Ein paar breitkrempige Hüte, eine Federboa und ein dezenter Mann am Flügel (Gerd Bellmann) genügen ihr als Requisiten, um eine ganze Welt zu erschaffen: die Welt der Hildegard Knef. Mit ihrem Körper und ihrer Stimme verkörpert sie bezwingend, Publikum und Kritiker hinreißend, die populäre Schauspielerin, Deutschlands ersten Weltstar nach dem Krieg, die markante Sängerin, die Buchautorin, Malerin und Modeschöpferin, von ihrer Berliner Kindheit beim Großvater bis an den Rand des Ehrengrabs in der Nähe Willy Brandts. Dazwischen liegen Triumph (675 Broadway-Aufführungen von Cole Porters „Silk Stockings“) und Verfemung (für eine Sekunde der Nacktheit im Film „Die Sünderin“), liegen Brustamputation und Bankrott, Scheidungen und Face-Lifting.
Der außergewöhnlichen Mimin Gilla Cremer ist mit ihrem jüngsten, am Sankt-Pauli-Theater uraufgeführten, inzwischen auch am Thalia-Theater gezeigten Solo „So oder so – Hildegard Knef“ (Regie: Hartmut Uhlemann) erneut ein Treffer ins Schwarze gelungen. In sensibel gewählten Sequenzen, die auf eigenen Texten der Diva (1925–2002) beruhen, mit deren bekannten, aber auch weniger bekannten Chansons, die Cremer häufig nur kurz ansingt, ohne die Dargestellte jemals zu imitieren, zeichnet sie das Porträt einer Frau, die niemals aufgibt – trotz aller äußeren und inneren Dämonen, trotz des gefürchteten Gespensts der Einsamkeit. Fazit dieses Lebens? Nicht das stets flüchtige Glück zähle, sondern „Schönheit ist das Wichtigste. Sie ist überall. Genau wie das Leid. Und für beides sind die Menschen blind.“
Frauen voller Lebensenergie widmet die 49-jährige Wahl-Hamburgerin Cremer seit 1987 die Soloprogramme ihres eigenen Theaters Unikate (www.theater-unikate.de). Damals schuf sie ihre kabarettistische Komödie über künstliche Befruchtung, „Odyssee Embryonale“, die sie noch immer auf Kleinkunstbühnen zeigt. Heute untersucht die Künstlerin mit Stücken wie „Die Kommandeuse“ (1995) über Ilse Koch, die Hexe von Buchenwald, „Morrison Hotel“ (1997) über die Jugendideale der 60/70er-Jahre sowie „m.e.d.e.a.“ (2000) und „Meeresrand“ (2004) über aktuelle Beziehungsproblematiken systematisch Tiefenschichten der deutschen Zeitgeschichte. Zugleich fragt sie dabei nach menschlichen Urphänomenen wie Angst und Liebe, Leid und Neid. Gilla Cremer hat ihre Programme meist selbst geschrieben und produziert, gastiert mit ihnen, ins Englische übersetzt, europaweit. „Das Bühnenbild muss in meinen Passat passen“, sagt denn die mädchenhaft zart und kraftvoll zugleich wirkende Frau und zweifache Mutter, deren Wandlungsfähigkeit mit der eines Chamäleons verglichen wurde.
Nicht die übliche Schauspielschule begründete diesen künstlerischen Weg, sondern das Studium von Modern Dance, Maskentanz, Kung-Fu und Maskenschnitzerei in Austin/Texas, New York und auf Bali. Später arbeitete Gilla Cremer am berühmten dänischen Odin-Teatret sowie mit Werner Schroeter und Augusto Fernandez. Das Immer-weiter-Machen gehört auch zu ihrem eigenen, eigenständigen Lebensentwurf fern der Ensemble-Sicherheit – wobei die Produktionen, die in Kooperation mit Kampnagel, St.-Pauli- oder Thalia-Theater entstehen, immerhin häufig von der Kulturbehörde der Hansestadt gefördert werden. „Eigentlich sind alle meine Stücke Liebeserklärungen an das Leben“, sinniert im Trottoir-Gespräch die Schauspielerin, die sich stets existenziell einsetzt. „Trotz widriger Umstände nicht verzweifeln und immer wieder Neues gebären – das habe ich auch selbst aus der Beschäftigung mit den zugrunde liegenden Frauenbiografien gelernt.“
Nicht verzweifeln: Das sagte sich auch der Höhlenmensch, wenn es Nacht wurde über dem Neandertal. Über Sturm und Dunkelheit tröstete er sich mit einer Art Pfeifen im Walde hinweg, stampfte und schlug dabei mit Knochen um sich – und erfand so nebenbei den Rhythmus. Heftigst unterstützt von den drei alten Konzert-Hasen Christian von Richthofen, Georg Feige und Andreas Ruhl tritt der frühe Homo Erectus alias Kristian Bader nunmehr, wie jüngst in Schmidts Tivoli, seine musikalische Zeitreise an, die das Quartett über Gregorianische Gesänge und üblichen Kirchenschimpf zu den Troubadouren und Walther von der Vogelweide führt, schließlich gar zu den durch die Nazis in Misskredit geratenen deutschen Volkliedern und am Ende zu Schrägem, wie einem improvisiertem Salsa-Dixie.
Nach dem fulminanten, immer noch andauernden Erfolg seiner in der Steinzeit angesiedelten Geschlechter-Analyse „Caveman“ setzt Kristian Bader (früher Bader-Ehnert-Kommando) sein themenbezogenes Bühnenkonzept fort – und findet wieder sein Publikum. Das neue Programm ist flott und unterhaltsam, wiewohl manchmal grob und etwas peinlich. „Cavemusic“ birgt jedenfalls nicht die teilweise tiefgründigen Wahrheiten des Erstlings.
Redaktion: Ulrike Cordes
AdNr:1007