neue CD „Frühlingsblütengrün“ vor: Thomas Felder. Musikalisch noch abwechselungsreicher als bei früheren Werken, textlich ein Gemisch aus ernsten und heiteren Passagen. Neben eigenen Stücken beinhaltet die CD, die seiner vor anderthalb Jahren verstorbenen Frau gewidmet ist, Vertonungen von Heine und Hölderlin. Ein interessanter neuer Schritt für den mehrfach preisgekrönten Musiker von der Alb, der oft als der schwäbische Dylan tituliert wird.
Kulturtreff Untertürkheim:
19.05.06 Polygon – Ein Brechtabend
Theaterhaus:
01.–02.04. Garuma
09.04.06 Hagen Rether – Liebe
27.04.06 E. von Hirschhausen
Renitenztheater:
09.04.06 Häussermann/Schläper – Spieltrieb
11.04.06 Sinasi Dikmen – Nicht ohne mein D
12.04.06 Murat Topal – Comedy
13.04.06 Die Bodenkosmetikerinnen – Kabarett
15.–17.04. Bülent Ceylan – Comedy
24.–30.4. Werner Koczwara – Kabarett
21.–24.6. Bernd Lafrenz – Sommernachtstraum
AdNr:1012