Berlin-Kreuzberg - die Mieten im Bergmannkiez schwingen sich auf in schwindelerregende Höhen, die Gentrifizierung nimmt ihren Lauf, aber ein kleiner Ort leistet Widerstand. Gneisenaustraße 2, neben einer Eisdiele, ein mit tausend Plakaten beklebter Toreingang. Eingang in eine Welt, die nichts mit Zeitgeist zu tun hat - der Mehringhof. So richtig schön ist es hier nicht, aber echt, heißt: unberührt, als wäre die Zeit seit den 80igern stehen geblieben. Aus der Punkkneipe „Clash“ kommt noch kein Wummern, die Buchhandlung „Schwarze Risse“ neben dem Fahrradladen hat gerade zugemacht. Ein paar Meter weiter hängt eine Maske an der Wand, dann noch eine halbe Treppe hoch, hier ist das Mehringhoftheater. Das es für Stammbesucher schon ewig zu geben scheint. Nein, genau 30 Jahre sind es gerade geworden.
Im April 1985 wurde die Spielstätte des damals neben den „Drei Tornados“ bekanntesten Szenekabaretts, des CaDeWe (Cabarett des Westens) nach dessen Auflösung von der Berliner Kabarettgruppe „Compagnia Mastodonctica“ übernommen. Nach einem anfänglichen Wechsel von Eigenproduktionen und Gastspielen wurde das Mehringhoftheater bald zu einem reinen Programmtheater in Sachen Kabarett umstrukturiert.
Seit dieser Zeit bietet das Mehringhoftheater seinen maximal 250 Besuchern an vier bis fünf Tagen in der Woche professionelles und engagiertes Kabarett. Mittlerweile sind im Mehringhof-Theater 137 Künstler oder Gruppen mit 399 unterschiedlichen Programmen aufgetreten, darunter befanden sich 99 Weltpremieren und 246 Berlin-Premieren. Außer Kabarett kommen hier auch Comedy, Musikkabarett und Impro-Theater auf die Bühne.
An den Wänden des Ganges, der in den Publikumsraum führt, auf den Fotos der Chronik, sieht man die KünstlerInnen altern. Das Team des Mittwochsfazits und des Jahresendzeitprogramms - Manfred Maurenbrecher, Horst Evers, Bov Bjerg, Hannes Heesch und Christoph Jungmann - den Berliner Fil, die Herren von der Schwabenoffensive oder Arnulf Rating. Das Mobiliar altert im gleichen Echtzeit-Tempo wie die Damen und Herren auf der Bühne, und es ist schön, dass sich manche Orte in einer so schnellen Welt so wenig verändern.
Prominenz hat sich hier schon immer die Garderobe mit unbekannteren Gruppen oder Einzelkünstlern geteilt, so tragen erfolgreiche Größen wie Volker Pispers, Kurt Krömer, Horst Evers oder Marc-Uwe Kling begabte, aber noch nicht so bekannte Kollegen.
Im Mai feierte das Theater sich selbst in einer großen Geburtstags-Show, es gab Songs und Texte von und mit Bov Bjerg, Hannes Heesch, Christoph Jungmann und Manfred Maurenbrecher zu hören. Das Team lud sich jeden Abend einen anderen Überraschungsgast ein: Marco Tschirpke, Fil, Michael Krebs, Lee White, HG. Butzko, Michael Frowin, Till Reiners, Jan Koch, Nils Heinrich und Marc-Uwe Kling.
Weit zurück in die Achtziger führte das Programm zwar (leider) nicht, aber wenigstens wurden einige Themen der letzten zehn Jahre wieder in Erinnerung gerufen: Bov Bjerg führte zurück in die Zeit, als die ersten Schwaben Berlin einnahmen und beantwortete die sehr dringliche Frage, was herauskomme, wenn man einen Schwaben und einen Berliner kreuze: eine Großmaultasche nämlich. Manfred Maurenbrecher besang wie immer stimmgewaltig das Rätsel um den biederen Rüdesheimer Platz in seinem Song „Paradies Rüdi“, und immer mal wieder tauchte natürlich der sich selbst und pausenlos Party feiernde Klaus Wowereit im Programm auf.
Aber es ging nicht nur um Berlin, sondern auch um Größeres: um familienfreundliche Kriege, in denen der Drohnen-Papa, der alles von Zuhause steuern kann, ganz sicher zum Abendbrot da ist, um das Ende der Atomkraft – Angela Merkel, stilsicher verkörpert von Christoph Jungmann, sang zur Melodie von Rio Reisers „Bye bye Junimond“ das Abschiedslied von der Atomkraft – und um die FDP, die nach den letzten Bundeswahlen merkte, dass das Bier mehr Prozent hat als sie selbst. Über dem Abend schwebte die bange Frage: Wer wird sich die Moderation erkämpfen: Angela Merkel oder Ursula von der Leyen, kongenial zappelnd und strahlend von Hannes Heesch verkörpert, der uns im Laufe des Abends dann u.a. auch den rührseligen Joachim Gauck und den nuschelnden Günter Netzer machte.
Maurenbrecher fasste das alles wie immer mit Klarblick zusammen „Die Welt ist am Durchdrehen“. Ja, so ist es, aber solange es das Mehringhoftheater gibt, haben wir in Berlin wenigstens einen Ort zum Runterkommen.
Redaktion: Katrin Schielke
Bildnachweis:
Maske Foto:Mehringhoftheater
Jahresendzeitteam (Gruppe) Foto:David Baltzer
2015-06-30 | Nr. 87 | Weitere Artikel von: Katrin Schielke