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    Was ist Kult – und wo gibt es das?

    Eine alberne Frage, zugegeben. Dennoch ist es schon interessant, was als Kult angesehen wird. „Kultig“ wird etwas, wenn es einerseits bekannt ist und andererseits häufig und beständig wiederkehrt. Ist aber Bachs Weihnachtsoratorium deswegen Kult? Und warum hat die Rocky Horror Picture Show seit langem schon Kultcharakter? Wenn wir jenseits der Klassik nach den Kriterien Beständigkeit, Bekanntheit und Häufigkeit der Aufführungen fragen, lässt sich die Frage – vielleicht – eher lösen.

    Spillwark, die ostfriesische „Kultband“ aus Emden, ist wohl mit das Beste, was die norddeutsche Folkszene zu bieten hat. Aus den Anfängen 1982 als „klassische“ plattdeutsche Formation entwickelte die Band im Laufe der Jahre ihren eigenen, unverwechselbaren Stil. Eigenvertonungen zeitgenössischer plattdeutscher Lyrik, die manchmal auch nur als Kundenhinweise in Schaufenstern zu finden ist, sowie virtuos-mitreißende Instrumentaltitel verbindet die Gruppe zu einer „Weltmusik aus Ostfriesland“, die auf zwei CD-Produktionen, diversen Rundfunk- und Fernsehproduktionen sowie bei zahllosen Auftritten in Deutschland und dem europäischen Ausland Furore machte. Live ist die Band bärenstark, singt vorwiegend auf Plattdeutsch, rappt aber auch und lässt es bei jedem Gig so richtig krachen. Ihre Titel gehören inzwischen zum Stammrepertoire norddeutscher Rundfunkanstalten.
    Tausende von Menschen hat diese Band vor allem mit einer Produktion begeistert, die mittlerweile zum Dauerbrenner geworden ist. „Weihnachten mit Lükko Leuchtturm“ heißt das Musical, welches Spillwark (Wolfgang Meyering, Ernst Poets, Edzard Wagenaar und Piet Meyer) im Dezember 2000 erstmals öffentlich präsentierte, gemeinsam mit der Theaterwerkstatt der Malschule Emden (Stiftung Henri und Eske Nannen), nach einer Original-Kinderbuchvorlage von Bernd Flessner. 23 ausverkaufte Vorstellungen gab es mit begeisterten kleinen und großen Besuchern. Dazu eine breite regionale und überregionale Medienresonanz. Seither gibt es „Lükko Leuchtturm“, für den am Heiligabend ganz schnell noch ein Geschenk – ein echter Leuchtturmpullover aus Deichschafwolle – organisiert wird, so sicher zur Weihnachtszeit wie „Dinner for one“ zu Silvester.

    Mannstark und tonstark ist auch die Bigband der Bundeswehr. 23 erstklassige Musiker sorgen bei den Konzerten regelmäßig dafür, dass die Ohren der Zuhörer auf herrlichen Klangteppichen spazieren gehen können. Altbundeskanzler Helmut Schmidt hat vor 35 Jahren als damaliger Verteidigungsminister die Initiative ergriffen. Seither gibt es die Bigband der Bundeswehr – und das ist gut so. Die Formation um Bandleader Michael Euler gilt als eine der renommiertesten Jazzorchester Deutschlands – zu Recht. Die Musiker sind live ein voller Musikgenuss. „Wir wollten mal wieder was für uns tun“, meint Euler. Back to the roots also, zu den Klassikern des Brass-and-Rhythm-Jazz.

    Was dann aus den Lautsprechern fließt, ist eine lange Perlenkette von Kleinoden in sattem Bigbandsound. Harry James’ „Trumpet Blues“ etwa oder Woody Hermans Sax-Arrangement der „Four Brothers” – und gleich darauf die butterweiche Herman-Ballade „Early Autumn“ mit samtenen Posaunenklängen.

    Da stimmt einfach alles. Überschwängliche Bläsertiraden fusionieren mit dem Powerplay der Rhythm-Section. Count Basies „Magic Free“ erstrahlt in bläsernem Glanz. Michael Euler moderiert und dirigiert das in lockerer Form und überlässt dann der Bandleader- und Posaunenikone Jiggs Whigham den Taktstock. Die für den Tromboner Whigham geschriebene Nummer „I’ll be around“ von Bill Holan gerät zur fulminanten Soloapplikation auf einem mitreißenden Klangteppich der Bläser. Solchen Sound bekommt man nur zu gern auf die Ohren. „Aber“, so Whigham, „ein Jazzkonzert wäre ohne Blues kein Jazzkonzert“. Sei’s drum. Also dann auch der „Blues for 2 K’s“ oder die tolle Ballade „Heart and soul“ mit den traumhaften Jazzharmonien oder das großartige Schlagzeugsolo im Buddy-Rich-Vermächtnis. So klingt Bigband-Musik! Authentisch mit der Bundeswehr-Bigband. Freude entfachend bei Jazzfreunden, die das erleben dürfen.

    Was den großen Bands der Rock- und Pop-Szene recht ist, ist auch den regionalen „local heroes“ billig. In Koblenz habe ich die Wiedergeburt gleich zweier Bands erlebt, die in den sechziger und siebziger Jahren Furore machten. Countdown und Franz Katzentod erstanden wie Phönix aus der Asche, um einmal mehr zu zeigen, dass musikalisches Können an Musikern haften bleibt. Mainstream-Fanatiker kommen bei den Altrockern von Countdown voll auf ihre Kosten. Die Musiker liefern gradlinigen Rock, facettenreich garniert mit Gitarren- oder Keyboardsoli. Titel wie „Nowhere“ oder „The craw and the eagle“ kann man sich einfach in den Ohren zergehen lassen. In „Children of the universe“ lässt sich die Band auf den Flügeln mehrstimmigen Gesangs hintragen zu pulsierenden Rhythmen, die den Saal zum Kochen bringen. Faszinierend auch die Umsetzung ihrer ureigenen Nummer „Little boxes – can you see the light“.

    Der Band gebührt eine besondere Auszeichnung. Hat sie doch für den in diesem Jahr anlaufenden Krimi „Trauma“ den Titelsong geschrieben. „London“ bürgt für musikalische Kreativität, die in den Pianoparts eröffnet und endet. Gleißende Riffs und faszinierende Saitenartistik zeichnen das Stück aus, geben ihm Reiz und Farbe. In der Tat war diese Nummer spannender als die einzige Zugabe „Smoke on the water“. Aber gerade da reagieren Zuhörer, lassen sich hineinfallen in den Rocktaumel, aus dem sie erst wieder bei Franz Katzentod aufwachen. Dieses Aufwachen ist punkmäßig brachial. Franz Katzentod bietet nicht nur den Gitarristen und Regie- und Produzenten-Promi Bernie Abt (Top of the Pops, Sieben Tage – sieben Köpfe etc.), sondern von Anfang an auch den Nachwuchs und demonstriert den Übergang vom Alt- zum Jungrocker. Stücke von The Who oder den Sexpistols haben da noch die Leichtigkeit des Seins. Dann allerdings ist der Katzentod besiegelt. Die Jugend an Drums und Gitarren übernimmt Regie und Show. So manche gute musikalische Leistung fällt dabei der Lautstärke zum Opfer. Schade drum!

    Widmen wir uns jetzt den eher leisen Tönen.

    Über einen gemeinsamen Freund lernen sich Christiane Weber und Timm Beckmann 1997 kennen. Aus dieser, wie sich schnell herausstellt, gelungenen Mischung zweier grundverschiedener Charaktere entwickelt sich schnell eine Freundschaft, und ihr erstes gemeinsames Bühnenprogramm „Himmelhochjauchzend – zu Tode verliebt“. Im Jahr 2000 liegt dann das zweite abendfüllende Programm „Himmel ist oben“ vor, mit einer Mischung aus verschiedensten Cover-Nummern und zum ersten Mal selbst getexteten und vertonten neuen deutschen Chansons. Das Programm wurde 2002 mit dem „Schwerter Kleinkunstpreis“ und dem Publikumspreis der „Tuttlinger Krähe“ ausgezeichnet.

    versicherungsladen_67_35Im Oktober 2002 hatte dann „Kurz vor unendlich“ Premiere. Das Verhältnis von Cover-Nummern und eigenen Liedern verschob sich zugunsten der selbst komponierten Chansons. Mittlerweile bespielt das Duo Kleinkunstbühnen in ganz Deutschland, sahnt einen Preis nach dem anderen ab und wurde sogar 2004 für den „Prix Pantheon“ in Bonn nominiert. In Bonn habe ich die beiden im Springmaus-Theater live mit ihrem neuen Programm „Ausversehnsucht“ erlebt. Begeisterung ohne Ende also bei mir und dem gesamten Publikum, hervorgerufen durch die facettenreiche Stimme von Christiane Weber. Sie interpretiert im Gesang ihre eigenen Texte bizarr und lässt dabei die Zuhörer taumeln zwischen gefühlsbetonten Liebesliedern und „nicht so ernst gemeinten“ Humoresken, in denen das Kabarettistische wortgewaltig, wortwitzig, bissig und im Hochtempo Raum greift. Gemeinsam mit ihrem Begleiter und Textvertoner Timm Beckmann nimmt sie das Publikum zwei Stunden lang mit in eine Welt, die zugleich schön, abschreckend, fröhlich und traurig ist. Songs wie „Aschenbrödel“ haben schon jetzt Kultcharakter. „Wie zwei Goldfische im Glas“ vollziehen Paare im Publikum ihre Partnerschaft nach. Ganz aus Versehen – oder ist es schon die Sucht nach dem, was Beckmann und Weber an Musik und Worten, übrigens auch in den Zwischentexten, im Programm haben? Es ist beides, ist Ausversehnsucht! Man sollte es sich nicht entgehen lassen. Dieses Musikkabarettduo trägt das Prädikat: Besonders empfehlenswert! Am Schluss darf sich jeder, der es dann braucht, eine Rose mitnehmen.

     

    Bis demnäx.

    Bernhard Wibben

    2006-03-15 | Nr. 50 | Weitere Artikel von: Bernhard Wibben





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